"Er hat absolut kein Rückgrat"
Kurz habe er kalte Füße gehabt. Nun ist Aaron Karl "völlig überzeugt", dass sein Solo-Stück "Leutnant Gustl" auf Schloss Tillysburg wunderbar gelingen wird. Mit den OÖN sprach der 30-Jährige, der in St. Florian auch in "Weh dem, der lügt!" mitwirkt, über seine Hauptrolle – einen devoten Diener der Monarchie.
Den Festspielen auf Schloss Tillysburg hält Aaron Karl seit ihrer zweiten Spielzeit die Treue. Diesen Sommer ist er gleich in zwei Stücken zu sehen. Ab 9. 7. in einer Nebenrolle in "Weh dem, der lügt", am 1. 8. folgt sein großes Solo als "Leutnant Gustl".
"Leutnant Gustl" ist die Antithese zum liberalen Mann unserer Zeit. Gustl wird beleidigt, das Regelwerk des Militärs verwehrt ihm im konkreten Fall ein Duell als Revanche, er zieht sofort "ehrenhaften" Suizid in Betracht. Aus heutiger Sicht ist das militaristisch, fanatisch, absolut dem System ergeben.
Aaron Karl: Es ist tatsächlich ein sehr steiler Text, in den man auch erst einmal reinkommen muss. Man muss an sich heranlassen, dass Gustl sich gleich umbringen will. Ich weiß gar nicht, mit welcher modernen Situation man das überhaupt gleichsetzen könnte. Ein Mitteleuropäer, der heute so wie Gustl reagiert, muss einen seelischen Knacks haben. Betrachtet man den Gustl als Kind seiner Zeit, der Monarchie, wird sein Verhalten aber gleich schon wieder nachvollziehbarer.
Inwiefern stimmen Sie darin zu, dass man Gustl leichter ablehnen als mögen kann?
Genau das ist einer der Gründe, warum ich mich darauf freue, ihn zu spielen. Denn wenn man den Gustl sieht, kann man ohne Weiteres sagen: Ja, das ist ein völliger Unsympathler, ein Arschloch, ein Trottel. Aber wenn man dann in der Aufführung sitzt und erkennt, wie er kämpft, wie schlecht es ihm geht, da muss jemand schon ein Stück weit ein kaltes Herz haben, wenn er nichts spürt und keine Empathie aufbringt.
Das Stück stammt aus dem Jahr 1900. Es ist ein gutes Jahrhundert alt, historisch betrachtet sogar noch jung …
Da sieht man, wie stark sich die Gesellschaft auf der einen Seite doch weiterentwickelt hat, andererseits aber auch wie wenig.
Wenn man etwa Selbstmordattentäter der jüngsten Geschichte betrachtet. Aber erkennen Sie in Gustl, in seiner Zeit, in der Untertänigkeit Bürgerpflicht war, auch den Beginn des Weges, der Europa in den Abgrund führen sollte?
Er hat absolut kein Rückgrat, besser gesagt, er ist dermaßen uneinsichtig und unreflektiert. Das spiegelt die damalige Zeit und Stimmung. Da muss man Schnitzler noch heute auf die Schulter klopfen, wie er das erfasst hat. Er hat aber auch genug Ärger dafür bekommen (die Erzählung erschien am 25. 12. 1900 in der ‚Neuen Freien Presse’ und erschütterte die längst marode Donaumonarchie, Schnitzler (38) verliert den Offiziersrang als Oberarzt der k. u. k. Armee, wird Opfer eine antisemitischen Kampagne, Anm.).
Zu Ihrem anderen Standbein: Für die ORF-Serie "Walking On Sunshine" stehen Sie vor der Kamera. Gibt es denn für Sie einen Unterschied zwischen Bühnen- und TV-Schauspiel?
Meiner Meinung nach hat man als Schauspieler in beiden Situationen genau das Gleiche zu bieten. Ich verstehe auch die Unterscheidung nicht: Der ist mehr ein Bühnen- und der ist mehr ein TV-Darsteller. Wenn man sich in Österreich Erwin Steinhauer anschaut oder auch meinen Vater Fritz Karl: Es ist egal, wo sie spielen, sie sind immer geil!
Ein Beispiel mit Ihrem Vater wäre der ORF-Film "Ein Dorf wehrt sich", in dem sich die Bergleute in Altaussee gegen die Nazis stellen – Stoff mit Tiefgang, bis zu 800.000 Zuseher. Stimmen Sie da zu?
Wenn es im öffentlich-rechtlichen Rundfunk darum geht, nur mehr arbeitende Menschen am Abend zu unterhalten, damit sie entspannen können – dann sage ich: Ja, das ist okay. Ich darf gar nicht reden, ich lebe ja auch davon. Aber was gezeigt wird, darf und muss – in Hinblick auf den öffentlich-rechtlichen Auftrag – gehaltvoll, wertvoll sein. "Ein Dorf wehrt sich" war das. Er war meiner Meinung nach einer der wichtigsten Fernsehfilme der vergangenen 20 Jahre. Wieso werden solche historischen Sachen so wenig produziert?
Weil man letztlich wohl weniger Quote befürchtet. Risikomanagement und -prognose sind massives Thema bei jeder Art von Filmproduktion. Für Hollywood-Blockbuster möchte man finanzielles Risiko am liebsten bis auf die x-te Kommastelle vorhersagen.
Da ist kein Platz für Mut …
Wenn ein Blockbuster 100 Millionen in der Produktion kostet und weitere 100 Millionen in der Werbung und man will 400 Millionen Einspielergebnis lukrieren, dann ist das okay. Das ist auch eine Industrie. Aber was ist mit dem Independent-Film, der eine Million kostet und 40 einspielt? Da denke ich mir: Warum denkt man noch lange nach und macht nicht mehr davon?
Warum gibt es nicht mehr Mut zum Kleineren, Glaube an Projekte abseits großer Player – höre ich das hier heraus?
Wie viele Knödel steckt man etwa in dieses Haus namens Burgtheater? Was für ein im Verhältnis kleines Ensemble lebt im Endeffekt davon? Wie kann es sein, dass hier nur eine Handvoll Schauspieler kassiert. Das ist doch unglaublich – wie sozial unfair ist dieses Haus? Bei großen TV-Projekten ist es nicht anders. Ich will mich hier jetzt nicht als weißen Ritter hinstellen, ich verdiene gut und das ist mein Leben. Aber für mich besteht einfach eine absurde Divergenz zwischen dem, was Leute verdienen und wie viel sie dafür leisten und welchen sozialen Wert es hat, wenn man letztlich mit demselben Geld fünf kleinere Projekte fördern könnte.