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In 35 Sekunden auf das Matterhorn

Von Gabriel Egger, 18. Juli 2018, 21:30 Uhr

Zum Abschluss winkt er noch einmal. Mit einer weißen Wolkenfahne, die der kühle Wind langsam nach Osten trägt, bevor sie vom riesigen Karstplateau verschluckt wird. Von hier unten ist der Gipfel gar nicht zu sehen,  die Wiesen-und Latschenhänge  haben bereits die Farbe der Nacht angenommen. Warum der westlichste Zweitausender des Toten Gebirges einen Doppelnamen hat, ist mir heute Abend klar.  

Schönberg nennen ihn die, die schon einmal sein Farbenspiel beobachtet haben. Die, die auf seinen Almen eingekehrt und auf seinen schmalen Wegen geschwitzt haben. Die, die nach einem Gipfelblick auf den Traunsee und das Tote Gebirge ins Schwärmen kommen, wenn sie auf der langen Forststraße zurück zum Parkplatz wandern.

Wilde nennen ihn jene, die seine  Ursprünglichkeit lieben. Die, die es mögen, wenn das Handy durchgehend "kein Netz" anzeigt und die, die kein Problem haben, wenn die einzige Dusche, die es gibt, vom Himmel kommt. 

Erst Bernhard Gruber, Hüttenwirt der Rettenbachalm, reißt mich aus den Abendträumen. "Sinds fertig mit Essen, die Wilden? Ein Wink mit dem Zaunpfahl. " Heute darf der Berg ruhig "Wilde heißen", wenn die Teilnehmer der XTreme-Tour unter seinen Flanken schlafen. 

 

Zwischen Matterhorn und Sandling

Am Morgen waren Anna, Roland, Paul und Co. noch in den Westalpen. Zumindest gedanklich. Denn wer vom "Outdoor-Leadership"-Gelände unterhalb der Zwerchwand Richtung Hütteneckalm spaziert, kommt unweigerlich am Matterhorn vorbei. Schroff, unnahbar, ein Grat, der sich steil gen Himmel zieht.  80 Meter alpines Abenteuer.

Der Kletterfelsen "Kleines Matterhorn" hat sich - vermutlich unter tosendem Lärm- einst von der Zwerchwand gelöst. Heute dient er zur Vorbereitung auf Mehrseillängen-Touren. Die Teilnehmer müssen das kleine hölzerne Gipfelkreuz so schnell wie möglich erreichen. "Das ist die erste Challenge" sagt Rob Hakenberg in seinem unverwechselbar- symphatischen Flachlandton. Paul kann das Klettern natürlich "überhaupt nicht". Und natürlich wird er später wieder unter den besten Drei sein. Wäre Tiefstapeln ein Bewerb, Paul käme bis zum  Marianengraben. 

Gut gesichert steigen Anna S. (das S. gilt als Erkennungsmerkmal um sie von Anna F. zu unterscheiden) und Jakob in den Bewerb. 53 Sekunden und 61 Sekunden. Nicht weit auseinander, aber auch nicht zufriedenstellend. 

 

Dann purzeln die Zeiten. 38 Sekunden, 37 Sekunden, 36 Sekunden. Bis Roland in 35 Sekunden auf dem Gipfel des Matterhorns steht. Unter 40 Sekunden blieben auch Anna F. (das F. gilt als Erkennungsmerkmal, um sie von Anna S. zu unterscheiden) und Manuel. Sie klettern in den Olymp: Sieg auf schnellster Linie.

Feiern können sie nicht lange. Der Sandling ruft. Um seinen Ruf auch wirklich hörbar zu machen, hat er sich den Donner geschnappt. Gemeinsam stürzen sie das Wetter. Der blaue Himmel ergraut langsam. Noch ist aber Zeit. "Da müssen wir eh nicht rauf, das ist der Loser", hatte Manuel zur allgemeinen Beruhigung gesagt, als sich die Kandidaten zum zweiten Mal verstiegen hatten.

Wenige Minuten später orientieren sie sich richtig. Der Loser wird zum Sandling. "Da rauf? Wirklich?", fragt Michaela. Während Jakob kurz mit dem Schicksal hadert, weil er die Kuh, die ihn mit der rauen Zunge umgarnt, nicht mit nach Bad Ischl nehmen kann, setzt der Regen ein. Die vielen Seile und Trittstifte beim Anstieg auf den Sandling werden dadurch nicht leichter. Monika, das XTreme-Tour Küken, spürt das im Bauch. Die Anstrengung ging leider auch durch den Magen. "Wozu bin ich da. Ich nehm' dir den Rucksack!", sagt Paul und beweist einmal mehr, warum man ihm seine raue Wortwahl nicht übel nehmen kann. Harte Ternberger Schale, weicher Kern.  Doppelt bepackt erreicht er mit allen anderen Teilnehmern den Sandling. Während sich Anna F. (das F. eh schon wissen) am Versuch scheitert, alle Gipfel zu benennen, zeigt Rob, wo der Weg zur Rettenbachalm führt. 

"Ihr haltet mich oft nicht aus. Aber da gehen wir jetzt noch so lange, dass ich mich selber nicht mehr aushalte", sagt Paul. 

Kopf aus, Beine an

Er trägt immer noch zwei Rucksäcke. Abnehmen lassen will er sie sich nicht. Obwohl Monika darauf besteht. "Es geht eh schon wieder". "Ruhig, schon dich, wir haben noch ein paar Tage". Charmant. 

18.45 Uhr ist es, als wir in der Ferne endlich die urigen Häuser der Rettenbachalm erkennen. Das Chili-Con-Carne ist angerichtet, die Dusche im fünf Grad kalten Bach bringt den Kreislauf zurück in die angenehmen Bahnen. 

Lange sitzen wir noch am Lagerfeuer, scherzen, singen, reden über Gott, die Welt und welche Schicksale sie beeinflusst. Hüttenwirt Bernhard Gruber hat seine Frau vor drei Jahren bei einem Autounfall verloren. Das hat ihn umdenken lassen. Von den Überstunden im Büro der Steuerberatung ans westliche Ende des Toten Gebirges. "Die Prioritäten verschieben sich, die Sichtweise wird einfach anders", sagt er. 

Vielleicht sollten wir auch öfter nachdenken, ob uns ein Leben, das zumindest ein bisschen von der Norm abweicht, gut tun würde. Wie diese Woche hier, bei der XTreme-Tour. Mit diesen Gedanken verabschiede ich mich in unser Freiluftlager. Vier Männer auf einer Plane, der Sternenhimmel und Pauls Schnarchen. Genug Bilder im Kopf, bevor es morgen weiter nach Steinbach am Attersee geht. Gute Nacht! 

 

 

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