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Gemeinsam eine neue Heimat suchen

Von Valentin Bayer, 30. Mai 2022, 00:04 Uhr
Gemeinsam eine neue Heimat suchen
Viele der ehrenamtlich Engagierten sind selbst Geflüchtete. Bild: Point of Ukraine

Im Verein "Point of Ukraine" bauen Ukrainer, die schon lange in Österreich leben, gemeinsam mit ihren geflüchteten Landsleuten eine neue Gemeinschaft auf, die beiden Seiten Halt geben soll.

Ein Sprachengewirr aus Deutsch und Ukrainisch erfüllt den großzügigen Raum im östlichen Brückenkopfgebäude am Linzer Hauptplatz. Eine Gruppe Frauen sitzt bei Kaffee und Kuchen zusammen und unterhält sich angeregt. Sie alle sind Ukrainerinnen, und die meisten von ihnen sind vor einigen Wochen vor dem Krieg nach Oberösterreich geflohen.

Das Sprachcafé, für das die Frauen sich in Linz zusammengefunden haben, wurde vom Verein "Point of Ukraine" organisiert. "Ursprünglich waren wir eine Gruppe von Ukrainern, die schon länger hier lebt. Wir wollten unsere Landsleute unterstützen. Mittlerweile machen Geflüchtete aber schon mehr als die Hälfte der Leute aus, die sich bei uns engagieren", sagt Oksana Kuzo.

Gemeinsam eine neue Heimat suchen
Ursprünglich als Informationsstelle für ukrainische Flüchtlinge gedacht, finden jetzt zahlreiche Veranstaltungen in den Räumlichkeiten von „Point of Ukraine“ in der Kunstuni statt. Mehrmals in der Woche gibt es ein Sprachcafé, bei dem die Besucher sich austauschen und ihre Deutschkenntnisse ausbauen können. Bild: Point of Ukraine

Die 35-jährige Pianistin ist vor zwölf Jahren für das Studium aus der Ukraine nach Linz gekommen. Noch am ersten Abend nach Ausbruch des Krieges traf sie sich mit anderen Ausgewanderten. Gemeinsam überlegten sie, wie sie anderen Ukrainern helfen könnten.

Vom Infopoint zum Treffpunkt

In den ersten Wochen nach Kriegsausbruch organisierte Kuzo Demos und Solidaritätskundgebungen in Linz. So wurde Brigitte Vasicek, Vizerektorin der Kunstuni, auf die Gruppe ukrainischer Aktivisten aufmerksam und trat an sie heran. "Sie hat uns angeboten, dass wir die Räumlichkeiten am Hauptplatz nützen können. Das brachte uns auf die Idee, einen Infopoint für ukrainische Geflüchtete einzurichten", sagt Kuzo.

Daraufhin gründete Kuzo gemeinsam mit anderen Aktivisten den Verein "Point of Ukraine". Zu Beginn konzentrierten sich die Freiwilligen darauf, Informationen für die Geflüchteten in ihrer Muttersprache zur Verfügung zu stellen. "Da haben wir von vielen Seiten Unterstützung bekommen, auch von vielen Oberösterreichern", sagt Kuzo. Roland Pachner vom Verein Altstadt Linz entwickelte kostenlos eine Webseite, es gingen zahlreiche Sachspenden ein, die der Verein in die Ukraine weiterleitete.

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Jeden Freitag essen die Flüchtlinge zusammen. Natürlich steht auch der traditionelle Eintopf Borschtsch auf dem Menü. Bild: Point of ukraine

"Wir haben dann aber schnell gemerkt, dass die Geflüchteten auch einen Treffpunkt brauchen. Einen Ort, an dem sie Menschen finden, die sie verstehen und mit denen sie sich über ihre Erfahrungen austauschen können", sagt Kuzo.

Mittlerweile bietet der Verein deshalb vor allem Aktivitäten für die Ukraine-Flüchtlinge an – Sportkurse, Gesangsabende, Therapiegruppen und gemeinsame Abendessen. Viele Veranstaltungen werden von Geflüchteten selbst gehalten. "Eine Frau hat mir zum Beispiel erzählt, dass sie Yogalehrerin ist. Da habe ich gleich gesagt: Super, dann machen wir einen Kurs. Es hilft den Leuten, wenn sie sich engagieren und einbringen können. Viele würden sonst nur depressiv daheim sitzen", sagt Oksana Kuzo.

Viktoria Kalinina ist eine der Ukrainerinnen, die bei den Vorbereitungen für das Sprachcafé geholfen hat. Die 30-Jährige stammt aus der Nähe von Perwomajsk, einer Stadt im Südwesten der Ukraine. Mitte März floh sie mit ihren zwei Kindern, ihrer Schwester, zwei Katzen und einem Papagei nach Linz.

"Muss mich beschäftigt halten"

Kalinina hilft zweimal in der Woche im Verein mit und nimmt selbst an den Veranstaltungen teil. "Ich war schon immer so, ich muss mich beschäftigt halten. Jetzt umso mehr. Ich will einerseits helfen, andererseits will ich mich auch mit den Leuten unterhalten, die zu uns kommen. Das tut mir gut", sagt sie.

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Eine geflüchtete Yogalehrerin leitet regelmäßig Kurse. Bild: Point of Ukraine

Auch Lidia Zharikova schaut regelmäßig im Vereinslokal vorbei. Sie studiert seit sechs Jahren Technische Mathematik an der Johannes-Kepler-Universität. Neben ihrer Arbeit im Vereinslokal arbeitet die junge Frau ehrenamtlich als Dolmetscherin beim Roten Kreuz.

Ihre Familie lebt immer noch in ihrer Heimatstadt Charkiw, die seit Wochen schwer umkämpft ist. "Irgendwie fühle ich mich schuldig, weil ich hier bin und sie dort. Deshalb versuche ich, für die Menschen da zu sein, die nach Österreich gekommen sind", sagt sie. Die Gemeinschaft, die sich rund um den Verein gebildet hat, sei nicht nur für das Wohlbefinden der Geflüchteten wichtig. "Es tut uns allen gut, dass wir gebraucht werden. Und wir finden hier Menschen, die wirklich verstehen, was uns momentan beschäftigt", sagt Zharikova.

Auch sie habe sich mit der Arbeit im Verein ein Stück weit ablenken wollen, sagt Oksana Kuzo. "Die ersten zwei Monate habe ich Tag und Nacht gearbeitet, ich konnte nicht schlafen. Das war der Schock, glaube ich."

Ende April hätten Kuzos Kräfte dann zum ersten Mal nachgelassen. "Ich habe wirklich gehadert und war demotiviert", sagt die Pianistin. Sie habe ein bisschen gebraucht, um sich aufzuraffen. "Aber dann habe ich, haben, glaube ich, wir alle eingesehen: Der Krieg wird wahrscheinlich noch eine ganze Zeit dauern."

Selbst wenn plötzlich Frieden geschlossen würde, werde der Wiederaufbau die Ukrainer noch jahrelang beschäftigen. "Wir können also noch lange nicht aufgeben. Und bis sich die Situation in der Ukraine gebessert hat, müssen wir alle – die schon da waren und die neu Angekommenen – hier ein erfülltes Leben führen und uns entfalten können", sagt Kuzo.

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Autor
Valentin Bayer
Redakteur Oberösterreich
Valentin Bayer
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