„Kaltenbrunner tut mir leid – die Frau hat die Power für den K2“
BOZEN. Reinhold Messner war der erste Bergsteiger, der alle 14 Achttausender der Welt bestiegen hat. Was der 65-Jährige von Gerlinde Kaltenbrunner hält, was er ihr nach dem Tod ihres Bergkameraden rät und warum der K2 so gefährlich ist.
OÖN: Herr Messner, Gerlinde Kaltenbrunner ist gestern erneut am K2 gescheitert. Ein Schwede, der sie begleitet hat, ist in den Tod gestürzt. Was macht den K2 so gefährlich?
Messner: Der Flaschenhals – und ich vermute, dass in diesem Bereich das Unglück passiert ist – ist eine extrem schwierige Passage. Ich vermute, dass der Schwede einfach weggerutscht ist. Es ist dort nicht besonders steil, aber mit der heutigen Kleidung kann man sich kaum mehr fangen, wenn man abrutscht. Und Sie dürfen nicht vergessen, dass man in dieser Höhe viel ungeschickter ist, als unter normalen Verhältnissen. Frau Kaltenbrunner tut mir leid.
OÖN: Warum? Sie lebt ja.
Messner: Aber ich hätte ihr den Gipfel gegönnt. Die Frau hat die Power dazu. Natürlich ist es ein Schock, wenn da jemand wegrutscht und abstürzt. Das ist schwer zu verkraften. Macht sie es halt im nächsten Jahr.
OÖN: Gibt es unter Bergsteigern eine Art Ehrenkodex, nach dem man tote Kameraden auf jeden Fall birgt?
Messner: Das muss man emotional subjektiv entscheiden. Vor dem Weggehen würde ich der Familie sagen, wo ich im Ernstfall begraben sein will. Der Schwede liegt auf etwa 7000 Metern. Eine Bergung ist höllisch, aber machbar.
OÖN: Gerlinde Kaltenbrunner ist zum sechsten Mal am K2 gescheitert. Sie haben 1979 den zweithöchsten Berg der Welt bestiegen. Im ersten Versuch?
Messner: Ja. Ich hatte das Glück, mit einem sehr sturen Deutschen unterwegs zu sein – Michl Dacher. Wir haben uns auf den Gipfel gewühlt, ohne Sauerstoff, im wirklichen Alpinstil. Ich hatte in diesem Fall die Gnade der frühen Geburt, damals gab es noch keine Pisten da oben.
OÖN: Gerlinde Kaltenbrunner ist Ihrer Meinung nach nicht im Alpinstil unterwegs?
Messner: Sie geht ohne Sauerstoff, aber sie steigt Pisten hoch, die andere bereits gemacht haben. Aber: Ich habe vor dieser Frau absolute Hochachtung vor ihrer Leistung. Sie ist die stärkste Alpinistin, die es gibt. Mit künstlichem Sauerstoff wäre sie die erste Frau auf allen 14 Achttausendern gewesen. Sie ist sehr höhentauglich und stärker als viele Männer, die heute auf den K2 oder den Everest steigen.
OÖN: Welche Vorteile haben Frauen beim Höhenbergsteigen im Vergleich zu Männern?
Messner: Frauen sind nicht so hypochondrisch veranlagt wie wir. Und ich sage bewusst wir. Kalte Füße können bei Männern am Berg schnell eine Krise auslösen. Frauen vertragen mehr, sie sind leidensfähiger. Und sie akklimatisieren sich schneller. Das ist wissenschaftlich erwiesen, weil sie mehr rote Blutkörperchen bilden.