Brückeneinsturz in Genua: Streit um Schuldige
GENUA. Nach dem Brückeneinsturz von Genua mit 42 Toten werden noch viele Menschen vermisst - und die Schuldzuweisungen gehen weiter. Mitglieder der neuen populistischen Regierung machten am Mittwoch den privaten Betreiber der Autobahn für das Unglück verantwortlich. Die Vize-Regierungschefs Luigi Di Maio und Matteo Salvini zeigten mit dem Finger in Richtung früherer Regierungen und der EU.
Während eines schweren Unwetters war am Dienstagmittag der 40 Meter hohe Polcevera-Viadukt, der auch Morandi-Brücke genannt wird, auf einem etwa 100 Meter langen Stück eingestürzt. Die Brücke ist Teil der Autobahn 10, die auch als Urlaubsverbindung "Autostrada dei Fiori" bekannt und eine wichtige Verbindungsstraße nach Südfrankreich, in den Piemont und die Lombardei ist.
Einjähriger Ausnahmezustand in Ligurien
Nach dem Einsturz der Autobahnbrücke hat die italienische Regierung einen zwölfmonatigen Ausnahmezustand für die Hafenstadt verhängt. Bei einer Krisensitzung des Ministerrates am Mittwoch in Genua sei außerdem eine Soforthilfe von fünf Millionen Euro freigegeben worden, sagte Ministerpräsident Giuseppe Conte.
Der Ministerpräsident will auch den Autobahnbetreiber Autostrade für den Einsturz in die Pflicht nehmen. Dieser sei für die Sicherheit der Brücke verantwortlich gewesen, und die Regierung werde nicht den Abschluss von strafrechtlichen Ermittlungen in der Causa abwarten, betonte er, ohne Details zu nennen.
ORF-Korrespondent David Runer berichtet aus Genua über die Suche nach Überlenden, die mögliche Ursache des Unglücks und die Auswirkungen auf den Reiseverkehr:
Papst Franziskus gedachte auf dem Petersplatz vor 20.000 Gläubigen der Opfer. Die Staatsanwaltschaft gab die vorläufige Zahl der Toten mit 42 an, während die Präfektur von 39 sprach. Unter den Opfern sind mindestens drei Minderjährige im Alter von acht, zwölf und 13 Jahren. 16 Menschen seien verletzt, der Zustand von zwölf Menschen sei kritisch, teilte die Präfektur mit.
Es werde erwartet, dass die Zahlen weiter steigen, sagte Regionalpräsident Giovanni Toti laut Nachrichtenagentur Ansa nach einem Besuch von Verletzten in einem Krankenhaus zusammen mit Regierungschef Giuseppe Conte. Für den Großteil der Verletzten gebe es gute Heilungschancen. Es gebe aber unter der Brücke noch immer "zahlreiche Vermisste", sagte Toti. Rettungskräfte berichteten von Fahrzeugen, die noch immer in den Trümmern zu sehen seien. Italien will eine Staatstrauer für die Opfer ausrufen.
Unter den Toten der Katastrophe sind auch drei Franzosen. Man stehe in engem Kontakt zu den italienischen Behörden, um herauszufinden, ob möglicherweise noch weitere Landsleute bei der Katastrophe ums Leben gekommen seien, teilte das französische Außenministerium mit. Zwei rumänische Staatsbürger wurden ebenfalls identifiziert, teilte das Außenministerium in Bukarest mit.
Keine Hinweise auf österreichische Opfer
Bisher gab es keine Hinweise auf mögliche österreichische Opfer unter den Dutzenden Toten und Verletzten. Das gehe aus einer aktuellen Mitteilung des Konsulats hervor, hieß es am Nachmittag auf APA-Anfrage im Außenministerium in Wien.Die italienischen Behörden führten demnach keine Österreicher unter den Betroffenen. Auch ein Rundruf in den Krankenhäusern von Genua habe keine derartigen Hinweise ergeben, betonte ein Außenministeriumssprecher. Es hätten sich auch keine österreichischen Angehörigen gemeldet, die jemanden im Raum Genua vermissen.
Schuldzuweisungen
Gegen den Betreiber Autostrade per l'Italia seien in Italien Schritte eingeleitet worden, um die Lizenz für die Straße zu entziehen und eine Strafe von bis zu 150 Millionen Euro zu verhängen, erklärte Verkehrsminister Danilo Toninelli am Mittwoch. Er forderte das Management zum Rücktritt auf. Auch der Fünf-Sterne-Chef und Vize-Ministerpräsident Luigi Di Maio machte das Unternehmen für die Tragödie verantwortlich, das von allen Vorgängerregierungen gedeckt worden sei. Das Unternehmen verteidigte sich gegen die Vorwürfe: Die Brücke sei alle drei Monate kontrolliert worden.
Nach Ansicht von Innenminister Salvini untergraben die europäischen Vorgaben zum Haushaltsdefizit die Sicherheit des Landes. Geld, das für die Sicherheit ausgegeben werde, dürfe "nicht nach den strengen (...) Regeln berechnet werden, die Europa uns auferlegt", sagte der EU-kritische Politiker am Mittwoch dem Sender Radio24. "Immer muss man um Erlaubnis fragen, um Geld auszugeben", prangerte er an. Davon dürfe aber nicht die Sicherheit auf den Straßen, bei der Arbeit und in den Schulen, "in denen immer mal wieder die Decken einstürzen", abhängen.
