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Franz Brunner: Von kühlen Schweden

07. Juli 2020, 12:51 Uhr
Franz Brunner
Franz Brunner

STEYR. Autor Franz Brunner begibt sich heute auf eine Irrfahrt, die ihn nach Schweden, aber auch ganz in die Nähe führt. Wohin Astrid Miglar diese Woche würzig entführt, lesen Sie am Donnerstag.

Von kühlen Schweden und gefährlichen Irrfahrten.

Ich mag die Schweden, und daher tun sie mir auch leid. Es ist zwar traurig, was dort oben gerade abgeht, ganz unschuldig sind sie an ihrem Dilemma allerdings nicht. Nicht das Fußvolk und schon gar nicht die politischen Entscheidungsträger, die haben nämlich beschlossen, in Sachen Pandemie auf die Eigenverantwortung und die Vernunft des Normalbürgers zu setzen. Und das ging, salopp gesagt, furchtbar in die Hose. Die Einschränkungen waren verglichen mit den Hotspots der Pandemie minimal, man baute auf den Hausverstand der schwedischen Bevölkerung, die Folgen sind bekannt, die COVID-Statistiken stellen der dortigen Strategie kein gutes Zeugnis aus. So gerne man im erfolgsverwöhnten Schweden in vielen Rankings meist weit vorne liegt, bei den COVID-Zahlen könnten die Wikinger gerne drauf verzichten.

Vor ein paar Tagen wurde mir innerhalb weniger Minuten dreimal demonstrativ vor Augen geführt: das wird auch bei uns nichts mit der Eigenverantwortung, vom Hausverstand ganz zu schweigen. Ein junger Mann um die 25 wartet auf den Bus, kurz bevor dieser bei der Station einfährt und vor ihm stehen bleibt, wirft er seinen Glimmstängel auf die Straße. Der Aschenbecher wäre zwei Meter daneben gewesen. Ein Mädchen um die 16, vielleicht eine Schülerin, kommt aus dem Supermarkt neben der Busstation, fingert einen Kaugummi aus der Verpackung, der Kaugummi landet bestimmungsgemäß in ihrem Mund, das Stück Alu-beschichtete Papier auf dem Boden, ebenso 2 Meter neben dem Müllcontainer. Und eine ältere Dame um die 70 füttert eine ungustiös wirkende Taube, die gurrend um den Papierkorb stolziert, mit überdimensional großen Stückchen einer alten Semmel. Man sollte wissen, dass das Füttern dieser Ratten der Lüfte in Steyr seit Jahren verboten ist, doch wie sonst sollten die armen Viecherl überleben? Überleben, das ist mal ein gutes Schlagwort. Der eine Tschick-Stummel, das eine Kaugummi-Papierchen und das kleine Stück Semmel, das wird uns doch nicht gleich umbringen. Das Argument „Wenn das jeder machen würde“, das greift leider nicht, da wir ja wissen, dass es nicht jeder macht. Weil es immer noch ein paar Vernünftige gibt, die sich an Regeln halten oder zumindest Hausverstand besitzen. Offensichtlich sind diese klar in der Minderheit.

Und noch was fehlt mir, um die Corona-Probleme ohne restriktive Maßnahmen bewältigen zu können: die Wertschätzung. Damit meine ich nicht den Vorgang, mit dem Herr und Frau, vor allem die Herren Österreicher, ihre geheiligten Blechkühe vor einem allfälligen Verkauf segnen, sondern was überaus Zwischenmenschliches. Mit Wertschätzung bezeichnet die Soziologie die positive Bewertung seiner Mitmenschen, den Respekt und die Achtung, die man voreinander hat. Sie vermissen das auch? Jenen, die meinen, sie lassen sich ihren Freiraum nicht nehmen, und schon gar nicht von einer Regierung, die sie womöglich selbst gar nicht gewählt haben, sei Folgendes fest und schmerzhaft auf's Auge gedrückt:

"Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt." Immanuel Kant (1724-1804)

Ob ich nun zu laut Radio spiele, herumgröle oder herumspucke, huste oder niese, Rücksicht und Freiheit sind kein Widerspruch, sondern eine sinnvolle Ergänzung. Wenn ich mich vor COVID fürchte (was ich nicht tue, sonst könnte ich meinen Rettungsdienst nicht ausüben), so ist das meine höchstpersönliche Angelegenheit und ich erwarte, dass meine Umgebung das respektiert. Das kennzeichnet demokratisches Verhalten und menschliche Reife. Nur von Wertschätzung war die Rede, da sind wir von Nächstenliebe oder irgendeiner Konfession noch ganz weit weg.

Liegt's einfach an der Zeit, der Klimaerwärmung, dem Bildungssystem, der elterlichen Doppelbelastung, dem Überfluss, der kulturellen Vielfalt, den offenen Grenzen oder dem Virus selbst, jeder findet da seine eigenen Erklärungen. Tatsache ist, dass vieles von dem, was vor kurzem noch sehr erfreulich erkennbar war, rasch wieder aus der Mode gekommen ist, nämlich Eigenverantwortung, Hausverstand, Respekt und Wertschätzung. Und gerade das sind die Eigenschaften, welche das Krisenmanagement von uns weiterhin erhofft. Verhaltensweisen, die wir für einen erfolgreichen Kampf gegen COVID dringend bräuchten, haben das Ablaufdatum nach und nach überschritten.

Wenn wir die kühlen Schweden schon überholen wollen (immerhin waren sie für den Sozialstaat Österreich oftmals Vorbild), dann bitte nicht bei deren pandemischer Irrfahrt und den COVID-Zahlen, sondern bei der Integrität, der Stärke und dem Zusammenhalt der Bevölkerung. Mitmachen erlaubt und sehnlichst erwünscht. Und wie die neuesten Entwicklungen zeigen, überdies äußerst notwendig.

Mehr Texte unter www.franzbrunner.at

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1  Kommentar
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giwleH (11 Kommentare)
am 07.07.2020 23:03

Danke Franz für die klaren Worte. Vielleicht liegt es daran, dass gelebte Wertschätzung allzu oft als Schwäche missverstanden wird.
Laute Schüler/innen werden beachtet, leise Schüler/innen werden gemobbt. Der/ie Lehrer/in greift nicht regelnd ein, weil Lehrer/innen systematisch zum bloßen Lehren degradiert wurden und nicht mehr erziehen dürfen.

Anmerkung zum Gendern: Warum nicht einfach wie die Engländer die einfache Schreibweise für beide Geschlechter zur alleinigen Gültigkeit erklären. Das würde auch im Sinne des Umweltschutzes sein. Je kürzer das Wort desto weniger Druckerschwärze und Papier werden benötigt. Ich würde mich totlachen, wenn ich etwa lesen würde:
"The teacherin is speaking to the students and studentins ... ".

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