Wickerls Wille
Ludwig „Wickerl“ Adam geht zu Fuß. 2000 Kilometer weit durch Österreich. 100 Tage lang. Außergewöhnlich daran ist sein Motiv. Nach einem Schlaganfall will er Hoffnung machen. Am 3. Juni passiert er Linz.
Der Wickerl ist ein Kämpfer. Aus Überzeugung. Vielleicht hat genau dieser Charakterzug den Gründer des legendären Rocktheaters „Hallucination Company“ davor bewahrt, im Jahr 2011 in ein noch tieferes Loch zu fallen, als es ohnedies eines war. Als Folge einer Gehirnblutung erlitt der Wiener einen Schlaganfall. Ein Moment, der das Leben des heute 64-Jährigen in eine neue, unerwartete Bahn lenken sollte. 16 Monate lang musste er sich wieder in eine Art von Normalität zurückkämpfen. Gehen lernen. Sprechen lernen. Gegen die Vergesslich ankämpfen. In der Gewissheit, dass nicht alles wieder so werden wird, wie es war.
Doch Wickerl Adam hat Glück gehabt. Das wusste er schon nach kurzer Zeit in der Rehabilitation. „Ich habe dort Schicksale kennen gelernt, bei denen ich mich fast dafür geniert habe, wie gut ich beieinander bin“, sagte der Wiener im Gespräch mit den OÖNachrichten. Ein 19-Jähriger etwa war mit ihm in der Logopädie. Er saß im Rollstuhl, konnte nur mehr in Zeitlupe reden. Dabei war er nur in die Küche gegangen, hatte sich ein Brot geschnitten und fiel in der nächsten Sekunde um. Schlaganfall.
Eine Krankheit, viele Gedanken
Die Begegnungen in der Zeit der Rehabilitation haben dem Musiker nicht nur vor Augen geführt, dass er kein Einzelfall ist. Er empfand Schlaganfall plötzlich wie eine Art neue Volkskrankheit. Eine Krankheit, die nicht nur die Betroffenen aus der Bahn des Lebens wirft, sondern auch Folgen für das weitere finanzielle Überleben haben kann.
„Freiberufler wie ich können in die wirtschaftliche Bredouille kommen, weil dein Gehirn von der einen auf die andere Sekunde nicht mehr so funktioniert, wie es bei mir 62 Jahre lang funktioniert hat. Für manche Familien ist das ein totales Desaster.“
Die Frage, wie es weitergeht, hat natürlich auch Wickerl Adam in den Monaten auf dem Weg zurück beschäftigt. Mit seiner Company kann er zwar noch spielen, aber in den Jahren vor seinem Schlaganfall lebte er auch davon, Unterricht zu geben. „Ich werde für keinen Film mehr verpflichtet, weil meine Sprache nicht mehr meine alte Sprache ist. Ich musste ja wieder auf meine Art und Weise reden lernen. Wegen mir kommt kein Mensch mehr ins Theater, keine Filmfirma ruft mich mehr an.“
Und auch seine Zukunft als Musiker schaut sehr zweifelhaft aus. Dennoch sei er „nicht auf Depression“, wie er sagt, sondern schaue weiterhin vorwärts. Was kann er also machen, war sein Gedanke. Etwas Ungewöhnliches war seine Antwort. So etwas Ungewöhnliches wie die „Hallucination Company“, die er 1976 aus der Taufe hob. Ein musikalisches Unternehmen, für das ihn damals viele für deppert erklärt haben, wie sich Adam erinnert. Mittlerweile weiß man, dass in seinem Rocktheater musikalische Größen wie Falco, Hansi Lang, Andy Baum und Thomas Rabitsch entdeckt und gefördert wurden. Christian Kolonovits hätte vor 37 Jahren der erste Keyboarder der Company werden sollen. Die Frage von Wickerl Adam hat er verneint, weil er sich dachte, dass ein Musiktheater in Wien nie und nimmer funktionieren wird. „Vor sechs Monaten hat sich Kolonovits bei mir dafür entschuldigt. Er habe nicht geahnt, was daraus wird.“
Was kann ich noch?
Die Beharrlichkeit, mit der er künstlerisch seinen Weg gegangen ist, war ihm nun auch ein wichtiger Begleiter in seinen Überlegungen nach dem Schlaganfall. Genau wie damals habe er sich gedacht, dass er etwas nicht Normales machen müsse, mit dem er gleichzeitig anderen Menschen helfen könne.
„Okay, Alter, was kannst du eigentlich noch?“ – diese Frage stellte er sich. Seine Antwort: Gehen. „Weil es aber keinen Menschen interessieren wird, wenn ich von Wien nach St. Pölten gehe, dann gehe ich halt eine Runde durch Österreich.“ Im Jahr 2013 sollten es 2013 Kilometer sein. So wurde die Strecke festgelegt, auf der Wickerl Adam seit vergangener Woche unterwegs ist. Die Stationen im Groben: Wien, St. Pölten, Amstetten, Linz, Salzburg, Bregenz, Innsbruck, Lienz, Villach, Klagenfurt, Graz, Eisenstadt, Wien.
