Romy Schneider wäre 80: Sissi und die „deutsche Schwermut“
Am 23. September wäre Romy Schneider 80 Jahre alt geworden. Selbst so viele Jahre später definiert sie immer noch ihre erste große Rolle. In einem Interview mit Alice Schwarzer im Jahr 1976 gab Romy eine bisher verborgene Seite von sich preis. Die Aufnahmen dieser Nacht wurden am Montag erstmals in dem Dokumentarfilm "Ein Abend mit Romy" veröffentlicht.
Ihr charmantes Lächeln, das puppenhafte Gesicht, ihre Rolle als junge Kaiserin von Österreich – Vieles, was uns von Romy Schneider in Erinnerung geblieben ist, ist eine Projektion ihrer größten Rolle: Sissi. Wir verbinden die kitschigen Filme und das unschuldige Gemüt der Schauspielerin mit unseren eigenen unschuldigen Kindertagen, mit Besuchen bei den Großeltern oder Feiertagen vor dem Fernseher. Für die Schauspielerin war es jedoch nur ein Bruchteil ihrer Karriere und kein Abbild ihrer Selbst.
Romy Schneider und Alice Schwarzer
Ein Stück der wahren Romy Schneider durfte die Journalistin und Feministin Alice Schwarzer vor 42 Jahren kennen lernen. 1976 trifft sie die Schauspielerin am Dachboden ihrer Redaktion in Köln. In dieser Nacht sprechen die „beiden meist beschimpften Frauen Deutschlands“, wie sie sich selbst nennen, offen miteinander: Ein seltenes und intimes Gespräch über die Kehrseite des Ruhmes und das Leben von Romy Schneider, dass mit dem Bild der unschuldigen Sissi nur wenig zu tun hat.
Die Tonbandaufnahmen dieser Nacht wurden 2017 in dem Dokumentarfilm "Ein Abend mit Romy" erstmals veröffentlicht. (noch bis Sonntag 23.09 in der ORF TVthek nachzusehen). 36 Jahre nach ihrem Tod, zu ihrem achtzigsten Geburtstag bietet sich ein Anlass um ihr als starke Frau zu gedenken, deren Leben von Ruhm und Rampenlicht aber auch von Geheimnissen und einer dunklen Vergangenheit geprägt war.
Aus einem Mädchen wird eine Prinzessin
Bereits mit 15 Jahren wird Romy von ihrer Mutter ins Rampenlicht gerückt. Ihre erste Rolle im Film „Wenn der weiße Flieder wieder blüht“ verschafft ihr sofort Erfolg. Bereits im Jahr darauf wird sie zum Sinnbild für Unschuld und Lieblichkeit. Aus Romy wird Sissi. Sie ist wie gemacht für einen Film wie diesen. Naiv, jung und schön – alles was nötig war, um eine heile Welt darzustellen. Doch nicht nur die Filmindustrie benutzt die junge Romy, um die Vergangenheit und die Nachwirkungen des Krieges vergessen zu machen, auch ihre Mutter Magda Schneider profitiert von der Verehrung ihrer Tochter. An ihrer Seite vergaß das Publikum die Karriere und Vernetzung der Mutter im dritten Reich.
Die Tochter von „Nazi- Eltern“
In Romys Kindheit sind die Nazis allgegenwärtig und ihre beiden Schauspieler-Eltern ein Teil von ihnen. Das Haus in dem sie aufwächst, liegt gegenüber von Hitlers Berghof in Berchtesgaden, zu dem Magda Schneider eine enge Beziehung pflegt, laut Romy sogar eine Affäre. Auch ihr Vater Wolf Albach-Retty ist zu dieser Zeit Anhänger der Nazis und Fördermitglied der SS. Erst spät versteht Romy was das bedeutete, erst 1976 spricht sie mit Alice Schwarzer über diese belastende Vergangenheit. Schließlich verlässt Romy Deutschland und geht nach Frankreich. Die Vergangenheit, ihre Familie und ihre Rolle als Sissi, das alles engt sie ein.
„Wenn sie ihr Leben ändern wollte, änderte sie das Land.“
Trotz einer hohen Geldsumme, lehnt sie einen vierten Sissi Film ab. Frankreich wird zu ihrer Heimat und zu ihrem ersten Exil. „Vielleicht ist meine Sprache Französisch geworden.“, sagt sie im Interview. Mit Alice spricht sie Französisch, wenn sie emotionale und schwierige Geschichten erzählt. Nur wenn sie wütend wird, spricht sie Deutsch.
Die Romy, die die Welt in den folgenden Jahren zu sehen bekommt ist immer eine andere. Einmal ist sie die moderne Frau in Paris, dann die brave Ehefrau und Mutter in Berlin. Einmal spricht sie Französisch, „die Sprache ihres Herzens“, einmal Deutsch, ihre Muttersprache – „ein extrem zerrissener Mensch“, wie Alice Schwarzer sie beschreibt.
Ihre zweite Karriere zeigt Teile der wahren Romy
In ihren späteren Rollen versucht Romy die Vergangenheit ihrer Eltern, ihres Landes wieder gut zu machen. In zahlreichen Filmen verkörpert sie Opfer des Nationalsozialismus. Als Sissi wurde sie benutzt um die Vergangenheit vergessen zu machen, als Erwachsene Frau stand sie in ihren Filmen dafür ein. Die Rollen spiegeln immer stärker Ausschnitte ihres eigenen Lebens und ihrer Gefühle wieder. Erinnerungen an ihre Kindheit, an die Bedrängung durch ihren Stiefvater und daran, wie ihre Mutter sie nicht beschützt hat kommen hoch. Alice muss die Tonaufnahme mehrmals abbrechen, als ihr Romy davon erzählt.
Video: Dass Romy Schneider im September 80 Jahre geworden wäre, würdigt das Filmarchiv Austria mit acht ihrer späten Filme, die im Wiener Metrokinokulturhaus gezeigt werden. Besonders in diesen Filmen wird deutlich, wie die Schauspielerin ihre eigenen, teils traumatischen Erfahrungen in ihrer Arbeit reflektiert hat.
"Der ständige, totale Widerspruch"
Im Interview mit Alice spricht sie die Aufarbeitung ihrer Vergangenheit erstmals offen aus. Die Erzählungen sind nur für diese Nacht in Köln gedacht, nicht für die Öffentlichkeit, nur für Alice. Nun, durch die Veröffentlichung von "Ein Abend mit Romy" sieht die Welt die Kehrseite der bezaubernden Sissi, oder eher die vielen Kehrseiten. Die ungestüme, fragile, starke und zerrissene Frau: „Der ständige, totale Widerspruch“, wie sie über sich selbst für Alice resümierte, oder auch „die deutsche Schwermut.“
"Ein Abend mit Romy": Bis Sonntag 23. September hier zu sehen: