Es regiert allgemeine Verunsicherung
Mit ihrem Debütroman ist Angela Lehner für den Österreichischen Buchpreis nominiert.
Es gibt immer wieder Debütromane, die man schon während der Lektüre spontan als "genialen Wurf" würdigen kann. Die Formel ist nicht besonders originell, aber treffend. "Vater unser", das Debüt von Angela Lehner, geboren 1987 in Klagenfurt, ist solch ein genialer Wurf. Die in Berlin lebende Autorin erzählt darin eine problembeladene Familiengeschichte.
Um welche Probleme es sich handelt, bleibt aber ungewiss, denn Eva, die Tochter der Familie Gruber, ist eine unzuverlässige Erzählerin. Täuschung und Irreführung beherrscht sie perfekt. Der Beginn des Romans ist spektakulär. Eva erzählt, dass sie in die Psychiatrie gebracht wird, weil sie eine ganze Kindergartengruppe getötet hat. Bald merkt man aber, dass dieses unfassbare Verbrechen nur in Evas Fantasie existiert. Vielmehr scheint es, als habe sie die Tat erfunden, um in die psychiatrische Anstalt eingewiesen zu werden, in der ihr magersüchtiger Bruder Bernhard behandelt wird. Eva hat zu ihrem Bruder eine enge, intensive Beziehung. Sie glaubt, dass sie ihm hilfreich zur Seite stehen muss. Bernhard weicht aber den Begegnungen mit der exzentrischen Schwester aus. Liegt dem bedenklichen Gemütszustand von Eva und Bernhard ein Missbrauch zugrunde?
Stimmt das wirklich alles?
Im Gespräch mit Doktor Korb, dem Psychiater, behauptet Eva, dass sie selbst und ihr Bruder vom Vater missbraucht worden sind. Aber Korbs sarkastischer Reaktion ist zu entnehmen, dass er der Darstellung seiner Patientin nicht glaubt. Und stimmt es wirklich, dass der Vater einen kleinen Heimaltar errichtet hat, auf dem neben einem Rosenkranz und einem Jesus-Bild auch ein Porträtfoto von Jörg Haider liegt? Öffnet die Erzählerin hier die Bodenklappe zum Seelenkeller der Kärntner? Spielt sie vielleicht nur mit makabren Topoi der Anti-Heimat-Literatur? Oder ist sie einfach eine notorische Lügnerin?
Eva Gruber ist eine bedrohlich kraftvolle Figur, die fasziniert und erheitert, aber auch abstößt und Angst macht. Man weiß einfach nicht, wie man dran ist bei ihr und welche Gefahr von ihr ausgehen könnte. Gebannt folgt man dem flotten Sprachduktus von Angela Lehner bis zur letzten Seite, auf der uns die Autorin im Zustand allgemeiner Verunsicherung zurücklässt. Und wie sie das macht, ist einfach großartig!
Buchkritik: Angela Lehner "Vater unser", Roman, Hanser Berlin, 284 Seiten, 22,70 Euro
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