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Hubert Messner und das Abenteuer Leben

Von Bernhard Lichtenberger, 09. Mai 2020, 00:04 Uhr
Abenteuer Leben
Die Gratwanderungen des Hubert Messner, die zu einem intensiven Leben führten – als Frühchen-Arzt und Grenzgänger. Bild: Privatarchiv Hubert Messner

Es ist ein schmaler Grat, auf dem sich Hubert Messner bewegt. Der Südtiroler hat Grönland zu Fuß durchquert und als leidenschaftlicher Arzt um Frühgeborene gekämpft.

Seine Berufung hat Hubert Messner bei den Zerbrechlichsten gefunden. Rund 15.000 Frühchen hat er auf der Neugeborenen-Intensivstation betreut und als Chefarzt an der Bozener Klinik die moderne Neonatologie mitentwickelt. Den Weg zwischen Sein und Tod hat der 66-Jährige auch abseits der Medizin gewählt. Mit seinem berühmten Bruder Reinhold suchte er das Abenteuer in der dünnen Luft der Achttausender. Mit ihm durchquerte er Grönland, doch der Nordpol blieb ihm versagt. Auf beide Leben blickt der pensionierte Arzt, der derzeit freiwillig in einer Bozener Corona-Station dient, in seinem Buch "Der schmale Grat".

Es hat sich ergeben, dass Ihr ältester Sohn Alex in der 29. Schwangerschaftswoche bei Ihnen zur Welt gekommen ist und sein Überleben nicht gewiss war. Wie hat es Ihre Sichtweise beeinflusst, mit einem Mal Arzt und Betroffener zu sein?

Das ist Schicksal. Er hat schwerwiegende Komplikationen gehabt, die mich als Arzt sehr gefordert haben. Ich habe mich aber entschlossen, ihn selbst zu behandeln, weil ich mehr Erfahrung als meine jungen Kollegen hatte. Als Arzt denkt man rational, als Vater emotional – diese beiden Rollen zu tauschen, war nicht immer leicht. Ich hatte auch Sorge, dass ich ihn verlieren könnte. Aber dadurch konnte ich mich besser in die Stimmung und Emotionalität von Eltern anderer Frühchen hineinfühlen – und daraus habe ich sehr viel für die Gespräche und Diskussionen gelernt, die ich mit Eltern geführt habe.

Abenteuer Leben
Hubert Messner als Frühchen-Arzt Bild: Manuela Prossliner

Nach fast vier Jahrzehnten in der Neonatologie: Welche einschneidenden Veränderungen haben Sie miterlebt und mitgestaltet?

Dass wir imstande waren, die Grenzen weiter nach unten zu verschieben. Als ich begonnen habe, war es die 28. Schwangerschaftswoche, jetzt sind wir in der 22., 23. Woche. Mit den Studien und Vernetzungen war es möglich, neue Therapien zu entwickeln und die sehr unreifen Lungen sanft zu beatmen. Wir konnten die Morbidität und die Beeinträchtigungen dieser Kinder entschieden verringern. Neben dem technischen Fortschritt hat man auch verstanden, diese Kinder mit den Eltern in den Mittelpunkt zu stellen, die Intensivstationen zu öffnen und damit menschlicher zu machen.

Warum sind Sie vom Vorsatz "Jedes Kind muss überleben" abgerückt?

Das war ein Erfahrungswert, den wir als Netzwerk hatten: Ganz, ganz kleine Kinder, die an der Grenze zur Lebensfähigkeit waren und schwerste Komplikationen hatten, etwa Hirn- oder Lungenblutungen, oder deren Darm kaputtging, haben wir doch nur noch technisch mit unseren Maschinen am Leben gehalten. Als wir an dem Punkt waren, wo wir wussten, dass es nur ein Hinausschieben des Sterbens ist, haben wir uns der Intensivmedizin enthalten, einen Schritt zurück gemacht, unser Therapieziel anders gesetzt und das Kind auch sterben lassen – aber immer in Absprache mit den Eltern und allen Kollegen. Und dann haben wir das Kind in die Arme der Eltern gelegt, in denen es sterben durfte.

