Kopfhörer #6: Curtis singt nicht fürs Kaufhaus
Musik ist für Curtis Stigers eine Lebenseinstellung. Die hat ihn vom Rock und Blues zum Pop und dann zum Jazz gebracht. Mit „Gentleman“ hat der 54-Jährige ein neues Album veröffentlicht.
Musik passiert nicht beiläufig. Deshalb sollte sie auch nicht beiläufig konsumiert werden, so als hätte sie nur die Funktion der Berieselung gegen die Stille. Kaufhaus- oder Lift-Musik wird im Vorbeigehen konsumiert. Richtig hingehört wird kaum, weil nur das schon Bekannte die Chance bekommt, die (kurze) Aufmerksamkeit des potentiellen Hörers auch zu erreichen.
Doch wie soll einem neue Musik zu Ohren kommen, wenn die Verbreiter auf Nummer sicher gehen und das Bewährte aufdrehen. So konstatierten in diesen Tagen die Verantwortlichen von Spotify, das durch die Corona-Krise der Musikkonsum drastisch zugenommen hat. Ein Silberstreif am Firmanent? Weit gefehlt. Denn es ging um den Musikkonsum während der Hausarbeit oder beim Kochen, womit wir wieder bei der Beiläufigkeit von Musik sind.
Was hat das mit dem amerikanischen Saxofonisten, Sänger und Songwriter Curtis Stigers zu tun? Nun, sehr viel. Denn der US-Amerikaner war zu Beginn der 1990er ein große Nummer im Popgeschäft. Auf seinem Debütalbum fand sich mit „I Wonder Why“ ein Top-Ten-Hit, der es zum Klassiker gebracht hat. Ein Lied, das bis heute emotional nahe geht.
Doch statt wie erwartet groß durchzustarten, lernte Stigers das Popmusikgeschäft auf die harte Tour kennen. In einem Interview schilderte er Jahre nach seiner Orientierung Richtung Jazz Anfang der 2000er Jahre seine damalige Situation so: „Das Musikalische war denen völlig egal. Was zählte war der nächste Hit oder was sie von dahin hielten. Irgendwann hatte ich nur mehr mit Anzug-Typen zu tun, die mir sagten, welche Musik ich zu singen habe.“
Wie gut es ist, dass sich Stigers diesem Diktat entzogen hat, kann man auf „Gentleman“, seinem neuesten Album nachhören.
Seine Stimme ist markant, sanft, ausdrucksstark. Wenn es die Ruhe braucht, dann wird sie zum Hauch, um dann ganz schnell Fahrt aufzunehmen und volle Kraft zu entfalten. Curtis Stigers versteht sich nicht nur auf die Magie seiner Stimme, er ist als Saxofonist und Songwriter auch ein Musiker durch und durch.
Für „Gentleman“ hat er eine feine Band um sich versammelt, um mit neuen Songs und ein paar Perlen anderer Autoren ein großes Spektrum an handgemachter Musik zu präsentieren. Swing, Jazz, Blues, Pop - hier verbindet sich all das, was in Stigers musikalischem Selbstverständnis zu finden ist.
Wem beim fein gesponnenen „Remember“, dem hingebungsvoll inszentiertenTitelsong oder bei der Ballade „She Knows“ nicht das Herz übergeht, der hat selbiges wohl irgendwann verloren.
Fazit: Große Stimme, stimmiges Album, bei dem es viel zu entdecken gibt, auch für jene, denen der klassische Songwriter näher steht als der Jazzer. Aber beliebig ist „Gentleman“ in keinem Ton. Das ist Musik zum genauen Hinhören. Fürs Berieseln gibt es genug andere Musik.
Curtis Stigers: „Gentleman“ (Emarcy)