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Schulden und Geben

Von Von Alexander Ritzinger, 11. Dezember 2010, 00:04 Uhr
Schulden und Geben
Wenn Kinder irgendwo auf dieser Welt unverschuldet in Not geraten, öffnen sich Herzen und Geldbörsen in Europa. Bild: Reuters

Freilich gibt es Menschen, die mit den notleidenden ÖBB von Wels nach Wien reisen, auf dem Weihnachtsmarkt vor dem Rathaus einiges Geld ausgeben und dort einem „Sandler“ 3,20 Euro schenken. Aber haben sie tatsächlich „gespendet“. Oder befördern sie eine „Mitleidsindustrie“.

Das Mitleid, das Schenken und das Spenden ist in diesen Tagen wieder sehr in Mode. Die Österreicher geben aber nicht nur im Angesicht der Geburt eines Erlösers und später Gekreuzigten sehr fleißig. Sie sind über viele Jahrhunderte katholisch und christlich geprägt, die Mildtätigkeit wird sozusagen ins Blut hinein vererbt und außerdem zählt unser Land zu den Reichsten der Welt. Wer es sich leisten kann, hat oft einmal zumindest blitzlichtmäßig ein „schlechtes Gewissen“. Aber warum? Jedenfalls: Mit einer kleinen Bußzahlung lässt sich das getrübte Gewissen im Zaum halten. So wird es erhellt.

Einem anderen Menschen etwas Gutes zu tun, ist eine große kulturelle Leistung. Ihm bloß Geld zu geben, vielleicht nicht so sehr. Geld zu geben erzeugt nämlich auch Abhängigkeiten. Wer aus seiner Mietwohnung geworfen wird, weil sie oder er weder Stromkosten noch die Gasrechnung begleichen kann, hat sich entweder verspekuliert, steht nahe an einem Abgrund oder verhielt sich schlicht verantwortungslos. Geld zu geben löst ein erstes, aber kein prinzipielles Problem.

Es gibt so vieles, das in diesem unwägbaren Leben zwischen den Fingern zerrinnt. Wir wissen nur schemenhaft, wie es funktionieren könnte. Und das nur die Weisen.

Wie ist es also mit dem Spenden? Der Linzer Altbischof Maximilian Aichern war in diesen Tagen in der Altstadt unterwegs, der späte Nachmittag kühlte finster und fröstelnd herab. Die übliche Christkindlbeleuchtung schimmerte, er dachte, einen Renaissance-Innenhof zu finden. Dieser Hof tobte sich aber als eine kleine überdachte Geschmacklosigkeit aus. Und dann die Frage an ihn: „Was halten Sie vom Spenden?“

Aichern sagte: „Spenden heißt Freude geben, Hilfe leisten, aus dringenden Nöten zu helfen. Spenden ist eine Gabe, die nicht nur etwas mit Geld zu tun hat. Spenden heißt auch, füreinander da zu sein, es ist die Vermittlung einer hilfreichen Gemeinsamkeit. Es geht auch darum, ein gutes Wort zu sagen und als Vermittler aufzutreten.“

Das ist die moralisch wertvolle Idee hinter einer Spende. Es gibt aber auch eine milliardenschwere Industrie, die an der weltweiten Nothilfe mächtig verdient. Sie wird „Mitleidsindustrie“ genannt.

Mit der Armut wird viel Geld verdient

Nun soll hier kein Missverständnis aufkommen: Es gibt so viele Projekte, die Kindern zu Gute kommen, oder als Ziel haben, dass beispielsweise indische Mädchen eine Schule besuchen können. Engagements, die einen Wasserbrunnen finanzieren, der Hunderten das Überleben sichert. Bitte spenden Sie, so viel Sie können. Aber überlegen Sie gut, an wen Sie ihr Geld überweisen.
Die niederländische Journalistin Linda Polman hat ein provokantes Buch geschrieben, dass hinter die Kulissen der internationalen Hilfsorganisationen blickt. Die Autorin gilt als Spezialistin für die Aufarbeitung internationaler Hilfseinsätze in den Krisenregionen dieser Welt. Es gibt viele Krisenherde. Polman war jahrelang Korrespondentin bei den Truppen der UN-Friedensmission in Somalia, Haiti, Ruanda und Sierra Leone.

Eine riesige Behörde

Noch einmal: Es geht hier nicht darum, einer Oberösterreicherin, die Hab und Gut verloren hat, nicht zu helfen. Es geht um die prinzipielle Idee der Hilfsbereitschaft und wie sie missbraucht werden kann.
Polman beginnt ihr Buch mit einem langen Zitat des kenianischen Wirtschaftsexperten James Shikwati, der im Jahr 2005 mit dem deutschen Nachrichtenmagazin „SPIEGEL“ sprach.

Dort wird er so zitiert: „Wenn in einer bestimmten Region Kenias eine Dürre herrscht, schreien unsere korrupten Politiker reflexartig nach mehr Hilfe. Dieser Ruf ereilt das Welternährungsprogramm der UNO, also eine riesige Behörde von Apparatschiks, die in der absurden Situation sind, sich zwar dem Kampf gegen den Hunger verschrieben zu haben, aber alle arbeitslos wären, würden sie diesen Hunger tatsächlich beseitigen. ...

