Ums nackte Überleben
Es dauert Jahrzehnte, heißt es, bis sich Regisseure imstande fühlen, von weltumspannenden Kriegen und Krisen zu erzählen. Im Fall des Ersten Weltkriegs war es die Monstrosität des Zweiten, die ihn in der filmischen Aufarbeitung in den Hintergrund gedrängt hat.
Umso wichtiger ist es, dass mit "1917" Oscar-Preisträger Sam Mendes ("American Beauty") das Kriegsgenre dafür weiter öffnet. Und umso schöner ist es, dass er das auf kluge, weise Art tut. Als möchte er aufholen, was bisher versäumt wurde, zwingt er einen im besten Sinne, nachzufühlen, wie es an der Front gewesen sein könnte – in Echtzeit, ohne erzählerische Sprünge, ganz nah, dank überragender Kameraarbeit von Roger Deakins, die ein Rennen gegen die Zeit so vermittelt, als wäre sie ohne einzigen Schnitt gefilmt.
Man zittert, rennt, schleicht, flucht, hofft, bangt, robbt mit zwei jungen britischen Soldaten – atemberaubend gut von Dean-Charles Chapman (22) und George MacKay (27) verkörpert, die Infos, die hunderte Leben retten könnten, überbringen müssen – vom Schützengraben aus, durch das "Niemandsland", das der Feind gerade geräumt hat, oder doch nicht?
Das Verheizen einer Generation
Je länger sie unterwegs sind, umso mehr bezweifelt man die Verstandesfähigkeit der Menschheit, die im Kampf um ein zerbombtes Stück "Ödnis" eine Generation junger Männer verheizt – zwischen Fallen, Ratten, Schlamm voll Leichen. In Summe ist ein Werk gelungen, das jede seiner zehn Oscar-Nominierungen – einzeln von Regie bis Make-up betrachtet – wert ist. Perfekt ist sie aber nicht. Mendes opfert ein paar Mal Authentizität für Grauen, das zufällige Verkettungen potenzieren sollen. Die "Normalität" allein hätte gelangt. (nb)
"1917": USA/GB 2019, 119 Min., Regie: Sam Mendes
OÖN Bewertung: