Warum tötete eine Mutter ihr Kind?
NUßDORF AM ATTERSEE. Familiendrama in Nußdorf am Attersee: Eine Lehrerin bringt ihren Neunjährigen um und will sich selbst das Leben nehmen.
Die Kirchenglocken haben vor dem Sonntagsgottesdienst länger als an anderen Tagen geläutet. Die Gebete der Kirchengemeinde wurden gestern intensiver formuliert. Ansonsten ist es still im Ortszentrum. Nußdorf am Attersee ist seit dem Wochenende in Schockstarre.
In jener beschaulichen 1100-Einwohner-Gemeinde, in der eine 38-jährige alleinerziehende Mutter am Samstag ihren neunjährigen Sohn Paul tötete und sich danach selbst das Leben nehmen wollte, sind die Menschen fassungslos. "Wir sind schockiert, können einfach nicht fassen, was sich abgespielt hat", erzählt Bürgermeister Josef Mayrhauser, der nur schwer Worte über die Lippen bringt. Noch bestürzter reagiert Josef Wachter, ein Nachbar der Familie. "Am Freitag ist der Paul noch mit seinem Spielzeugtraktor vor unserem Haus vorbeigefahren. Oft hat er mit meinem Enkel gespielt. Ich kann es nicht glauben." Auch Johann Neubacher, der mit seiner Familie, darunter ein Enkel, nur wenige Gehminuten von Familie D. lebt, ist fassungslos. "Was geht in einem Menschen vor, dass er so etwas tut?"
Was sich in Reith 16 in dem schmucken weißen Einfamilienhaus in Hanglage zum Attersee am ersten Tag der Semesterferien abgespielt haben muss, kann nur rekonstruiert werden. Elisabeth D., Lehrerin für Textil- und Werkunterricht am Kreuzschwestern-Gymnasium Ort in Gmunden, nahm ein Küchenmesser. Damit schnitt sie ihrem Sohn in den rechten Unterarm. Danach wollte sie sich selbst das Leben nehmen.
Gegen Mittag kommt die Mutter der Täterin, die im Nebenhaus wohnt, zu Besuch und findet ihren Enkel blutverschmiert in seinem Bett. Das Kind ist leblos. Ihre Tochter liegt schwer verletzt im Badezimmer. Die Großmutter ruft sofort Hilfe. Die kommt. Aber für ihren Enkel zu spät. Ein Arzt kann nur den Tod feststellen. Die Mutter wird ins Landeskrankenhaus Salzburg geflogen. Ihr Zustand war kritisch, ist inzwischen stabil.
"Habe Pauli noch getroffen"
Die Tat will sich in Nußdorf niemand vorstellen. Was die Menschen bewegt, ist die Frage nach dem Motiv. Warum hat die Mutter das getan? Eine Frage, die Helga K. quält. "Der Pauli war so ein lieber Junge. Es bricht mir das Herz, dass er tot ist. Am Freitag hab’ ich ihn noch in der Schule getroffen. Wenn ich daran denke, schlottern mir die Knie", erzählt die Pensionistin, die dem Jungen und seiner Schulklasse in der Volksschule das Lesen beibringt.
Wenn ihr Erinnerungen an den Buben ins Gedächtnis kommen, steigen ihr Tränen in die Augen. "Er war ein fleißiger Schüler und Elisabeth ist eine gute Lehrerin, bei den Schülern sehr beliebt. Diese Tat ist mir unbegreiflich."
Spekulationen will sie nicht anstellen. Genauso wenig wie Verurteilungen austeilen oder Gerüchte streuen. Das ist unangebracht. Besonderes gegenüber der Familie. Sie muss mit dem tragischen Verlust nach dem Drama weiterleben.
Täterin wird in Justizanstalt überstellt
Eine Einvernahme der Mutter zum Motiv und Tathergang war bisher noch nicht möglich. Sie wird derzeit im Landeskrankenhaus Salzburg behandelt. „Wir können erst anfangen, wenn die Ärzte grünes Licht geben. Das wird erst nach dem Wochenende sein“, sagt Gisbert Windischhofer, Sprecher des Landeskriminalamts (LKA) Oberösterreich. Dann soll sie in die Justizanstalt Wels überstellt werden.
Nachdem die Mutter am Tatort erstversorgt und ins Krankenhaus transportiert wurde, nahm das Landeskriminalamt (LKA) Oberösterreich am Samstagmittag sofort die Ermittlungen wegen Mordes auf. Der Leichnam des Buben wurde nach Salzburg überstellt, am frühen Abend fand die Obduktion statt. „Die Tat wurde durch Gewaltanwendung mittels eines Küchenmessers durchgeführt“, so Windischhofer zu den OÖNachrichten. Die Großmutter und weitere Familienmitglieder, die in der Ortschaft Reith wohnen, wurden unterdessen von einem Kriseninterventionsteam betreut. Vom Vater des Kindes, der nicht bei der Familie wohnt, gibt es noch keine Erkenntnisse. Einen Zusammenhang mit dem Mord wollen die Ermittler derzeit ausschließen.
„Die Trennung der Täterin und des Kindsvaters liegt viele Jahre zurück“, sagt Windischhofer, der am Samstag bereits bestätigte, dass kein Abschiedsbrief gefunden wurde. Ob die Mutter psychisch krank ist, sei noch unklar. Das Ermittlungsteam will erst die Befragungen durchführen, bevor voreilige Schlüsse gezogen werden.
Tiefe Betroffenheit in Nussdorf am Attersee
"Der Pauli war so ein liebes Kind. Es ist mir unbegreiflich, wie so etwas passieren kann.“
Helga Kochmann, wohnt im Nachbarort
„Die Kinder waren sehr betroffen. Besonders die, die Paul kannten. Ein Mädchen konnte nicht ministrieren.“
Thomas Amadu, der Kurat leitete gestern den Gottesdienst
„In einem kleinen Ort kennen sich die Leute. Das macht alles noch schlimmer. Wir sind schockiert, können es nicht glauben.“
Josef Mayrhauser, Bürgermeister von Nußdorf
Mütter, die Kinder töteten
Mai 1991: Eine 33-jährige Mutter aus Steyregg ersticht ihre einjährige Tochter und sich selbst, die siebenjährige Tochter konnte flüchten.
Juli 1991: Eine Hausfrau (32) aus Ried sticht ihrem Sohn (9) im Schlafzimmer in die Halsschlagader und ersticht sich selbst.
Januar 1994: Ein dreijähriger spastisch gelähmter Bub wird von seiner Mutter in einer Linzer Wohnung in der Badewanne ertränkt. Die Frau flüchtete mit ihrem Pkw. Sie wurde nach einem Unfall festgenommen.
August 1995: Eine 29-jährige Vietnamesin tötet in Leonding ihre zweijährige Tochter und sich selbst.
September 1996: Eine 47-Jährige aus Linz fügt ihrem Sohn (10) mehrere Stichverletzungen am Körper zu und trennt ihm einen Finger ab. Das Kind verblutet. Die Mutter sprang aus dem Fenster und überlebte.
März 2012: In Reichenau im Mühlkreis betäubte Judith M. ihren vierjährigen Sohn David, dann tötete sie ihn mit Stich- und Schnittverletzungen.
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