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Vom Zillertal nach Schlesien

Von Von Wilhelm Mayrhofer, 30. Oktober 2010, 00:04 Uhr
Vom Zillertal nach Schlesien
Auswanderer 1837. Ein Gemälde von Matthias Schmid Bild: privat

Noch bis 7. November gibt die Landesausstellung „Renaissance und Reformation“ im Schloss Parz einen Überblick über die religiösen Umwälzungen in Europa, die mit Martin Luther begannen und mit dem Toleranzpatent Kaiser Joseph II. von 1781 ihren vermeintlichen Abschluss fanden. Trotzdem wurden noch 56 Jahre später protestantisch gesinnte Bewohner mehrerer Zillertaler Dörfer aus Österreich ausgewiesen.

Die Ausgrenzung und Verfolgung religiöser Minderheiten hatte im „Heiligen Land Tirol“ eine lange Tradition. Als insbesondere in den internationalen Zentren des Bergbaues (Schwaz, Hall, Brixlegg, Rattenberg) eine evangelische Bewegung entstand, wurden im Unterschied zu anderen österreichischen Ländern diese reformatorischen Aktivitäten von Beginn an entschlossen bekämpft. So wurde schon die Täuferbewegung grausam verfolgt. Heimliche Auswanderungen bis nach Mähren in die Nähe von Nikolsburg begannen.

Der 1536 in Innsbruck verbrannte Pustertaler Jakob Huter wurde Führer jener Gruppe, die später als Hut(t)erer bezeichnet wurden. Sie kamen über Stationen in Siebenbürgen, der Walachei und der Ukraine bis nach Amerika. In South Dakota gründete man den ersten „Bruderhof“. Diese „Brüderhöfe“ mit Abgrenzungen zur bestehenden Gesellschaft, die sich in eigener Kleidung oder durch die Ablehnung des technischen Fortschritts zeigen, bestehen heute noch.

1684/85 wurden 621 evangelische Bewohner des (damals politisch zum Fürsterzbistum Salzburg gehörenden) Defreggentales nach Süddeutschland ausgewiesen. Von den Massenvertreibungen der Jahre 1731/32 aus den Salzburger Territorien – Historiker sprechen von bis zu 30.000 Exulanten –, war das Zillertal, das politisch bis 1816 ebenfalls zum Fürsterzbistum Salzburg zugehörig war, merkwürdigerweise nicht betroffen. Die Evangelischen traten hier nämlich nicht an die Öffentlichkeit, sondern lebten ihren Glauben als Geheimprotestanten in entlegenen Bauernhöfen. Gehäuft traten die Protestanten in Mayrhofen, Zell am Ziller, Hippach und Finkenberg auf.

Nach dem Toleranzpatent 1781 schien ihnen die Zeit reif, um ihr Versteckspiel aufzugeben. In den späten 1820er-Jahren begehrten die bisherigen Geheimprotestanten offiziell den Austritt aus der katholischen Kirche. Ende Juni 1832 wandten sie sich mit einem Bittgesuch an Kaiser Franz I., in dem sie sich zur evangelischen Kirche AB bekannten. Die Bittsteller ersuchen darin etwa, ihren ererbten Glauben im Familienkreis praktizieren zu können. Die Restriktionen, denen sie unter anderem bei Heiraten und Rechtsgeschäften unterlagen, sollten aufhören.

Spitzfindige Argumentation

Nachdem klar war, dass das Toleranzpatent auch für das nach bayerischer Herrschaft 1814 wieder zu Österreich gekommene Tirol und damit auch für das Zillertal Geltung habe, griff man zu einer spitzfindigen Argumentation: Bei den Zillertaler Gesuchstellern handle es sich keineswegs um Lutheraner, also Angehörige einer „tolerierten“ Konfession, sie seien lediglich zum Protestantismus neigende Personen, „Inklinanten“, im Grunde protestantische Sektierer, und diese würden vom Toleranzpatent nicht erfasst und geschützt.