EU-Kommission widerspricht Salvini
Die EU-Kommission hat die Vorwürfe der italienischen Regierung zurückgewiesen, nach denen Brüsseler Sparvorgaben für die marode Infrastruktur des Landes mitverantwortlich seien. EU-Staaten könnten politische Prioritäten im Rahmen der geltenden Haushaltsregeln selbst festlegen - "zum Beispiel die Entwicklung und den Erhalt der Infrastruktur", sagte ein Sprecher am Mittwoch. Tatsächlich habe die EU Italien sogar dazu ermuntert, in die Infrastruktur zu investieren.
Der italienische Innenminister Matteo Salvini hatte infolge des Brückeneinsturzes am Dienstag beklagt, die strengen europäischen Defizitregeln stünden der Sicherheit des Landes im Wege. Der Sprecher der EU-Kommission betonte hingegen, Italien erhalte im aktuellen Budgetrahmen 2014 bis 2020 insgesamt 2,5 Milliarden Euro aus dem Europäischen Struktur- und Investitionsfonds, etwa für Investitionen ins Straßen- oder Schienennetz. Zudem habe die Behörde im April italienische Pläne zur Verlängerung zweier Autobahnkonzessionen sowie eine Obergrenze für die Mautgebühren auf diesen Autobahnen genehmigt. Dies solle Investitionen von rund 8,5 Milliarden Euro ermöglichen - unter anderem in der Region von Genua.
Der Sprecher betonte, die EU-Kommission sei in engem Kontakt mit den leitenden Ermittlungsbehörden und bereit, bei Bedarf Hilfe zu leisten. Man werde sich jedoch nicht daran beteiligen, mit dem Finger auf jemanden zu zeigen. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hatte bereits am Dienstag sein Mitgefühl mit den Familien und Freunden derer, die gestorben sind, sowie dem italienischen Volk ausgedrückt.
Augenzeugen: Blitz schlug ein
Augenzeugen hatten berichtet, dass kurz vor dem Einsturz ein Blitz in die Brücke eingeschlagen habe. Doch Staatsanwalt Francesco Cozzi ließ im Gespräch mit RaiNews24 erkennen, dass auch die Ermittler von menschlichem Versagen als Ursache ausgehen. Zum jetzigen Zeitpunkt von einem Unglück zu reden, obwohl es sich bei der Brücke um ein "Werk von Menschen" handle, das Instandhaltungen unterzogen worden sei, "erscheint mir ziemlich gewagt", sagte Cozzi.
Die Infrastruktur in Italien ist vielerorts dramatisch veraltet. Die Katastrophe an der "kranken Brücke", wie "Corriere della Sera" sie nennt, lässt nach mehreren weniger dramatischen Einstürzen in den vergangenen Jahren nun die Alarmglocken umso lauter schrillen. Laut der Tageszeitung "La Repubblica" sind um die 300 Brücken und Tunnel marode.
Geschichte der Brücke
Der Polcevera-Viadukt wurde 1967 eingeweiht, führt im Westen von Genua unter anderem über Gleisanlagen und ein Gewerbegebiet und hat eine Gesamtlänge von 1182 Metern. Zum Zeitpunkt der Tragödie waren laut Betreibergesellschaft Bauarbeiten im Gange. Mehrmals gab es Diskussionen um eine Alternative für die Brücke, an der ständig gearbeitet werden musste.
Der Ingenieur Riccardo Morandi entwarf Brücken auch in anderen Ländern der Welt: Im Westen von Venezuela etwa überspannt die rund 8,6 Kilometer lange General-Rafael-Urdaneta-Brücke den Maracaibo-See und verbindet die Erdölstadt Maracaibo mit dem Rest des Landes. Im April 1964 riss ein Öltanker zwei Stützpfeiler ein. Sieben Menschen, die zum Zeitpunkt des Unglücks über die Brücke fuhren, kamen dabei ums Leben. Die Brücke ist heute wieder in Betrieb.
In Kolumbien baute Morandi in den 1970er-Jahren nahe der Hafenstadt Barranquilla die Pumarejo-Brücke über den Magdalena-Fluss. Aufgrund ihres Designs steht die Brücke schon länger in der Kritik, weil sie recht niedrig ist und damit die Durchfahrt großer Schiffe verhindert. Derzeit wird in der Nähe eine neue Brücke gebaut. Nach der Fertigstellung soll die Pumarejo-Brücke abgerissen werden.
Geschmacklose Kommentare von Volksvertretern, sehr schade und bedauerlich. Kann man nur hoffen, dass nun generell vergleichbare Brücken kontrolliert werde und sichergestellt, dass sich das nicht wiederholt. Dafür muss immer Geld da sein, egal wie sehr ansonsten gespart wird, die Menschenleben sind es wert.
Kein Land bemautet ihre Autobahnen so lange wie Italien;
man fragt sich wo versickert deren Geld?
