Die neue S-Klasse: Ein Blick sagt mehr als viele Tastendrücke
Die neue S-Klasse geriet zur Spielwiese findiger Entwickler – aber: Brauchen Autofahrer diesen Schnickschnack?
Die S-Klasse gilt seit jeher als das Flaggschiff von Mercedes. Als Trendsetter in Sachen Technik, als Vorreiter bei Innovationen. Dreipunktgurte, Luftfederung, ABS, Fahrer-Airbag, Gurtstraffer, Antriebsschlupfregelung, Abstandstempomat (Distronic) usw. – die Liste ist lang und die Neuerungen sind längst in unteren Fahrzeugsegmenten angekommen. Stellt sich die Frage: Sind Entwicklungen in der Dimension beispielsweise eines ABS überhaupt noch möglich? Wohl kaum. Die Stuttgarter müssen trotzdem liefern – im Namen der S-Klasse (ursprünglich: "Sonderklasse").
Alles nur Kleinkram?
Die Hinterradlenkung, die den Wendekreis der 5,17 Meter langen Limousine um zwei Meter reduziert, fällt in die Kategorie "praktisch", aber der Neuigkeitswert reicht nicht für eine Schlagzeile. Und der Rest? Kleinkram? Das geniale MBUX ("Hey Mercedes") steuert künftig auch das Smart Home der Anbieter Bosch und Samsung oder speichert E-Mails, Termine und Anrufe in der App "Car Office". Wird der Empfang eines FM-Radiosender zu schwach, sucht das Infotainmentsystem automatisch im Internet den Radio-Livestream.
Burmester liefert das High-End-HiFi-System mit 31 Lautsprechern, 1700 Watt und 4D-Klang. 4D? Ja, bei satten Bassklängen vibrieren die Sitzoberflächen mit – im Takt und nach der jeweiligen Intensität.
Das riesige Head-up-Display zeigt die "Augmented Reality": Digitale Richtungspfeile werden exakt an realen Abzweigungen eingeblendet. Weil der Fahrer seinen Kopf nicht immer an ein und derselben Stelle hält, lokalisieren zwei Kameras die Stellung der Augen ("Eye Tracking") und justieren den virtuellen Pfeil nach. Das funktioniert, so die Erfahrungen auf den ersten OÖN-Testkilometern mit der S-Klasse, verblüffend perfekt.
Dasselbe System steuert auch die Außenspiegel. Das Einstellen der Blick-zurück-Hilfen ist kinderleicht: Knopf drücken, zuerst in den linken, dann in den rechten Spiegel schauen – und schon werden die Spiegel ausgerichtet. Ein Blick sagt mehr als Tastendrücke.
Blickt der Fahrer über die Schulter zurück, öffnet MBUX automatisch das Sonnenrollo vor der Heckscheibe. Und das Fahrerdisplay erscheint mit einem 3D-Effekt. Das sieht nett aus, kann aber auch Schwindelgefühle erzeugen.
Autonom Fahren auf Level 3
Mercedes macht ernst mit der nächsten Stufe beim autonomen Fahren. Gegen Ende 2021 wird der Drive Pilot angeboten, der hochautomatisiertes Fahren auf dem Level 3 (von 5) ermöglicht. Allerdings vorerst nur bei „hohem Verkehrsaufkommen oder Stausituationen auf geeigneten Autobahnabschnitten in Deutschland“. In anderen Ländern fehlen aktuell noch die gesetzlichen Grundvoraussetzungen. Neben Sensoren und Kameras überwacht auch ein Mikrofon (Blaulicht-Einsatzfahrzeuge) die Umgebung, eine HD-Karte liefert Infos über die Straßengeometrie etc. Das Positionierungssystem agiert exakter als das GPS-System. Der Drive Pilot übernimmt vorab das Fahren bis 60 km/h.