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Was es mit den Pechölsteinen im Mühlviertel auf sich hat

Von Manfred Wolf, 02. Juni 2018, 00:04 Uhr
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Bildergalerie Glöckler, Keramik, Taschenfeiteln: Das ist unser Kulturerbe
Bild: Spitzbart

Mühlviertler "Heilsam": So mancher Pilger stand schon am Johannesweg im Mühlviertel verwundert davor: einem Pechölstein. Riesige Granitsteine, in deren flache Oberfläche eine Art Blatt eingemeißelt ist. Doch was hat es damit auf sich? Manfred Wolf begab sich auf Erklärungssuche ..

Ebenso gut hätte man ein Fragezeichen in den Stein meißeln können. Denn dieses ist den meisten Pilgern ins Gesicht geschrieben, wenn sie vor einem dieser Steine stehen. Doch es ist kein Fragezeichen, sondern ein Blatt. Aber auch das bleibt eine Antwort schuldig. Ihr mystisch anmutendes Geheimnis hüten sie versteinert.

Weil es am Johannesweg rund um St. Leonhard unzählige dieser Steine gibt, suche ich dort nach einer Erklärung und werde einen Steinwurf vom Pilgerpfad fündig. Hier sitzt gerade der Fritz am Waldesrand. Vor ihm glost – auf so einem Stein – ein kleiner Erdhaufen. Aus dem Miniaturmeiler steigt Rauch auf. Er gibt ein eigenwilliges Bild ab.

Was er denn hier mache, will ich wissen. Und der Fritz, Frühwirth mit Nachnamen, gibt bereitwillig Auskunft. "Pechöl brennen." Freilich, der Fritz ist nicht so einsilbig, wie es sich hier darstellt. Wenn er über das Pechöl ins Reden kommt, dann sprudelt es nur so aus ihm heraus, und als Zuhörer klebt man förmlich wie Pech an seinen Lippen.

Mühlviertler "Heilsam"
Ein Blatt in Stein gemeißelt. Bild: VOLKER WEIHBOLD

"Der Heilsam" sei es, den er hier herstelle. "Der Heilsam?", frage ich nach. "Früher", sagt der Fritz, "haben die Leut’ keinen Arzt zur Verfügung gehabt, sie haben sich halt selber helfen müssen." Und wenn es wo gezwickt hat, dann habe man sich eben mit Pechöl eingeschmiert. Vor allem aber die Ochsen, denn ihnen wurde in der Landwirtschaft vor Jahrhunderten – und davon hat dieser Brauch einige auf dem Buckel – besondere Bedeutung zuteil. Darum auch Heilsam, denn mit dem Pechöl wurden Verletzungen und Zerrungen von Tier und Mensch geheilt.

Eine Woche lang Pechöl gebrannt

Der Fritz redet munter drauf los, doch früher wurde dabei kaum geredet. Gebetet hätten die Menschen, weil der Heilsam wegen seiner antiseptischen Wirkung und als Medizin ja fürs Überleben wichtig gewesen sei. Bis zu einer Woche – je nach Größe des Steines – habe es gedauert, bis aus dem harzigen Holz das Pechöl herausdestilliert war. Eine Männerarbeit sei es gewesen, die Frauen hätten nur Essen gebracht.

Mühlviertler "Heilsam"
Seorgfältig spaltet Fritz das Holz auf ... Bild: VOLKER WEIHBOLD

Fritz brennt auf einem kleinen Stein. Er brauche ja nicht so viel und wenn doch, dann kann er ja Neues brennen. Zumindest rund um die Sommersonnenwende. Warum nur dann, will ich wissen und frage, um die Ecke denkend, ob es eine mystische Erklärung dafür gebe. "Nein, weil der Stein nur dann warm genug ist", erklärt Fritz nachsichtig. Ist der Stein nämlich zu kalt, erstarrt das Harz dort, wo es durch die blattähnlichen, in den Stein gemeißelten Rillen zusammenrinnt und durch den "Stängel" in ein Gefäß tröpfeln soll. Und dann würde der wertvolle Heilsam verbrennen, "weil im Meiler wird es bis zu 800 Grad heiß". 20 Grad müsse der Stein mindestens warm sein und deswegen seien die Steine südlich – also zur Sonne hin – ausgerichtet.

Mühlviertler "Heilsam"
... schlichtet es und deckt es ab. Bild: VOLKER WEIHBOLD

Auch wie der Meiler aufgebaut ist, sei wichtig. Ganz eng müsse das Kienholz geschlichtet werden. Weil je weniger Luft dazwischen sei, desto besser funktioniere es. Das Holz decke er dann mit Fichtenzweigen ab, damit von den "Wasen", also den Rasenziegeln, mit denen er den Meiler abdeckt, keine Erde ins Pech bröselt. "Dann wird oben angeheizt", sagt der Fritz. Und mit den Wasen reguliert er dann die Luftzufuhr. "Darum musst du auch ständig dabei bleiben, weil sonst brennt dir alles ab."

Warum nur Lärchen- und Föhrenholz?

Das Holz dürfe übrigens ausschließlich Föhre oder Lärche sein, erklärt er. "Weil nur die das Harz nicht freigeben." Ein Widerspruch denke ich, bevor der Fritz weiterredet: "Andere Bäume geben Harz nach außen ab, wenn sie verletzt sind. Föhre und Lärche nicht. Wenn diese Bäume verletzt sind, dann schützen sie sich an der Bruchstelle innen mit Harz." Genau diese Stellen seien es, die der Pechölbrenner sucht. "Weil nur die so richtig harzreich werden."

Mühlviertler "Heilsam"
"Dann wird oben angeheizt." Bild: VOLKER WEIHBOLD

Jetzt haben der Fritz und ich schon gut zwei Stunden geredet, wahrscheinlich rieche ich schon wie ein Waldbrand. Da laufen die ersten Tropfen heraus. Allerdings Wasser. "Das darfst du nicht wegschütten", erklärt er. "Das macht das Pechöl haltbar." Kurz darauf tröpfelt auch das Pechöl. "Das ist für die Leute. Wenn es dunkler wird, ist es das Pechöl für die Tiere. Und zum Schluss kommt das Reampech."

"Reampech?", frage ich nach. "Riemen. Damit die nicht so rutschen, das pickt dann richtig. Und wenn du es mit Talk vermischt, ist es ein Schmiermittel." Aber auch als "Bremer"-Öl sei es hergenommen worden. "Die mögen den Geruch nämlich nicht", sagt der Fritz und holt aus: "Früher gab’s auch die Schweinepest. Und wenn die grassierte, dann hat man die Holzplanken vom Stall mit dem Öl eingestrichen und die Pest hat Halt gemacht. Und bei der Maul- und Klauenseuche haben sie den Tieren in Pechöl getränkte Strohbuschen zum Kauen gegeben. Das hat geholfen."

Mühlviertler "Heilsam"
Der Heilsam kommt tröpfchenweise.

Er selbst schmiert sich Pechöl auf alle Wehwechen. Auch wenn er einen Zecken hat – dann aber nur das mit Talk verdünnte Öl. "Sonst brennt es dir die Haut weg, weil es so scharf ist." Wenn er es mit der Lunge zu tun hat, dann fährt er mit einem Zahnstocher in das unverdünnte Pechöl und nimmt es ein. Nachrennen tut der Fritz aber keinem. Die Leute kämen halt zu ihm. Oft, wenn nichts mehr hilft, dann fänden sie ihn im Internet und schrieben ihm.

Der Mann hat eine Eselsgeduld

Der Fritz brennt schon seit gut 50 Jahren. Seit er halt ein kleiner Bub war. Da hat er schon die Tiere "hirten" müssen. Und dabei hat er dem Nachbarn zugeschaut, wie er Pechöl gebrannt hat. Der kleine Fritz hat damals auch lästig nachgefragt. Wobei, lästig findet er es ja nicht, wenn ihm wer Fragen stellt. Auch Ärzte hätten ihm schon gebannt zugehört. Mit einer Eselsgeduld antwortet er. "Sonst verschwindet dieses Wissen irgendwann." Aber der Fritz ist zuversichtlich. Zum einen, weil Pechölbrennen auch immaterielles UNESCO-Kulturerbe ist, zum anderen, weil sich wieder junge Leute dafür interessierten. "Wie der Mario", sagt er.

Der Mario heißt mit Nachnamen Thauerböck, und bei ihm kommt man unweigerlich vorbei, wenn man am Johannesweg Richtung Kaltenberg wandert. Dorthin geht die Reise jetzt auch, und ich verabschiede mich vom Fritz.

