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Gehen ist die Blaupause für ein besseres Leben

Von Edmund Brandner, 28. Oktober 2022, 00:04 Uhr
Gehen ist mehr als eine Fortbewegungsart Es ist die Blaupause für ein besseres Leben
OÖN-Klimamönch Edmund Brandner ist kein leidenschaftlicher Geher. Er fährt eigentlich lieber mit dem Rad. Bild: VOLKER WEIHBOLD

Gehen ist jene Art, sich in der Welt zu bewegen, die Letzterer am angemessensten ist. Wir sollten das Prinzip "Gehen" deshalb auch auf die anderen Lebensbereiche ausdehnen

Würde mich jemand fragen, wie er privat am effektivsten zur Erderwärmung beitragen kann, müsste ich ihm Flugreisen empfehlen. Es gibt keinen kosten- und zeitsparenderen Weg, seine individuelle Klimabilanz zu ruinieren, als sich zum Spaß in ein Flugzeug zu setzen. (Die wenigsten von uns fliegen ja beruflich.)

Um folgende Dimensionen geht es: Vor zehn Jahren einigten sich die Regierungen dieser Welt in Paris, die Erderwärmung deutlich unter zwei Grad Celsius zu halten. Um das zu schaffen, müssen wir unsere globale CO2-Bilanz auf 2,5 Tonnen pro Kopf und Jahr reduzieren. Das Zeitfenster, das uns noch bleibt, schließt sich erschreckend rasch. Zuletzt war von weniger als zehn Jahren die Rede.

Doch alleine ein Flug von Wien nach Griechenland verursacht hin und retour pro Passagier rund 1,2 Tonnen CO2. Wer nach New York fliegt, trägt sechs Tonnen zur Treibhausgasemission bei, eine Indien-Reise verursacht 7,5 Tonnen CO2 und ein Trip nach Australien knapp 13 Tonnen.

Gehen ist ein Teil der Natur

Doch blicken wir an das andere Ende auf der Skala aller Fortbewegungsarten. Und Sie werden es erraten: Die klimafreundlichste Art, sich von A nach B zu bewegen, ist das Gehen. Gehen ist dem Menschen naturgegeben. Bei der Entstehung des Homo sapiens stand die Entwicklung des aufrechten Ganges ganz am Anfang. Gehen ist jene Art, sich durch die Welt zu bewegen, die der Natur nicht schadet, weil Gehen eben ein Teil der Natur ist.

Ich soll das Themenfeld "Gehen" hier in meiner Funktion als OÖN-Klimamönch beackern, hieß es. Meine Kollegen in Linz werden sich gedacht haben: "Der will das Klima schützen, also muss er viel zu Fuß unterwegs sein. Soll der Klimamönch doch auch einen Beitrag schreiben."

Das mache ich gerne, muss aber enttäuschen. Ich gehe nicht mehr zu Fuß als alle anderen Menschen auch. Der Grund: Ich bin doch der mit dem Fahrrad.

Aber weil in dieser Serie schon so viele Loblieder auf das Gehen gesungen wurden, und weil dies ihr letzter Teil ist, erlaube ich mir, zum Abschluss den Begriff "Gehen" ein wenig auszudehnen: Betrachten wir Gehen als eine Begegnung mit dieser Welt, die Letzterer angemessen ist. Die ihr nicht schadet – und uns sogar guttut.

So gesehen ist Radfahren auch Gehen. (Da habe ich aber noch einmal Glück gehabt.) Wer die Welt im Sattel erfährt, wird ein Teil von ihr, muss sich anstrengen, spürt den Wind und riecht den blühenden Raps. Manchmal wird er auch nass.

Konsequent weitergedacht könnte Gehen auch heißen, sich im Winter im Gebirge auf Tourenskiern zu bewegen oder einfach dort zu wandern, wo kein Schnee liegt – anstatt sich den Hintern auf elektrisch geheizten Gondelsitzen zu wärmen und sich mit betrunkenen Skifahrern triste Kunstschneebänder zu teilen. Die Schneekanonen in den Alpen brauchen pro Jahr mittlerweile so viel Strom wie 130.000 Vier-Personen-Haushalte.

