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Balkonsitzplatzblick - Eine Randbetrachtung

Von Hans Eichhorn, 13. Juni 2015, 00:05 Uhr
Balkonsitzplatzblick (Eine Randbetrachtung) Von Hans Eichhorn
„Ist die Beobachtung ein politischer Akt?“, fragt sich der Literat und Berufsfischer Hans Eichhorn. Bild: VOLKER WEIHBOLD

Zur Lage des Landes: Die OÖNachrichten haben heimische Autoren eingeladen, im Wahl-Jahr ihren Blick auf Oberösterreich in Essays zu schildern. Den Auftakt zur literarischen Reihe macht Hans Eichhorn.

Vor meinen Augen die Zweige des Kirschbaums, die noch frischen saftigen Blätter, dazwischen die in ganzen Bündeln wegspritzenden geballten Kirschfruchtknoten. Was habe ich zu sagen zur Lage des Landes? Nichts. Ich habe höchstens etwas zu schreiben: ein anderes Nichts, und das könnte vielleicht Literatur genannt werden. Also, was ist das schon? Ich sitze auf dem Balkon des Fischerhauses am Attersee, schaue auf den fruchtenden Wildkirschbaum im Garten und denke mir, dass er längst umgeschnitten gehörte, weil die Früchte erstens zu klein sind und zweitens die meisten von den Vögeln gefressen werden. Er ist also zu wenig gewinnträchtig, und das zu wenig Gewinnträchtige gehört weg. Da ist mir auch schon ein vages gesellschaftskritisches Bonmot aus dem Mund gefallen! Und schon hüpft eine Kohlmeise zwischen den Kirschbaumästen herum. Ist die Beobachtung ein politischer Akt? Unter Umständen könnte das der Fall sein, denn ich erlaube mir am helllichten Tage auf der Balkonbank Platz zu nehmen, wie ich schon oft auf ihr Platz genommen habe, um einfach dazusitzen und zu schauen. Ein wohl ungehöriges Privileg. Ein Segelboot dümpelt hinter der Bootshütte, Wellen klatschen gegen das Heck und wabern in den Hohlräumen des Seeufers nach.

Sei kritisch!

Darf ich an den Titel erinnern, Zur Lage des Landes heißt er, und deine Natureindrücke können mir gestohlen bleiben, sag, was Sache ist! Da spricht also ein zweites Text-Ich zu mir, als müsste ich mir selbst ins Wort fallen, damit endlich zum Thema Bezug genommen wird. Beispielsweise, welche politischen Verfehlungen siehst du in deiner Heimatgemeinde Attersee? Sei kritisch! Sind da beispielsweise nicht eine Menge Probleme grundgelegt, wenn den Hauptwohnsitzen ein ebenso großer Teil an Zweitwohnsitzen gegenübersteht? Allein die Bereitstellung und Wartung der Infrastruktur, werden damit nicht für alle hier Wohnenden die Kosten erhöht, und die Frage folgt, wer kann sich das am ehesten leisten? Kann ich mir die Erhaltung des Fischerhauses angesichts meines bescheidenen Einkommens denn überhaupt leisten, wo Dasitzen, Schauen, Nachdenken und Horchen der Müßiggang schlechthin sind? Was aber wäre Attersee ohne die Zweitwohnsitze?! Und wie ist es mit dem Ortszentrum? Metzger, Greißler, Obstgeschäft, Post, alles weg, zugesperrt? Wer hat das zu verantworten?

Zwei Bachstelzen tummeln sich auf den Stegpfosten, in der alten Fischerreuse haben sie ein Nest gebaut. Interessiert mich nicht, nimm endlich Stellung oder schweig und lass andere zu Wort kommen, die ihre Ideen und ihr Engagement einbringen können und wollen! Aber ich wurde gefragt, und obwohl ich nichts zu sagen habe, reizt es mich, zumindest darüber nachzudenken.

Wollen wir vielleicht einen Schuldigen oder eine Gruppe von Schuldigen oder eine Partei für unsere Probleme festmachen? Und stehen Politiker nicht schon im Vorhinein unter Generalverdacht? Kürzlich sagte mir ein Jugendfreund, die oberösterreichische Politik habe insofern versagt, als sie es verabsäumt habe, in der Atterseeregion eine Stadt zu schaffen, nämlich Seewalchen, das hätte das Potenzial dazu, und damit wäre ganzjährig ein pulsierender wirtschaftlicher Faktor vorhanden, die Probleme wären gelöst. Was ist deine Meinung dazu?!

Während ich also die noch grünen Kirschfruchtknoten anschaue und mir überlege, wie sich so ein Text, der keine konkreten Vorwürfe und keine konkreten Anliegen hat, der sich einfach diesem Sitzfleisch und dieser vorsommerlichen Stimmung verdankt, entwickelt und ob es zu rechtfertigen ist, dass er in dieser Art und Weise fortgesetzt wird, denke ich, natürlich, schon um mir selbst zu widersprechen, sollte er fortgesetzt werden. Die Landeshauptleute Ratzenböck und Pühringer haben sich zu einer forcierten Kulturpolitik bekannt: Kultur kostet Geld, Unkultur noch viel mehr, hat es geheißen. Wer wollte dem widersprechen?

Das nennst du Kritik, das ist doch nur eine opportune Bestätigung des Status quo. Aber kennst du vielleicht jemanden, der für eine bessere Kulturpolitik stehen könnte? Wäre das etwa die Kritik, dass so jemand gar nicht wahrgenommen werden kann und auch nicht wahrzunehmen ist?

Der Text scheint mir völlig zu entgleiten. Sei kritisch! Das ist die Ansage, und sie löst bei mir einen ähnlichen Reflex aus wie die Aufforderung: Sei spontan! Nun ja, sagen wir altbacken, es gibt nichts, was nicht zu verbessern wäre. Ich rede also mit mir bereits in der 1. Person Mehrzahl, als würde ich den Leser gleichsam in meinen Diskurs einbeziehen, der mir nicht nur entgleitet, sondern der kontinuierlich in den Abend übergeht und mir das Höllengebirge samt der vorgelagerten Waldzone als schwarzgrünes und graumassiges langgezogenes Dingsda zeigt, während gegen Kammer-Schörfling hin eine dünnlippige Landzunge mit Blickfang rotblinkendes Licht am Lenzinger Schlot sowie Rauchschwaden und Schörflinger Kirche sich in die Weite öffnet.

Und die Problemstellung, das Aussterben des Ortskerns, die Wohnsitze, die Arbeitsplätze, die Finanzen? Ich weiß es nicht, der See liegt ruhig vor mir, mein Thema ist genau genommen die Entschleunigung, mein Thema ist zweifellos ein Privileg (denn wie viele sind auf der Flucht, laufen oder schwimmen im Moment ums reine Überleben?), es ist das Sitzen, das Schauen, du Schauer, hat es sehr oft geheißen, und zunehmend halte ich es für eine kulturpraktische Vision: Dasitzen und Schauen als interdisziplinäres Fach, nicht von einem Thema zum anderen, von einer Problemstellung zur nächsten zu hetzen oder gehetzt zu werden. Ließe sich das nicht zu einer Attersee-Akademie in Wort, Bild und Ton machen? Und wer soll das bezahlen, du Tausendsassa?!

Das natürliche Licht geht mir aus. In Attersee ist mit sehr viel Engagement eine Kulturinitiative am Werk, um den Ortskern zu beleben, das ist zu begrüßen und es sollte von politischer Seite mit entsprechend langem Atem unterstützt werden, denn neben den großen kulturellen Bauwerken, Musiktheater, Bruckner-Universität et cetera, sind die kleinen Kulturinitiativen der Humus, durch den auch die großen Bauwerke gedeihen. Und ganz zuunterst ist es die Literatur, die den Nährboden bereitet.

Nachdenken über das Geschaute

Franz Kain, der bedeutende oberösterreichische Erzähler, hat immer wieder darauf hingewiesen, dass sich die Förderung der Literatur im Vergleich zum Gesamtlandeskulturbudget im Promillebereich bewegt, womit ich diese schöne Hinweistradition fortsetze. Schauen, zuschauen und über das Geschaute nachdenken und sich die notwendige Zeit nehmen und nehmen können, sein Ich in Meinung und Gegenmeinung sprechen zu hören, auch das gehört dazu. Wie jetzt die einbrechende Finsternis dazugehört und der Schreibstift nur mehr schiefe, krakelige Zeichen aufs Papier bringt. Vom See her Flüsterstimmen und ein feines Rauschen in den Kirschbaumblättern. Ich halte still und horche.

 

Hans Eichhorn Bild: (Volker Weihbold)

Der Autor: Hans Eichhorn

1956 kommt Hans Eichhorn in Vöcklabruck zur Welt. Seine Eltern sind in Attersee, in Neustift, Berufsfischer. Nach der Matura an der HAK Vöcklabruck beginnt er in Salzburg Philosophie und Theologie zu studieren. Er bricht ab, 1983 übernimmt Eichhorn den elterlichen Fischereibetrieb. Im selben Jahr publiziert der Berufsfischer auch erstmals Gedichte. Eichhorn hat bis jetzt 21 Bücher veröffentlicht, darunter Lyrikbände wie „Logenplatz“ oder „Morgenoper“.

Sein Arbeitsplatz wird zum Schauplatz von Kunstprojekten. So hat er schon Leinwände wie Netze in den See gehängt und geschaut, was sich tut, welche Algen und Bakterien anheuern. In dem Buch „Treibgut“ ließ sich Eichhorn mit Fotograf Klaus Costadedoi über den See treiben. Fotografisch und in Textpassagen hielten die beiden ihre Begegnungen fest.

 

 

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1  Kommentar
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( Kommentare)
am 13.06.2015 11:03

Ich habe es heute morgens schon in der Druckausgabe gelesen:

" Schauen, zuschauen und über das Geschaute nachdenken und sich die notwendige Zeit nehmen und nehmen können, sein Ich in Meinung und Gegenmeinung sprechen zu hören, auch das gehört dazu. Wie jetzt die einbrechende Finsternis dazugehört und der Schreibstift nur mehr schiefe, krakelige Zeichen aufs Papier bringt. Vom See her Flüsterstimmen und ein feines Rauschen in den Kirschbaumblättern. Ich halte still und horche."

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Schöner kann man es wohl nicht ausdrücken, es wird Zeit, dass wir in Zeiten von politischen und wirtschaftlichen Umbrüchen nachdenken und uns auf wahre Werte besinnen.

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