Mühlviertler "Heilsam"
Gemeinsam mit Karl Kern schlichtet Mario Thauerböck (links) das Holz auf dem Pechölstein. Bild: Thauerböck

Über den "Hoadaberg", einen Aussichtsberg am Johannesweg, gelange ich kurz vor Kaltenberg nach Silberberg. Dort bewirtschaftet Mario seit 12. 12. 2012 den Hof. Seit drei Jahren im Vollerwerb. Der Mario geht also den umgekehrten Weg und zeigt, dass man auch als kleiner Vollerwerbsbauer gut leben kann. Freilich, von der Landwirtschaft alleine ginge das nicht. Er brennt Schnaps sowie Whisky – und eben auch Pechöl. Alles gibt es bei dem Biobauern, der vor wenigen Wochen zum zweiten Mal Papa geworden ist, im Verkaufsladen. Hier können sich die Pilger auch laben. Wasser gibt es draußen zu Gotteslohn, Schnaps gegen einen kleinen Obolus – im Gottesvertrauen.

Der Fritz habe ihm und seinem Brenn-Kollegen, dem Karl Kern, alles gezeigt, erzählt er. Damals habe er Feuer gefangen. Wahrscheinlich so, wie einst der kleine Fritz. Sobald es geht, baue er einen Meiler im Garten auf. Sehr zum Interesse der Pilger. Wie ein Feuerwerk redet Mario jetzt drauf los und erzählt von den Pecherern, die früher mit Bottichen von Haus zu Haus gegangen sind, um den Heilsam zu verteilen. Als Gegenleistung gab’s Speck oder Ähnliches, weil verkaufen durfte man ihn nicht, sonst hätte er nicht geholfen.

So freigiebig kann er freilich nicht sein, denn er muss ja auch von etwas leben und so ein Brennvorgang dauere immerhin 24 Stunden. Aber es gehe dabei ja auch um einen Energieausgleich. Die Energie, die er reinsteckt, werde ihm halt nicht mehr mit Speck entgolten, sondern mit Geld ... Ohnehin hätten die wenigsten Pilger Speck dabei.

Mühlviertler "Heilsam"
Bild: VOLKER WEIHBOLD

Und im Pechöl stecke reichlich Energie von ihm: "Um fünf Uhr in der Früh fangen wir an – du musst immer dabei bleiben. Weil wenn der Rauch blau statt weiß wird, dann passt es mit der Luft nicht. Wenn du dann am nächsten Tag fertig bist, dann bist du selbst auch fertig. Das raubt dir Energie, das ist halt was Mystisches", sagt Mario.

Mit Pechöl ausgestattet gehe ich weiter. Zum Augenbründl in Kaltenberg, wo ich mir die Augen wasche. Das soll auch helfen. Warum? Das ist wieder so ein Fragezeichen.«

 

Seit Generationen bekannt

Auf Betreiben von Hermann Sandner aus Kefermarkt (Bezirk Freistadt) wurde das Pechölbrennen im östlichen Mühlviertel in den Katalog des immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen. Sandner und Fritz Frühwirt aus St. Leonhard – sowie seit wenigen Jahren auch Mario Thauerböck – zählen zu einem kleinen Kreis, die heute noch Pechöl brennen.

Bei der Aufnahme zum Kulturerbe haben der Soziologe Roland Girtler sowie der Heimatforscher und Ethnologe Kurt Lettner aus Mauthausen je eine Unterstützungserklärung abgegeben. Darin hielt Lettner fest: "Pechöl ist seit Generationen als Mittel für Human- und Veterinärmedizin im Bereich der Volksmedizin bekannt und wird seit Generationen angewendet." Girtler schrieb: "Das Pechölbrennen vermittelt ein Gefühl einer engen Beziehung von Mensch und Natur."

Bei einer Zählung aus dem Jahr 1939 wurden 128 Pechölsteine registriert (Mühlviertel und Krumau), 93 davon im Bezirk Freistadt.

Weitere immaterielle Kulturerbe aus Oberösterreich sind:

  • Aberseer Schleuniger
  • Apothekeneigene Hausspezialitäten
  • Landschaftskrippen Salzkammergut inklusive der beliebten Kripperlroas, etwa in Ebensee
  • Mollner Maultrommel
  • Ebenseer Fetzenzug
  • Ebenseer Glöcklerlauf
  • Linzer Goldhaube (Bild)
  • Hinterglasmalerei in Sandl
  • Innviertler Landler
  • Lichtbratlmontag
  • Liebstattsonntag in Gmunden
  • Märchenerzählen
  • Mühlviertler Handblaudruck
  • Volkstanzbewegung
  • Sensenschmieden
  • Pechölbrennen
  • Ratschen
  • Rudentanz in Sierning
  • Vogelfang im Salzkammergut
  • Stille Nacht
  • Trattenbacher Taschenfeitel
  • Traunkirchner Mordsg’schicht
  • Windischgarstner Niglo-Umzug
  • Wirlinger Böllerschützen
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Die Rückkehr der Wildtiere

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