Dann werden tausende Tonnen Mais nach Afrika verschifft. Der landet irgendwann im Hafen von Mombasa. Ein Teil wandert direkt in die Hände skrupelloser Politiker, die ihn an ihren eigenen Stamm weiterleiten, um damit Wahlkampf zu machen. Ein anderer Teil kommt auf den Schwarzmarkt. Dort wird der Mais dann zu Dumpingpreisen verscherbelt. Ein einheimischer Bauer kann seine Hacke dann gleich aus der Hand legen, denn mit dem UNO-Welternährungsprogramm kann niemand mithalten. Und weil die Bauern unter diesem enormen Druck eingehen, hat Kenia auch keine Reserven, wenn nächstes Jahr tatsächlich eine Hungersnot ausbricht. Das ist ein ganz simpler, aber folgenschwerer Kreislauf.“

Linda Polman versucht in ihrem Buch auf eine höchst verstörende Komplexität hinzuweisen: Je mehr in kriegführende und korrupte Staaten gespendet wird, umso länger wird das Leiden der Menschen ausgedehntt. Sie schreibt im Kapitel „Humanitäre Hilfe als Kriegswaffe“: „Die wachsende Zahl der Hilfsorganisationen und der steigende Wert der Hilfsgüter macht humanitäre Hilfe zu einer immer wichtiger werdenden Auffüllung der Kriegskassen“.
Polman sagt: „Humanitäre Hilfe spielt sich auf einem freien Markt ab, auf dem jeder der möchte, sein Geschäft aufmachen kann. Wer Lust hat, gründet eine Organisation und sammelt Geld“. Und sie verweist auf Peinlichkeiten bei Hilfslieferungen: „Die Spenden nach dem fürchterlichen Tsunami in Thailand enthielten beispielsweise Wintermäntel, High-Heels, Tanga-Strings und Viagrapillen. Nach Sri Lanka gingen Nikolauskostüme und sparsame Damendessous.
Und dann kommt noch eines dazu: Polman geht in ihrem Buch ausführlich auf die „Hungerwaffe“ ein. Die ist zwar nach den Genfer Konventionen verboten. Allerdings gibt es dafür keine Sanktionen. Werden also Ernte, Trinkwasser und Viehbestände zerstört, kommt für manche nach dem Hunger der Reichtum. Denn es folgt humanitäre Hilfe, an den sich die Täter schamlos bedienen. Kriegstreiber stehlen Nahrungsmittel aus Depots oder von den Konvois internationaler Hilfsorganisationen, essen sie selbst oder verkaufen sie, um ihre Kriegskassen zu füllen.

Die Mörder füttern

Das dazu passende Schlagwort heißt „Feeding the Killers“.
Die Lektüre dieses Buches ist auch deshalb so verwirrend, weil es uns in eine triste Ratlosigkeit entführt: „Sollen wir denn überhaupt nichts mehr tun, nichts mehr spenden, keine Anteilnahme zeigen?“

Denn mit humanitärer Hilfe wird Politik gemacht, blutige Politik, dass ist keine Frage, die aber bei uns zu selten gestellt wird. Genau deshalb dürfen wir uns aber nicht zurücklehnen. Außerdem: Mit einigen Euro wird diese Welt nicht besser, sehr wohl aber durch wache Menschen, die sich mutig engagieren. Übrigens nicht nur in Afrika oder Arabien, sondern auch in Guatemala oder in Österreich.
Auf dem Linzer Weihnachtsmarkt hält Anton ein noch sehr kleines Kind in seinen Armen, vielleicht ist es ein Jahr jung, wenn überhaupt. Rotbackige Wangerl leuchten.

Spendet Anton?: „Nein, ich sehe das sehr kritisch. Ich bin Mitglied bei Attac, also durchaus politisch orientiert. So erfahre ich, wie die Menschen ausgebeutet werden, wir berauben viele Länder, indem wir ganz billig ihre Rohstoffe importieren. Ich habe Bergarbeiter in Bolivien gesehen und mitbekommen, wie die für unseren Wohlstand um einen Hungerlohn schuften. Mit einer Spendenzahlung ist es da nicht getan. Da müssen wir konsequent über unser Wirtschaftssystem nachdenken.“

Bevor der Buchhändler Alex auf dem Linzer Hauptplatz seinen Computer in den Nachtschlaf versetzt, sagt er noch: „Spenden ist für mich eine Form der Abbitte, eine Gewissensbereinigung. Einer meiner Freunde baut auf Haiti Häuser für die Erdbebenopfer. Daran beteilige ich mich. Aber es ist nicht nur eine Abbitte. Es ist auch eine Idee dahinter.“

Altbischof Aichern zieht jetzt seinen Mantel etwas enger, wie gesagt, die Kälte läuft kleinfüßig bissig durch die Straßen. „Das Vermitteln zwischen den Menschen ist sehr wichtig“, sagt er und grüßt mit einem freundlichen, wissenden Blick.

Das ist eine weise Spende.

Ein Nachsatz ist aber notwendig. Das Spenden ist oft auch die Idee einer unbekümmerten Arroganz. Wir leben in Österreich vom Reichtum vieler Länder, die zu unseren Gunsten ausgebeutet werden. Jährlich zehn Euro für ein verlorenes, hungerndes Kind sind nichts wert, wenn wir die prinzipiellen Probleme, die dahinterstehen, nicht sehen wollen.

Oder mit aufgeklärter Liebe gesagt: Jesus ließ seinen Körper nicht ohne Grund an ein Kreuz nageln. Im Gegensatz dazu: 3,20 Euro oder mehr werden die Welt gewiss nicht retten.

Es ist doch so: Solange wir Spenden geben, leben wir in einer armen Gesellschaft. Und manche profitieren davon. Millionenschwer.

Das Buch

Linda Polman: Die Mitleidsindustrie. Hinter den Kulissen internationaler Hilfsorganisationen. 268 Seiten, Campus Verlag, 20,50 Euro.



 

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