Musik zwischen Irdischem und Überirdischem
Franz Welser-Möst begeisterte mit dem Cleveland Orchestra und dem Wiener Singverein in der Stiftsbasilika St. Florian.
Das Deutsche Requiem von Johannes Brahms kreist um die Unbeschreibbarkeit des Todes und findet seinen Kern in der Verheißung ewigen Lebens. Wie im Kreis geformt schmiegen sich Anfangs- und Schlusssatz des siebenteiligen Stücks um dieses Zentrum: Schmerzlich eröffnend mit der Seligpreisung der Leidenden, tröstlich schließend mit der Seligpreisung der Toten. Als würde er einen goldenen Seidenfaden aus der Transzendenz holen und diesen aus dem Zustand der Nicht-Existenz zum Kostbarsten werden lassen, dessen der Mensch fähig ist – so holte Franz Welser-Möst am Dienstagabend mit dem Cleveland Orchestra und dem Wiener Singverein in der Stiftsbasilika St. Florian diese Musik aus dem Nichts.
Ereignis der Superlative
Das Undefinierbare zwischen Irdischem und Überirdischem machte sich in den bis aufs Äußerste bewegenden Schlussmomenten Raum; da, wo die zuvor durch Leid, Vernichtung und Erlösung geschickten Töne ins Unendliche verhallten.
Frappant ruhig und in großem Bogen geführt, wurde das Requiem unter Welser-Möst zum Ereignis der Superlative, minimale Gestik und Suggestion animierten ein Riesenaufgebot an Ausführenden zu subtilster Zartheit.
Mit dem ersten A-cappella-Einsatz des von Johannes Prinz betreuten Wiener Singvereins taten sich neue Dimensionen auf: Das Thema war hier nur ein Hauch, so fein und leise wie möglich gesungen. Mit dem zweiten Satz "Denn alles Fleisch, es ist wie Gras" hob Brahms zum schattenhaften Totentanz an. Mahnend die Pauken und dabei unendlich weich die Bässe. Hier war erstmals die Wucht des gesamten Klangkörpers voller Eindringlichkeit und Stärke zu hören – und dies erschütterte nach der dynamischen Zurückhaltung des Beginns ganz besonders.
Das Bariton-Solo des dritten Satzes berührte durch Simon Keenlyside. Der fünfte Satz bestach durch die samten sordinierten Streicher und gipfelte im Dialog zwischen Sopran und unglaublich austariert homophon geführtem Chor. Das eindringliche und ans Herz gehende Sopran-Solo von Hanna-Elisabeth Müller wurde zur zentralen Botschaft; verheißungsvoll beschwor sie Tröstung und Wiedersehen. Das an Chorfugen reiche Werk überbietet sich selbst mit der Fuge im Dankgesang "Herr, Du bist würdig".
Zu geballter Energie entfacht
Auch hier gelang Franz Welser-Möst Phänomenales: den großen Klangkörper zu geballter Energie zu entfachen und dabei völlige Präzision und Stabilität zu behalten. Schier unfassbar wurden dann jene Momente, in denen er bei lyrischen Kontrasten durch feinste Bewegung die Musik in ein schwebendes Schwingen brachte, welches im Handumdrehen wieder in die Stringenz der Fuge kippen konnte. Mit dem langsam verklingenden "Selig" des finalen Satzes schloss sich der Kreis – und der goldene Seidenfaden konnte sich wieder ins Nichts verlieren.
Konzert: Franz Welser-Möst, The Cleveland Orchestra, Wiener Singverein, Privatkonzert der Raiffeisenlandesbank OÖ, St. Florian, 23. August
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