So kam es, wie es kommen musste: Die Tiroler Landstände erreichten nach langem Hin und Her schlussendlich, dass die „verrückten Theologen im Bauernkittel“, wie sie Landesgouverneur Wilczek spöttisch nannte, die sich nicht zur katholischen Kirche bekennen wollten, gemäß einem Dekret von Kaiser Ferdinand I. (dem „Gütigen“) vom 12. Jänner 1837 entweder ins Ausland oder in andere Provinzen zu übersiedeln hätten, in denen bereits „akatholische“ Gemeinden existierten. Die Staatsräson hatte gegenüber der Toleranz gesiegt, weil bei den Wiener Zentralstellen in der Einheit des Glaubens ein Garant für die Einheit des Staats gesehen wurde.

Für das Verlassen ihrer alten Heimat entschieden sich überraschend viele Zillertaler: 416 wollten ins Ausland, elf nach Kärnten und in die Steiermark.

Unter den Auswanderern waren Familien mit wenigen Wochen alten Babys und Greise im Alter von mehr als 80 Jahren. Einige Auswanderer wurden erst später protestantisch. Sie verstanden das Verlassen ihrer Heimat vorrangig als Protest gegen die wirtschaftlichen Strukturen mit Ungerechtigkeit und Ausbeutung. Österreich wollte wegen dieses antiösterreichischen Votums jedes Aufsehen im Ausland vermeiden und dürfte über diplomatische Kontakte in Berlin vorgefühlt haben.

Erinnerungen in Gallneukirchen

Jedenfalls bewilligte Friedrich Wilhelm III. die Ansiedlung der Zillertaler in Erdmannsdorf in Niederschlesien im Riesengebirge. Von 31. August bis 4. September 1837 verließen vier Trecks das Zillertal. Der lange, beschwerliche Weg, dessen Strapazen etliche Alte und Kranke nicht überlebten, führte die Zillertaler über Salzburg und die Toleranzgemeinden – in Rutzenmoos, Wels, Scharten, Eferding, Wallern, Goisern, Gosau, Neukematen und Thening waren nach 1781 evangelische Gemeinden entstanden – nach Linz und über Budweis und Königgrätz in ihre neue Heimat. Dabei kamen sie auch nach Gallneukirchen an der damaligen Prager Reichsstraße.

Robert Cepek, Pfarrer der evangelischen Gemeinde Gallneukirchen von 1965 bis 1985, hat im Heimatbuch Gallneukirchen aus dem Jahr 1982 von einer mündlichen Überlieferung alter evangelischer Gemeindeangehöriger berichtet, nach der protestantische Auswanderer auf ihrem Weg nach Preußen in Gallneukirchen, und zwar im damaligen Gerichtsgebäude der Starhemberg-Herrschaft Riedegg, verköstigt und beherbergt worden seien. Dieses Gebäude nahe der Gusenbrücke ist heute das evangelische Pfarrhaus.

Ein hartherziger Pfarrherr

Die Erzählungen fanden bei den Recherchen zum Heimatbuch von Engerwitzdorf (2007) ihre Bestätigung: Historiker hatten in Publikationen über die Tiroler Inklinanten von der Gastfreundschaft der Starhemberger auf Riedegg, deren Vorfahren in der Reformationszeit 80 Jahre lang führende Protestanten im Land ob der Enns gewesen waren, berichtet.

Gleichzeitig schrieben sie aber auch davon, dass der damalige katholische Pfarrer von Gallneukirchen, Johann Nepomuk Bauer, den Gläubigen verboten hatte, den Glaubensflüchtlingen aus Tirol Nahrung zu reichen, ja auch nur mit ihnen zu sprechen.

Es ist eine merkwürdige Fügung des Schicksals, dass das ehemalige starhembergische Herrschaftsgebäude 1872 in den Besitz der jungen evangelischen Gemeinde überging. Die Ursprünge dieser evangelischen Gemeinde gehen nämlich nicht auf die Reformation zurück, sondern auf die Erweckungsbewegung von Martin Boos, der als katholischer Pfarrer von 1806 bis 1816 in Gallneukirchen gewirkt hatte.

