Als aus "Österreich ob der Enns" Oberösterreich wurde
"Deutsch-Österreich" hat sich gegründet: In Linz findet eine große Kundgebung statt, der kaiserliche Statthalter zieht sich zurück
Vorab fuhr der Arbeiterradfahrerbund, gefolgt von Spitzen der Sozialdemokratie im Land. Präsent waren auch Vertreter der Christlich-Sozialen Partei, der bürgerliche Mittelstandsverein, der Sängerbund Frohsinn und Abgeordnete des deutschnationalen "Deutschen Volksbunds".
Gemeinsam hatten die drei großen politischen Lager in Linz für den 1. November 1918 zu einer Kundgebung aufgerufen. Anlass war die zwei Tage zuvor in Wien erfolgte Gründung "Deutsch-Österreichs" – jenes Teils der zerfallenden Donaumonarchie, der von einer deutschsprachigen Bevölkerung besiedelt war und der, so die später enttäuschte Hoffnung der Gründer, auch die deutschsprachigen Gebiete in Böhmen, Mähren und Schlesien umfassen sollte. Noch ist offen, ob der Staat Monarchie bleiben soll oder Republik wird (diese wird offiziell am 12. November ausgerufen).
"Freie Bürger und Bürgerinnen, deutsche Offiziere und Soldaten des freien Oesterreich! Versammelt Euch morgen, den 1. November, ½ 11 Uhr vormittags auf den Südbahnhofgründen", hatten der Sozialdemokrat Josef Dametz (er wird 1919 Bürgermeister von Linz), der Christdemokrat Georg Pischitz und der Deutschnationale Franz Langoth (er wird 1944 als Nationalsozialist Linzer Bürgermeister) in den Zeitungen appelliert.
"Hoch der Friede"
Die Kundgebung setzt sich in Gang. Ziel ist der Linzer Hauptplatz, damals Franz-Josephs-Platz. Das Wetter ist – typisch November – regnerisch-nass. Dennoch zählen Beobachter bis zu 30.000 Teilnehmer, die am Hauptplatz den vom Rathausbalkon gehaltenen Reden von Dametz, Pischitz und Langoth lauschen. Auf den Tafeln, die die Kundgebungsteilnehmer bei sich tragen, steht unter anderem "Hoch der Friede", "Her mit dem Frauenwahlrecht" und "Fort mit dem Militarismus".
Euphorie ist keine zu spüren. Das lassen die Umstände (Nahrungsmangel, Sicherheitsprobleme etc.) nicht zu. Die Menge an Leuten verleiht der Kundgebung aber Staatstragendes.
Gänzlich ohne Pomp und Zeremonie verläuft tags darauf, am 2. November 1918, ein Ereignis mit landesgeschichtlicher Tragweite: Der kaiserliche Statthalter Erasmus von Handel übergibt die Amtsgeschäfte an den christlich-sozialen Landeshauptmann Johann Nepomuk Hauser. Hauser bildet eine provisorische Landesregierung, seine Stellvertreter sind Josef Gruber (SP), Max Mayr (CS) und Franz Langoth (Volksbund). Die Rolle des Landeshauptmanns entspricht nun mehr dem heutigen Verständnis.
Vom Tor der Statthalterei wird in aller Stille der Kaiseradler abgenommen, die Militärbehorden streichen das "k. u. k.". Und als Landesbezeichnung setzt sich auch amtlich "Oberösterreich" durch. Im allgemeinen Sprachgebrauch war das längst die gängige Bezeichnung, nun verschwindet das bisherige, erzherzögliche "Österreich ob der Enns" auch aus Amtsdokumenten. Fortan ist nur noch von Oberösterreich die Rede. Auch dies ist ein Neubeginn.
1./2. November 1918
Friedrich Adler wird amnestiert und aus der Haft entlassen – der SP-Politiker und Sohn von Victor Adler hatte 1916 den österreichischen Ministerpräsidenten Karl Stürgkh erschossen.
Nächster Serienteil, morgen, Samstag
herzlichen Dank für diesen Artikel. Mehr so! Ich lese die immer mit großem Interesse - ich hoffe, auch viele andere, die damals noch nicht auf der Welt waren, also "Nachgeborene" sind.
Bei den dzt.Berichten (ORF...) wird ja leider mal wieder viel zu wenig auf OÖ eingegangen. IMHO.
zuwenig im ORF - das mag punktuell stimmen. DARUM lese ich NICHT ¡ EINE Zeitung.
ich lese sehr gerne geschichtliche Bücher, vor allem über die letzten 150 Jahre.
Nur eine Zeitung - auch eine Zeitfrage, ehrlich gesagt. Aber Sie haben in dem Punkt natürlich recht, dass man sich möglichst vielseitig informieren sollte, gerade was uns Betreffendes (=Geschichte) betrifft.
Das habe ich mit großem Interesse gelesen. Ich finde solche Geschichts-Texte in der OÖN gut.
die Redaktion klick online@nachrichten.at freut sich über ein E-Mail