Wie hält man sich selbst in Balance auf dem Grat der Entscheidung, einem Frühgeborenen ins Leben zu helfen oder es beim Sterben zu begleiten?

Beides ist mit Emotionalität verbunden. Es ist sehr schön, wenn man sieht, wie ein kleines Frühchen, dem man kaum eine Chance gibt, plötzlich zum Leben kommt, um sein Leben kämpft. Und dass man dabei helfen kann, über diese Brücke zu gehen. Es ist das Gleiche, wie man einem Kind hilft, dass es diesen Grat nicht ins Leben geht, sondern auch sterben darf. Man muss lernen, mit dem Tod zurechtzukommen, das ist das einzige Problem.

Abenteuer Leben
Angst und Schrecken auf dem Weg zum Nordpol Bild: Privatarchiv Hubert Messner

In jungen Jahren hat Sie ein Autounfall als Patient ins System Krankenhaus geführt. Welche Schlüsse haben Sie aus dieser Erfahrung für Ihre Arbeit gezogen?

Ich habe mich im Krankenhaus sehr allein und ausgesetzt gefühlt. Da herrschte noch ein richtig paternalistisches Ärztesystem: Ich entscheide, was du zu machen hast, und daran hast du dich zu halten. Man wurde nicht in Diskussionen eingebunden, es wurde sehr wenig kommuniziert. Ich habe mir geschworen, dass ich das anders machen werde. Ich will, dass kein Kind ausgesetzt ist, ich will für jeden Zeit haben, jeden in den Entscheidungsprozess einbeziehen.

Kopf, Hals und Brust waren vier Monate eingegipst. Was hat Sie dazu bewogen, in diesem Korsett Ski fahren zu gehen?

Das ist die Lebensfreude, nachdem man bemerkt hat, man kann wieder laufen, wieder alles machen. Ich bin ein leidenschaftlicher Skifahrer, und es hat einen Riesenspaß gemacht, obwohl ich in dem Gips kaum auf die Füße schauen konnte.

Was hat Ihnen die Angst vor dem Sterben genommen?

Die Tatsache, dass ich sehr viele Kinder im Sterben begleiten durfte und gemerkt habe, was Sterben eigentlich ist: ein Übergang vom Leben in den Tod. Ich habe viele Kinder gesehen, wie sie relativ schnell verwelkt sind, aber auch, wie ruhig diese Kinder danach waren. Das hat mir die Angst genommen – aber auch, weil ich sehr intensiv gelebt habe.

Sie haben mit Ihrem Bruder Reinhold Grönland zu Fuß durchquert, Sie sind auf dem Weg zum Nordpol bei minus 50 Grad ins Wasser gefallen. Was ließ Sie den Weg des Abenteuers einschlagen, kam der Antrieb durch den Bruder?

Es war nie so, dass ich gesagt habe, ich muss da auch mit. Ich habe ein ganz anderes Leben geführt. Wir hatten zwar sehr guten Kontakt, weil wir miteinander trainiert haben und ich öfter im Himalaja mit dabei war. Manchmal hatte ich einfach das Bedürfnis, aus dieser Intensivstation herauszukommen, auch aus dieser Verantwortung, und etwas anderes zu machen. Reinhold war nur eine Möglichkeit. Er hat sie mir gegeben und ich habe sie beim Schopf gepackt, um einmal auszubrechen, den Kopf frei zu bekommen – und sich selbst auf eine Gratwanderung zu begeben, wie man sie tagtäglich auf einer Intensivstation sieht. Ich bin dann schneller Abenteurer geworden, als mir lieb war. Wir konnten vieles als Team gut meistern, weil wir als Brüderpaar auf dem Weg waren.

Abenteuer Leben
Familie Messner 1963: Hubert sitzt auf der Bank (2. v. rechts), Reinhold steht dahinter (2. v. rechts) Bild: Fotoarchiv Familie Messner

Sie schreiben, dass Sie den Sog der Sucht zum Grenzgang gespürt haben.