In der neuen Heimat in Preußen entwickelten sich die Tiroler zu geachteten tüchtigen Landwirten, auch die vielen Dienstboten und Handwerker unter ihnen fanden Arbeit.

1922 starb der letzte Zillertaler, der ausgewandert war. 1940 lebten von den Nachkommen der Tiroler noch rund 3000 Personen, außerdem viele in anderen Teilen Schlesiens und Deutschlands und sogar in Nordamerika und Australien.

Bei Kriegsende 1945 mussten die schlesischen Tiroler vor der Roten Armee flüchten. Zillerthal-Erdmannsdorf (so der genaue Gemeindename) wurde Polen eingegliedert und heißt heute Myslakowice. Noch heute stehen dort Höfe in der typischen Tiroler Holzbauweise und wirken wie stumme Zeugen der Geschichte.

Einige Auswanderer waren wieder zum katholischen Glauben zurückgekehrt, so Andreas Egger, der seine katholisch gebliebene Frau und die Kinder im Zillertal zurückgelassen hatte. 1862 kehrte er wieder nach Tirol zurück. Zwei seiner Söhne wurden Priester. Franz Egger wurde 1912 sogar Bischof von Brixen – aus diesem Bistum stammten 30 Prozent der Zillertaler Inklinanten.

Michael Kolland, Sohn eines mit den Inklinanten sympathisierenden Holzknechts, wurde Franziskaner und starb 1860 in Damaskus bei einem Überfall moslemischer Drusen auf sein Kloster den Märtyrertod. 1926 wurde er seliggesprochen.

Mehrere Tiroler Familien in Erdmannsdorf hatten bereits 1856 neuerlich ihre Bündel geschnürt und die weite Reise nach Chile auf sich genommen. Die Zillertaler siedelten sich rund hundert Kilometer südlich von Santiago in Llanquihue am gleichnamigen See an. In der Region gibt es viele deutschstämmige Menschen.

Etwa 600 Nachfahren der Tiroler Auswanderer leben nach wie vor in Südamerika. Eine Abordnung von ihnen besuchte im Jahr 2006 die alte Tiroler Heimat. Kurt Klocker, Präsident der chilenischen Alt-Österreicher: „Im Herzen sind wir Zillertaler geblieben.“

Felix Mitterers „Verlorene Heimat“

Zum Gedenken an die Vertreibung der Zillertaler Inklinanten, denen der Tiroler Dramatiker Felix Mitterer das Theaterstück „Verlorene Heimat“ gewidmet hat, fanden in Tirol in den vergangenen Jahren verschiedene ökumenische Gedenk- und Versöhnungsfeiern statt, zuletzt im Herbst 2009 in Mayrhofen anlässlich des Tiroler Gedenkjahres 1809.

Die Vertreibung der Zillertaler Protestanten sei für Katholiken mit „Scham und der Bitte um Vergebung verbunden“, sagte dabei der Innsbrucker Bischof Manfred Scheuer. Bereits 1966 hatte der damalige Salzburger Erzbischof Rohracher die Protestanten um Verzeihung für das Vorgehen seiner Vorgänger gebeten.

Heute ist Tirol nach wie vor katholisch geprägt, wenn auch die Zahl der Personen ohne religiöses Bekenntnis stark zunimmt. In der Diözese Innsbruck, die wie andere österreichische Diözesen unter Kirchenaustritten zu leiden hat, sind 76 Prozent der Einwohner katholisch. Nach 1945 waren es noch mehr als 90 Prozent. Die Tiroler Protestanten, von denen 200 im Zillertal leben, sind in sieben Pfarrgemeinden zusammengefasst. Bei der letzten Volkszählung waren 16.000 Tiroler (2,4 Prozent) evangelisch.

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