Ein Mafia- und Operettenstaat, nichts weiter!
Die haben aber auch verdammt viele Tunnels und Brücken.
Anstatt schleunigst und sofort und unmittelbar und mit allen Mitteln ...
1. die Opfer zu bergen,
2. den Geschädigten zu helfen,
3. weitere Schäden aus der Erfahrung zu vermeiden ...
fällt den §-Politikern-§ und Dampfplauderern sonst nix ein als mit dem Finger auf die Schuldigen zu zeigen. Das Pfaffenunwesen auf der Kanzel war früher irgendwie logischer, die jetzigen Amateure sind heillos überfordert und die Pfaffen taugen auch nix mehr
Die EU ist Schuld !
(Wahrscheinlich, weil sie so oft drübergefahren sind)
Geht's noch dümmer?
Ja, bei den italienischen Politikern sicher.
weyermark,
es sind die Rechtspopulisten, welche der EU die Schuld geben, nicht die italienischen Politiker, nur die Rechtspopulisten in der italienischen Politik.
Alles klar !
Habe nicht gewußt, daß italienische Rechtspopulisten
Politiker und in der Regierung sind.
Es ist ungeheuerlich, Schuldzuweisungen auszuteilen, bevor die Ursache der Tragödie feststeht.
Mein Mitgefühl den Verletzen und Angehörigen der Todesopfer!
oder doch nicht???
Ein privater Betreiber der Autobahn?
- Kennt ihr die Eigentumsverhältnisse?
- Kennt ihr, wieviel Mitspracherecht der Staat darin hat?
- Kennt ihr die Sicherheitsvorschriften, welche vom Staat erlassen werden?
- Wurden diese Vorschriften eingehalten, oder nicht?
Es gibt Vorschriften. Diese gelten für den Staat und gelten für den privaten Betreiber. Oder kennt ihr genau einen Unterschie bei diesem Unfall in Genua? Vermutungen, nichts als Vermutungen.
Übrigens die ASFINAG ist auch eine private Firma!
@Till-Eulenspiegel
mit dem kleinen Unterschied, dass die ASFINAG immer noch dem Staat Österreich gehört, im Gegensatz zur Autostrade die der Familie Benetton gehört.
fai1,
blödsinn, bei dieser, deiner Antwort traue ich mir auch einmal so (blödsinn) zu schreiben!
Sie sollen nicht "den" Schuldigen suchen, sondern, wie es ein Experte(Name ist mir entfallen) bei A. Wolf erklärte das "System" der Vergabe durchleuchten und optimieren. Dann wäre meiner Meinung nach schon das Gröbste behoben.
Typisch Italien - nach so einer Katastrophe sucht man immer die Schuldigen. Vorher war alles palletti.
Du meinst,
wer jetzt vorgibt, den Schuldigen zu kennen,
macht sich verdächtig?
Frage :
soll(t)en wir uns in Linz " glücklich fühlen " dass die alte Eisenbahnbrücke abgerissen wurde und neu gebaut wird ?
Nein nicht unbedingt, denn
Zunächst gilt es zu unterscheiden:
A) Sicherheit:
Wenn laufend Kontrollen durchgeführt werden und die Mängel ausgebessert werden, wie es in Österreich der Fall ist, sollte eigentlich nix passieren.
Wenn aber nichts mehr investiert wird, wie bei der alten Eisenbahnbrücke, was ich schade fand und heftig kritisiert habe, verfällt sie und so musste sie gesperrt werden.
"Glücklich" fühle ich mich dabei nicht.
.
B) Leistungsfähigkeit
Wenn der Bestand nicht mehr ausreichend Leistungsfähig ist (zu viel Verkehr), ist eine Alternative zu überlegen.
Dann können wir uns glücklich schätzen eine neue Brücke zu erhalten. Ob da die alte abgerissen werde musste ist eine andere Sache- es hätte ein weitere Lösung/ Verwendung dafür geben können (zB Weiterbestehen als Fuss- und Radwegbrücke weiter Stromabwärts. .)
.
Aber: Angesichts dieser schrecklichen Bilder bin ich froh, dass es bei uns diese ernsthaften Inspektionen gibt!
Ausschlag gebend war letztendlich,
daß der Statiker in seinem letzten Gutachten
klipp & klar gesagt hatte, daß die Brücke
für jeden weiteren Verkehr ein Risiko darstelle,
das er ablehne.
Da müßte nun ein Politiker ein echter Hara Kiri gewesen sein,
die Brücke nicht umgehend für den Verkehr zu sperren.
Der sofortige Abriß, ein Jahr vor einem o.k. zum Neubau
war eine linzerische Entscheidung.
Ich ergänze den Denkmalschutz, der nur mehr begrenzt aufgehoben war und das Spielchen noch um viele Jahre mehr verzögern hätte können.
Frage :
soll(t)en wir uns in Linz " glücklich fühlen " dass die alte Eisenbahnbrücke abgerissen wurde und neu gebaut wird ?
Wieviele Stahlbrücken und wieviele Betonbrücken segnen vorzeitig das Zeitliche?
Wiener Reichsbrücke?