Kleine Häppchen, großer Appetit
Weil uns Corona so nahegeht, liegen viele Länder derzeit sehr fern – auch die USA. Als Anregung für künftige Trips raten wir zu einer kurzweiligen Lese- und Schau-Reise durch einen fantastischen Bild- und Text-Schmöker.
Mit dem Finger auf der Landkarte unterwegs zu sein, verspricht nur ein oberflächliches Vergnügen. Wer hingegen durch den "Atlas der Reiselust: USA" blättert, wird in den 384 Seiten starken Band förmlich hineingezogen. Der Untertitel "Inspiration für ein ganzes Leben" erweist sich nicht als übertrieben – es müssen Tausende kleine Häppchen sein, die einen unbändigen Appetit auf ein Land machen, das zumindest Reisenden unbegrenzte Möglichkeiten offeriert.
Es ist ein übersichtliches, verspieltes, gewitztes, originelles, informatives, unterhaltsames und überraschendes Kaleidoskop, das zur Lektüre verführt. Das mit mehr als 850 Fotos bestückte, liebevoll illustrierte und mit feinen Grafiken gestaltete Werk gliedert sich in sechs Kapitel. "Into the wild" taucht in die vielfältige Natur des Landes mit seinen zahlreichen Nationalparks ein – gespickt mit feinen Details: dass man etwa im Great Sand Dunes Nationalpark auf Sand surfen kann oder empfohlen wird, im Rocky Mountain Nationalpark einen Blick ins Stanley Hotel zu werfen, in dem Stephen King auf Zimmer 217 seinen nervenzerfetzenden Thriller "Shining" überarbeitete.
Dem Zitat des bedeutenden Naturphilosophen John Muir folgend ("Die Berge rufen mich, also gehe ich"), werden Wanderern lohnende Trails präsentiert – auch mit Warnungen versehene, weil man sich vor Klapperschlangen oder Dehydration in Acht nehmen sollte. Geisterstädte werden ebenso gelistet wie Orte, an denen sich Möchtegern-Cowboys ihren Western-Traum erfüllen dürfen.
Unter "On the road" versammeln sich aussichtsreiche Asphaltbänder von der legendären Route 66 bis zur "einsamsten Straße Amerikas" in Nevada, an der man im Schnitt nur alle 42 Kilometer auf eine Siedlung trifft. Dem Seitenblick zu berühmten Ami-Schlitten folgen Exkurse für Bahnfanatiker und für Geduldige, die sich auf ein Greyhound-Abenteuer einlassen.
Im Kapitel "Die Kultur der USA" finden sich 30 Filme zum besseren Verständnis für die Geschichte des Landes, von "12 Years a Slave" bis zu "American Sniper", eine Landkarte mit Serien-Drehorten von "Fargo" bis "Breaking Bad" und grandiose, nach musikalischen Genres geordnete Hitparaden.
"Ab in die Metropolen" lässt sich als Städteführer der kompaktesten Art interpretieren, angereichert durch horizonterweiternde Exkurse zu Museen, Kunstwerken und prägender Architektur. "Fantastisch!" führt Verrücktes, Kurioses, Extravagantes und Themenparks zusammen. "Essen & Trinken" arbeitet sich an der Kulinarik ab, vom Junkfood bis zur Bio-Revolution, vom der Barbecue-Tradition bis zu den Weinen der Neuen Welt.
Von der ersten bis zur letzten Seite wird mit Tipps und "Nicht verpassen!"-Hinweisen ebenso wenig gegeizt wie mit einordnenden Zeittafeln, "Gut zu wissen"-Hinweisen, praktischen Anleitungen zur besten Reisezeit, Porträts und erleuchtenden Erklärungen von Eigenheiten.
Großartig war die Idee, zu den meisten Zielen Bücher und Filme zu stellen, die dort verortet sind und der Vertiefung und Einstimmung dienen. Und es wimmelt nur so von musikalischen Playlists, die Geschichten und Destinationen unterfüttern und natürlich auch als klingender Reisebegleiter taugen, wenn man denn tatsächlich zwischen Ost- und Westküste "on the road" unterwegs ist. Mit dem "Atlas der Reiselust" beginnen die Abenteuer im Kopf, die später einmal in den USA lebendig werden sollen.
Das Buch
„Atlas der Reiselust: USA“: Dumont Reiseverlag, 384 Seiten, 42,90 Euro