Man bereitet sich lange auf ein Abenteuer vor, es gibt Phasen, in denen man nachts aufwacht und Angst hat. Wenn man auf dem Weg ist, ist die Angst weg. Man hat ein Ziel vor Augen, kommt in eine ganz andere Welt. Und plötzlich ist das Abenteuer fertig. Auf der einen Seite ist man froh darüber, auf der anderen Seite traurig, weil man noch gerne in dem Abenteuer geblieben wäre. Dann merkt man, dass man schon an das nächste denkt. Da muss man aufpassen, nicht hineingezogen zu werden. Mein Glück war, dass ich zurück in meine Arbeit musste und wollte.

Als Ihren ersten Grenzgang könnte man bezeichnen, als Sie als Fünfjähriger vom elterlichen Hof im finsteren Tal alleine auf den Hügel in der Sonne marschiert sind. Viele Eltern würden allein bei diesem Gedanken in eine Schockstarre fallen. Wie erklärt sich die heute grassierende Überfürsorge?

Innerhalb des Tales hatten wir keine Grenzen. Unsere Eltern hatten ein Urvertrauen in uns Kinder. Sie wussten, wie wir gelernt hatten, in den Wiesen, an den Bächen, in den Bergen zurechtzukommen. Heute haben die Kinder keine Freiheiten mehr. Man baut überall Zäune um sie herum, ob im Haus, im Schulhof, in den Ferien. Kinder können keine Erfahrungen mehr machen. Sie klettern nicht mehr auf einen Baum, weil man sie nicht lässt. Sie haben kaum Platz, um zu spielen oder frei herumzutollen. Die Eltern haben wenig Vertrauen in ihre Kinder, weder in die motorischen noch in die kognitiven Fähigkeiten.

Wodurch ist dieses Vertrauen verloren gegangen?

Weil die Eltern zu wenig Zeit für und Angst um die Kinder haben. Wenn ich Kinder nur umzäune, können sie nie Erfahrungen machen und mit Gefahren zurechtkommen.

Der Nanga Parbat wurde zum familiären Schicksalsberg. Vor 50 Jahren starb Ihr Bruder Günther im Himalaja, nur Reinhold kehrte zurück. Schwebte über der Familie die Schuldfrage?

Es war weniger eine Schuldfrage, sondern ein Unverständnis davon, was am Nanga Parbat passiert war. Keiner von uns hatte eine Idee, wie groß diese Berge waren. Es gab einen Riss in der Familie, weil man indirekt versucht hat, Reinhold einer Schuld zuzuführen, dass er den Bruder nicht nach Hause gebracht hat. Dabei hatten wir vergessen, dass auch Reinhold einen Bruder verloren hat und nicht nur wir, und er darunter sehr gelitten hat. Lange war eine Sprachlosigkeit da.

Wie hat sich die Familie versöhnt?

Indem man nach vielen Jahren begonnen hat, darüber zu reden. Nachdem ich mit Reinhold unterwegs war, bin ich als Vermittler dagestanden. Im Jahr 2000 hat man den Knochen und später den Schuh von Günther gefunden, und 2006 sind wir als gesamte Familie hingefahren. Wir haben den Nanga Parbat umrundet und waren an der Stelle, wo Günther verunglückt ist und Reinhold eine Art Grabstätte errichtet hat.

Wie ist es, wenn Sie und Reinhold heute zusammenkommen?

Dann diskutieren wir viel, über das Weltgeschehen, oder jetzt über die Corona-Krise. Er ist sanfter geworden, hat gelernt zuzuhören. Ich hab mich mit ihm immer wohlgefühlt, aber es war nicht immer einfach mit Reinhold. Ich habe den Eindruck, dass er seine Familie heute mehr braucht als früher.

Inspirierend

 

Hubert Messner erzählt seine anregende, lebensbejahende Geschichte. Die Kapitel verbinden die Erfahrungen von Ko-Autor Lenz Koppelstätter, Vater eines Frühchens, das von Messner behandelt wurde.

  • Hubert Messner: „Der schmale Grat“, Ludwig Verlag, 224 S., 22,70 Euro

 

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Autor
Bernhard Lichtenberger
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