Lade Inhalte...
  • NEWSLETTER
  • ABO / EPAPER
  • Lade Login-Box ...
    Anmeldung
    Bitte E-Mail-Adresse eingeben
    Bitte geben Sie Ihre E-Mail-Adresse oder Ihren nachrichten.at Benutzernamen ein.

gemerkt
merken
teilen

Offroad, Offline, Offshot

17. März 2018, 00:04 Uhr
Offroad, Offline, Offshot
Der 65-jährige Innviertler Hans Berner hat kein Smartphone, er ist aber mit seinem alten Telefon trotzdem auf Draht. Bild: privat

„Meine Freunde warnen mich. Ohne Internetzugang würde ich früher oder später ein zurückgebliebener Einzelgänger werden.“ Ein Gastkommentar von Hans Berner*

Wie stellen Sie sich einen Internet-Verweigerer vor? Vielleicht denken Sie an einen zurückgebliebenen Sturkopf, der den Anschluss an die moderne Zeit verpasst hat und im Survival of the Fittest unter die Räder kommt. Wer nicht mit der Zeit geht, geht eben mit der Zeit.

Ich bin ein solcher Verweigerer, ein Offliner aus Trotz. Meine Freunde warnen mich. Ohne Internetzugang würde ich früher oder später ein zurückgebliebener Einzelgänger werden, der sich weder wichtige Daten beschaffen kann, noch Zugang zu preisgünstigen Angeboten hat. Bald schon könne ich auch meine Bank- und Versicherungsgeschäfte nicht mehr erledigen, und wenn dann auch noch das Bargeld abgeschafft wird, könnte ich wohl nur mehr in einem betreuten Seniorenheim weiterleben.

Ohne Handy unterwegs zu sein, sei sowieso verantwortungslos und gefährlich: Weder könne ich im Notfall Hilfe herbeirufen, noch sei ich erreichbar, wenn man mich dringend brauche. Dass Handylosigkeit asozial macht, merke ich am Stammtisch, wo die Wundertaferl reihum wandern und liebevoll gedrückt und gestreichelt werden, während ich weder ein cooles Selfi, noch ein Wahnsinnsschnäppchen zu offerieren habe. Nicht einmal an der Beschau der anderen Handys kann ich mich beteiligen, weil ich meine Lesebrille wieder einmal nicht mithabe.

Wie wird man denn zu so einem trotzigen und zuversichtlich der Vergangenheit entgegenlebenden Fortschrittsverweigerer?

***
On the road fing es an. Die Rucksackreisen machten mich zum Selbstdenker und Sparmeister. Das Sparen beginnt beim Packen des Rucksacks und endet bei den wilden Nächtigungen im Schlafsack. Meine gewohnte Welt erlebte einen massiven Umbruch. Ich lernte, mich zu behaupten und kam als neuer Mensch nach Hause.

Offroad bedeutet einen weiteren Schritt in diese Richtung. Ich verlasse die Straße, mache eine Trekkingtour in die Wildnis oder lerne einen zivilisationsfernen Selbstversorger kennen, da erfahre ich ein weiteres Mal: Man sieht so viel, das es wert ist, näher betrachtet zu werden, und braucht so wenig.

Offroad hat viel mit offline zu tun. Beide Begriffe bedeuten abgekoppelt sein, unplugged, um ein weiteres Neuwort zu verwenden. Ist man ein Individualist, der den Anschluss an den Mainstream nicht sucht, ist es zwar nicht einfach, aber befreiend, abseits der saftigen Weiden der Internet-Schnäppchenwiesen sein Leben zu führen. Ich lebe allein in einem kleinen Häuschen auf dem Land, nicht ganz so bedürfnislos wie seinerzeit Thoreau, als er Walden schrieb, aber immerhin ohne Kühlschrank, Geschirrspüler und Handy, vor allem aber offline. Und offshot, weg vom Schuss, vom Trend, von den neuesten Verkaufsschlagern, den hippsten Events und anderen Verrücktheiten.

Ich fühle mich jung und leicht, weil ich das ganze Zeug nicht brauche, aber gleichzeitig auch alt und schwer, weil ich von diesem technologischen Tsunami überrannt werde wie ein Achtzigjähriger. Der sogenannte Fortschritt lässt mich nicht zur Ruhe kommen, zwingt mich dazu, immer mehr zu lesen, wogegen sich mein Kopf sträubt: Bedienungsanleitungen, Versicherungspolizzen, Sicherheitsvorschriften und anderes sperriges Zeug.

***
Ich stelle mir vor, dass der Begriff weg vom Schuss aus der Kriegsberichterstattung kommt. Wer weg vom Schussfeld ist, weiß nichts über den Verlauf des Kampfgeschehens, hinkt der Zeit hinterher, setzt sich aber auch nicht den Schüssen aus. Auf die digitalen Kommunikationssysteme und Bedienungsschienen übertragen, schützt sich der Fortschrittsverweigerer vor den Schüssen, die nach hinten losgehen – und derer sind gar nicht wenige: Deine Daten werden nicht nur von den Stellen erfasst, die dazu berechtigt wären. Du tappst immer leichter in die Fallen der Cyberkriminalität. Du trägst zur Verarmung der kommunalen Infrastruktur bei, weil Geschäfte schließen und Arbeitsplätze wegfallen, wenn immer mehr bei Amazon & Co. gekauft wird. Du wirst immer abhängiger von immer mehr Leistungen, die du vorher nicht brauchtest. Du musst immer mehr verdienen, um dir diese Dinge leisten zu können. Dazu musst du immer mehr arbeiten, wofür du dich mit immer mehr Käufen trösten wirst ...

