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Franz Brunner: Von Gauklern und Verschauklern

30. Juni 2020, 10:29 Uhr
Franz Brunner
Franz Brunner

STEYR. Heute schlendern die Gedanken in Franz Brunners Wortwechsel, während er durch die Steyrer Enge schlendert, bis nach Ibiza. Wohin Sie Astrid Miglar diese Woche würzig entführt, lesen Sie am Donnerstag.

Von Gauklern und Verschauklern.

Schon am frühen Morgen, wenn mein Geist mühsam erwacht, warnen mich die penetrant fröhlichen Stimmen im Radio vor Produktplatzierungen, vor Verkehrsstörungen und Geisterfahrern. Und außerdem davor, dass manche gesundheitsfördernde Produkte anscheinend gar nicht so gesund sind und ich daher vor Anwendung den Apotheker meines Vertrauens um das Gefährdungspotenzial befragen sollte. Für wen der Tag so beginnt, der ist für den weiteren Tagesverlauf bestens gerüstet und stets auf der Hut. Allerdings kann man aufpassen, soviel man will, es bleibt ein Restrisiko, trotzdem verschaukelt zu werden.

Hätte ich nicht so gute, zumindest alltagstaugliche Manieren, würde ich bei folgenden Geschehnissen glatt von Verarsche schreiben, aber ich mach' das natürlich nicht, wenngleich ich es als solche empfinde. Wie viele meiner Mitbürger drehe auch ich wieder genüsslich meine Erkundungsrunden in der Steyrer Innenstadt, um Bekannte zu treffen, mich auszutauschen oder eben nur des Aufsaugens des wieder erwachten Freiheitsgefühls wegen. Und ich stelle verwundert fest: es hat sich wenig verändert. Die augenfälligste Veränderung ist, dass einzelne Mitmenschen nicht auf Anhieb zu erkennen sind, weil sie nach wie vor einen trendigen Mund-Nasen-Schutz tragen. Im Einzelfall hat dies durchaus Vorteile, so braucht man beispielsweise eine unliebsame Person nicht zu grüßen oder gar anzusprechen, weil man sie ja nicht erkennt. Ich hab' das während der Masken-Hochkonjunktur mehrmals probiert, funktionierte einwandfrei und ich hatte absolut kein schlechtes Gewissen dabei. Warum denn auch, die anderen werden es vermutlich ähnlich praktiziert haben. Sollten die Masken eines Tages wieder gänzlich aus der Mode kommen, werden wir diese Möglichkeit der Grußverweigerung sicherlich vermissen.

Während ich so gemächlich durch die Enge Gasse schlendere und in die teils leeren Auslagen gaffe, befällt mich zwischendurch, wenn ich an befüllten Schaufenstern vorbeikomme, erstauntes Kopfschütteln. Da gibt’s Preise, die gibt's nicht. Da kostet ein Ding, das nicht näher genannt werden will, tatsächlich 179,99 Euro.

Unglaublich, so günstig, der wunderbare Artikel hätte ja genauso gut 180 Euro kosten können. Aber nein, der selbstlose Anbieter verzichtet allen Ernstes auf einen Cent seines erzielbaren Ertrages und schenkt mir diesen. Ohne Gegenleistung, einfach so. Ein wahrer Christ. Fast wäre ich geneigt, gerührt zu sein, beginne allerdings vorher zur Sicherheit ein Zahlenspiel. Man(n) möchte ja nicht umsonst weinen.

180 Euro sind 18.000 Cent (in Worten achtzehntausend), ein Cent davon ist demnach ein Achtzehntausendstel. Sie können zwar Bruchrechnen, sich diese Größenordnung dennoch nicht gut vorstellen? Nun, dann versuchen wir's auf österreichisch, rechnen wir mit Promille, da kennen wir uns besser aus. Also, ein Achtzehntausendsterl ist so viel wie 0,055 Promille. Ein wahrlich grandioser Preisnachlass, den der Normalverbraucher sogleich dankbar annimmt und den Händler fast flehentlich um die rasche Aushändigung der Ware ersucht. Ich aber fühle mich gerade so richtig verar..., also verschaukelt. Wer macht denn so was, und warum macht der das? Die Fragen sind rein rhetorisch, denn ich bin ja ein bisschen Betriebswirt und daher imstande, das Phänomen verständlich zu erklären, doch akzeptieren werde ich das nie und nimmer. Immerhin stellt da jemand provokant meinen Geisteszustand auf die Probe. Unabhängig davon, wie dringend ich dieses Ding auch bräuchte, sowas kann man mir nicht machen, ich kaufe ganz sicher nicht.

Zuhause angekommen und von den vielen Eindrücken des Window-Shoppings leicht genervt, beschließe ich, das Verschaukeln in Eigenregie fortzusetzen, wo's doch gerade so gut funktionierte. Ich starte auf meinem PC das Internet-Radio, entscheide mich für einen griechischen Musiksender mit unaussprechlichem Namen und lausche verträumt den unverständlichen Gesängen. Ich freue mich riesig, dass ich kein Wort verstehe und rede mir ein, nur sinnvolle Texte zu vernehmen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich recht habe, schätze ich auf magere 0,055 Promille, reicht trotzdem völlig aus, um mich für den Rest des Tages zu beruhigen.

Wollen Sie jetzt eine Moral von der Geschicht'? Sie sind geborener und/oder gelernter Österreicher und wollen allen Ernstes Moral einfordern? Lassen Sie das, das macht wirklich keinen Sinn. Solange ein Ibiza-Hauptdarsteller ohne auch nur ansatzweise rot zu werden wieder ein öffentliches Amt anstrebt und es zudem Preisnachnachlässe im Hundertstel-Promille-Bereich gibt, erlaube ich mir ruhigen Gewissens, auf Moral in meinen Texten zu verzichten. Seien Sie beruhigt, Sie kommen dabei nicht zu Schaden, denn im Alltag halt' ich's damit natürlich anders. Da sind mir Moral und Anstand schon wichtig, selbst wenn ich bei Maskenträgern manchmal auf's Grüßen vergessen habe.

Mehr Texte unter www.franzbrunner.at

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1  Kommentar
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zakamenem (1.021 Kommentare)
am 30.06.2020 10:45

Köstlich, lustig und sehr wahr ist dieser Beitrag von Franz Brunner, den ich bis heute nicht kannte. Ich habe seit gestern das OÖN-Digital-Abo (früher Jahrzehnte Papier) und muss mich zuerst einmal zurecht finden.

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