Aber gehen wir noch einen Schritt weiter: Gehen könnte auch heißen, Fleisch nur zu besonderen Anlässen zu essen. Einst war Fleisch etwas Kostbares. Meine Vorfahren hatten den Stall voller Tiere, aber auf den Teller kam Fleisch nur an Sonn- und Feiertagen. Heute wird Fleisch zu Ramschpreisen unters Volk geworfen. Wer im Supermarkt nur drei Euro für ein Kilo Faschiertes bezahlt, möchte dabei nicht in die Augen des produzierenden Landwirts blicken müssen. Und besser auch nicht in jene des fühlenden Wesens, das für uns gemästet und getötet wurde.

Und weil wir schon beim Thema sind: Gehen könnte auch bedeuten, Lebensmittel nicht im Diskonthandel zu kaufen, sondern direkt bei Landwirten in der Nachbarschaft. Die Möglichkeiten dazu werden immer vielfältiger. Es gibt Bauernmärkte, Hofläden, Food-Coops, Online-Direktvermarktung und vieles mehr.

Lesen statt streamen ist auch "Gehen"

Könnte Gehen am Ende nicht auch bedeuten, mehr zu lesen als zu streamen? Mehr miteinander zu reden anstatt asoziale Netzwerke mit Selbstdarstellungen zu fluten? Könnte Gehen vielleicht bedeuten, sich wieder mehr Zeit zum Kochen zu nehmen? Stolz den eigenen Salat im Hochbeet zu ernten?

Vielleicht ahnen Sie, worauf ich hinauswill. Ich möchte Sie einladen, unsere Serie zum Thema "Gehen" in einem größeren Kontext zu verstehen. Sie ist auch eine Gelegenheit, unseren Lebensstil zu überdenken – und ich spreche bewusst von "uns", weil ich mich selbst miteinschließe. Falls Sie es genau wissen wollen: Ich esse immer noch zu viel Fleisch, bin ein Konsumtrottel im Allgemeinen und ein Gefangener des Apple-Universums im Speziellen. Ich habe es bis heute nicht geschafft, meine eigene CO2-Bilanz auf 2,5 Tonnen pro Jahr zu reduzieren. Derzeit bewege ich mich bei mindestens fünf Tonnen. Als Klimamönch gehe ich gerade noch durch. Als Missionar wäre ich fehl am Platz. (Missionare mag ich aber ohnehin nicht.)

Was ich aber erfahren habe: Wer versucht, das Klima zu schützen und – um bei der Metapher zu bleiben – das Gehen wieder zu entdecken, der lebt auch auf andere Weise nachhaltiger. Er lebt beispielsweise gesünder, sozial verträglicher, und er stärkt regionale Wirtschaftskreisläufe. Vor allem gewinnt er an Lebensqualität.

Handeln statt verzweifeln

Das Schönste ist aber: Jeder von uns hat zahllose Möglichkeiten, bei sich selbst zu beginnen. Auch wenn es kleine Schritte sind und keiner perfekt ist. Es ist aber auch niemand machtlos. Vor dem Fernseher sitzend darüber zu klagen, dass die Politik Flugbenzin nicht endlich adäquat besteuert, ist billig. Der erste Schritt könnte doch sein, einfach nicht zu fliegen. (Unter allen politischen Gruppierungen sind Grün-Wähler übrigens die eifrigsten Flugmeilensammler. Was zu denken gibt.)

Wir haben uns in den vergangenen 150 Jahren – und nach 1945 immer rasanter – unserem Planeten entfremdet und bemerken jetzt, dass wir die Grenze dessen überschritten haben, was er erträgt. Wir verbrauchen mehr Ressourcen, als die Erde geben kann. Weil Energie so billig ist wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte (ja, auch jetzt), verschwenden wir sie obszön. Beispielsweise auf den Straßen. Wir rotten Tierarten in einem Ausmaß und Tempo aus wie nie zuvor.

Man könnte auch einfach sagen: Wir haben das Gehen ein wenig verlernt. Die Klimakrise ist eine Chance, es neu zu entdecken. Wir können dabei nur gewinnen. Darum: Geht doch!

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Autor
Edmund Brandner
Lokalredakteur Salzkammergut
Edmund Brandner

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