***
Man hat es nicht leicht als Offliner. Du fragst einen Freund etwas, und schon tippt er sich in das weltweite Netz, liest dir vor, was da alles erklärt wird und zu verkaufen ist. Anschließend bekommst du wie bei einer Werbefahrt einen ausführlichen Vortrag über die weltöffnende Sonnenseite des WWW. Ich fühle mich dabei wie ein offroad lebender Farmer, dem ein Besucher ständig vom Luxus des Stadtlebens vorschwärmt. Das WWW wird dabei zum Sägeblatt, das mir im Nacken sitzt, und ich ersetze es durch das runde OOO (siehe Titel).

Immer mehr geht ohne Internet nicht mehr. Alte Menschen fühlen sich immer isolierter und unfähiger, sich in dieser hereinbrechenden Technowelt zurechtzufinden. Sie sind immer mehr auf Hilfe angewiesen, können von ihren Kindern aber immer weniger Hilfe erwarten. Für mich ist es noch leicht, offline zu leben, ich bin erst 65, habe keine finanziellen Schwierigkeiten und leide vor allem nicht an Langeweile. Ich kann mir aber gut vorstellen, wie es einem digital zurückgebliebenen Konsumverweigerer wie mir in nächster Zukunft gehen wird.

Wollen Sie sich ein Bild davon machen, dann versuchen Sie, wie ich vor etlichen Jahren, ohne Autobahnvignette und GPS, ganz legal auf den Bundesstraßen an Ljubljana vorbei durch Slowenien zu fahren. Jeder Wegzeiger führte mich zu Mautstraßen. Ich kurvte stundenlang durch Vororte und kam immer wieder von der Richtung ab.

Ein ähnlicher Horror könnte es für ältere Menschen werden, eine durchautomatisierte und durchdigitalisierte Zukunftswelt durchleben zu müssen. Sie werden sich vermutlich fragen: Was ist der Zweck dieser Weigerung? Gut, alte Menschen haben oft keine Wahl, können die abstrakte Tastenwelt nicht mehr begreifen, für sie ist es sicher schwer, sich noch zurechtzufinden. Aber warum weigert sich ein Mensch, der noch in der Lage wäre, mit ein wenig gutem Willen die modernen Geräte zu bedienen, auf der Hauptverkehrsader in die Zukunft zu fahren?

***
Die Antwort ist ganz einfach: Weil er nicht an diese Zukunft glaubt und daher auch nicht den erforderlichen guten Willen hat. Weil er sich weg vom Schuss wohler fühlt als im Schussfeld. Weil er lieber in seinem Lexikon nachschlägt, wenn er etwas wissen will, und lieber auf dem Balkon ein Buch liest, statt sich beim Internetspielen auszutoben. Und weil er ein sturer Bock ist, der sich gern querstellt, wenn man ihn zu etwas drängen will.

Dieser Bock bin ich, aber wer sind die anderen Netzverweigerer? Wahrscheinlich laufen schon typologische Studien über eine widerborstige Gruppe namens Offliner, die man wahrscheinlich bei mindergebildeten Bauern und Handwerkern sowie bei ideologisch motivierten Konsumverweigerern aus der linken Szene finden wird.

Am Ende ein Blick in die Zukunft. Ich erblicke im Kaffeesatz meines Frühstücks folgende Bilder: Eine schöne neue Welt mit strahlenden Wunderheiler-Gesichtern. Eine WWW-Fähnchen schwenkende Parade, die mich an ein nordkoreanisches Führergeburtstagsfest erinnert. Einen ungepflegten zahnlückigen Alten, der aus einer Socke unter dem Bett einen Geldschein herauszieht, weil der Rauchfangkehrer zu bezahlen ist. Ob ich wirklich einmal mein Vermögen der räuberischen Bank entziehe und in Socken stopfe? Wahrscheinlicher ist, dass ich eines Tages kapituliere und ein angepasster Onliner werde. Falls Sie sich über meine Rückständigkeit ärgern: Ich möchte niemanden zu meiner weblosen Einfachheit bekehren – chatten, spielen und shoppen Sie vergnüglich weiter.

Es gibt für jeden das Richtige, aber wenig, das für alle gut ist.

Zur Person

*Hans Berner, der Innviertler Autor, 65, lebt in Treubach. Er ist viel im Wald unterwegs, hat weder Fernseher noch
Geschirrspüler, geschweige denn ein Smartphone. Seine Geschichten schreibt er aber mittlerweile auf einem
Laptop, die Übermittlung dieses Textes erfolgte mit einem USB-Stick.

 

mehr aus Spezial

Forum für pflegende Angehörige: Diskussion und Tipps zu Recht, Finanzen und Alltag

Online-Abschlussveranstaltung des OÖN-Börsespiels 2021

Ausgebucht! „Der Krieg in der Ukraine: Eine Spätfolge des Zerfalls der UdSSR und ein geopolitischer Konflikt.“

Die Rückkehr der Wildtiere

Lädt

info Mit dem Klick auf das Icon fügen Sie das Schlagwort zu Ihren Themen hinzu.

info Mit dem Klick auf das Icon öffnen Sie Ihre "meine Themen" Seite. Sie haben von 15 Schlagworten gespeichert und müssten Schlagworte entfernen.

info Mit dem Klick auf das Icon entfernen Sie das Schlagwort aus Ihren Themen.

Fügen Sie das Thema zu Ihren Themen hinzu.

0  Kommentare
0  Kommentare
Die Kommentarfunktion steht von 22 bis 6 Uhr nicht zur Verfügung.
Zu diesem Thema wurden noch keine Kommentare geschrieben.
Neueste zuerst Älteste zuerst Beste Bewertung
Aktuelle Meldungen