Erdogans Machtsystem zeigt Risse: Regierungspartei bricht auseinander
ANKARA. Ein Jahr nach Einführung des Präsidialsystems wächst die allgemeine Unzufriedenheit.
Vor genau einem Jahr wurde Recep Tayyip Erdogan als erster Präsident des neuen Präsidialsystems vereidigt. Seitdem kann er weitreichende Entscheidungen allein treffen. Er ist Staatspräsident, Regierungschef, Parteichef und Oberbefehlshaber der Türkei in einer Person. Trotz dieser beispiellosen Machtfülle erscheint Erdogan aber so schwach wie nie. Die Unzufriedenheit im Land wächst, auch seine Parteifreunde wenden sich zunehmend von ihm ab.
Es sind keine guten Tage für Erdogan. Nach der schweren Niederlage der türkischen Regierungspartei AKP bei der Bürgermeisterwahl in Istanbul muss der Staatspräsident nun den nächsten Schlag einstecken: Der frühere Wirtschaftsminister und Vize-Premier Ali Babacan gab seinen Austritt aus der Erdogan-Partei AKP bekannt. Dieser Rücktritt trifft Erdogan ganz besonders hart. Babacan ist Mitbegründer der AKP. Als Grund gab er in einer schriftlichen Erklärung tiefe Differenzen über den Kurs der AKP unter Erdogan an und forderte eine neue Vision für die Türkei. Er sei lange hinter der Partei gestanden, schrieb er. Aber in den vergangenen Jahren hätten sich Gräben aufgetan zwischen den Grundsätzen, an die er glaube, und dem Vorgehen der Partei.
Der Zeitpunkt seines Austritts scheint gut gewählt zu sein: Nachdem Erdogan am Wochenende den Chef der türkischen Notenbank entlassen hatte, ist die Landeswährung Lira vorübergehend um mehr als zwei Prozent eingebrochen. Indirekt bestätigte Babacan die Gerüchte, wonach er gemeinsam mit Ex-Präsident Abdullah Gül eine neue Partei gründen und dafür AKP-Mitglieder abwerben wolle, die mit Erdogans autoritärem Politikstil nicht einverstanden sind. Politische Beobachter sprechen bereits vom Ende der AKP. Denn Tatsache ist: Immer mehr Parlamentarier sind mit dem Präsidialsystem unzufrieden, weil sie kaum noch etwas zu entscheiden haben. Offenbar scheint Erdogan sich um Schadensbegrenzung zu bemühen. In den letzten Tagen sickerte in verschiedenen Medien durch, dass der Staatspräsident mit seinen politischen Beratern bespreche, wie das Präsidialsystem zu "optimieren" sei.
Doch große demokratische Reformen sind nicht zu erwarten. Im Gegenteil: Erdogan greift einmal mehr hart durch. Gestern wurden in der Türkei erneut mehr als 200 Soldaten festgenommen, weil sie angeblich Verbindungen zur verbotenen Gülen-Bewegung haben. Insgesamt wurden damit seit dem Putschversuch vor drei Jahren mehr als 500.000 Menschen verhaftet. (hei)
Explosiver Waffenkauf
Ein explosiver Konflikt zwischen den NATO-Partnern Türkei und USA steuert auf einen Höhepunkt zu: Trotz eindringlicher Warnungen aus Washington hat die Türkei das russische Raketenabwehrsystem S-400 gekauft, das spätestens Mitte der Woche in Ankara eintreffen soll.
Die US-Regierung ist strikt gegen den Kauf und den Einsatz des russischen Systems im NATO-Luftraum und droht der Türkei mit Sanktionen. Sie befürchtet, dass Russland über das in der Türkei installierte System an Daten über die Fähigkeiten der neuen US-Tarnkappenflugzeuge F-35 gelangen könnte. Die Türkei ist Partner beim Bau und soll 100 Kampfflugzeuge bekommen.
Die Türkei versucht zu beschwichtigen: Das System werde nur im Notfall eingesetzt und mit einem unabhängigen Radar arbeiten.
Experten warnen: Brigadier Walter Feichtinger, Leiter des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement (IFK), sieht in dem Kauf eine politische Schwächung der NATO.
Da muss auch ein Zitteranfall her!
Für die Medien.