20 Kilometer am Tag – diese Leistung traut sich der Wiener nicht nur zu. Er hat dies auch trainiert. 3,5 Kilometer in der Stunde sind möglich. Das haben ihm seine Trainingsrunden nahe Schloss Schönbrunn vor Augen geführt. Aber er will all jenen, die wie er die Folgen eines Schlaganfalles spüren, Hoffnung machen. „Das Gehen soll den Menschen, die Schlaganfälle gehabt haben, eines sagen: Liebe Brüder und Schwestern dieses Lebens, es ist nicht aus. Es ist ein Hammer, einen Schlaganfall gehabt zu haben, aber es geht weiter. Wir müssen nur etwas tun.“
Deswegen trägt sein Projekt auch den Namen „Weg des Willens“. Dafür hat Adam einen Verein gegründet, bei dem es ihm darum geht, Geld zu sammeln, um von Schlaganfall betroffenen Menschen unbürokratisch Hilfe leisten zu können. Dafür hat er sich seine Wanderschuhe geschnürt, um selbst ein Zeichen zu setzen. „Ich will auch weiter Leistung bringen – in diesem Fall halt für andere Menschen.“
Lohn der Anstrengung
Dass der Fußmarsch durch Österreich, der im September wieder erfolgreich in Wien enden soll, eine Herausforderung der besonderen Art ist, war Wickerl Adam natürlich schon vor dem Start vergangene Woche klar. Und dass es anstrengend werden wird, darüber machte er sich auch keine Illusionen. Er freut sich dennoch darauf und vertraut auf seinen Willen. Der sei stark. „Mental bin ich gut drauf. Ich weiß, dass mich der Kopf durchtragen wird.“
Dieser eiserne Wille zieht sich durch sein Leben. Was ihn so stark macht, weiß Wickerl Adam nicht. Und doch versucht er sich an einer Erklärung. „Ich bin aus einer ganz einfachen Arbeiterfamilie. Meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich zehn Monate alt war. Ich bin alleine mit einer 19-jährigen Mutter aufgewachsen. Was mir meine Mutter Zeit meines Lebens gegeben hat, war: Liebe, Liebe und noch einmal Liebe. Wir haben kein Geld gehabt, aber wenn wir Knödel mit Ei auf einer Decke in der 20 Quadratmeter großen Wohnung gegessen haben, dann war das das Essen der Könige.“
Die Liebe sei für ihn stets ein ganz starker Motivator im Leben gewesen. „Ich bin angefüllt mit der Kraft der Liebe“, sagt er und hört sich an, als wäre er in der Zeit der Blumenkinder stecken geblieben.
Aber diese Zeit hat er erlebt und diese Zeit hat ihm geholfen. „In der Hippie-Zeit haben wir an Sachen geglaubt, über die ich heute lachen muss. Ende der 1960er Jahre waren wir davon überzeugt, dass wir die Welt mit Liebe verändern werden. Wenn unsere Generation an die Schaltstellen kommt, dann wird sich einiges ändern. Und was hat sich geändert: Nichts.“
Dennoch ist die Überzeugung geblieben, dass sich mit der Liebe vieles bewerkstelligen lässt. Und in Zeiten persönlicher Krisen zeigt sich das deutlich. Wickerl Adam konnte auf seine Familie, seine Frau, seine vier Kinder bauen. Die Familie ließ es auch nicht zu, dass er sich fallen lässt. Sie hätten ihm klar gemacht, dass er zwar eine „Watschen vom Leben gekriegt hätte“, aber dabei Glück gehabt habe. Jetzt müsse er zulegen.
So gesehen ist sein „Weg der Hoffnung“ durch Österreich auch für ihn persönlich wichtig. Nicht nur wegen der Botschaft. „Ich war motorisch immer ein sehr starker Mensch. Jetzt tuckert mein innerer Motor nur. Ich bin zwar nicht gelähmt, habe wieder reden und gehen gelernt. Aber ich kann nicht mehr tanzen, weil ich steif bin wie Pinocchio. Und ich lebe ohne Gleichgewicht, was das Leben schwer macht. Wenn ich jetzt jeden Tag 20 Kilometer gehen muss, dann hoffe ich, dass dieser Motor wieder etwas anspringt. Dass es so wird wie es einmal war, das schlage ich mir aber ganz aus dem Kopf.“
Wieder mögen sich so manche Beobachter denken, dass dieser 64-Jährige einen Pascher hat, wie er es ausdrückt. Aber schaden tut es niemandem. Im Gegenteil. Adam wird von seinen Ärzten unterstützt. „Gehen kann mir mit meinem hohen Blutdruck nur gut tun. So gesehen mache ich diesen Marsch natürlich auch für mich und meine Gesundheit.“
100 Tage sollten reichen
Die ersten Tage hat Wickerl Adam erfolgreich hinter sich gebracht, wobei er auch mit den Tücken des gar nicht frühlingshaften Wetters zu kämpfen hatte. Der Sturm hätte ihn diese Woche in Niederösterreich fast verweht. Aber er geht noch im Plan. In 100 Tagen müsste sich seine Österreich-Runde ausgehen. Recht viel länger darf er auch nicht brauchen, weil am 6. und 7. September Konzerte seiner Hallucination Company im Orpheum in Wien angesetzt sind. Da will er unbedingt dabei sehen, denn die Musik wird auch sein weiteres Leben lang das große Thema bleiben. „Ich will und ich kann auch gar nichts anderes.“
Auch wenn er so manche Chance in seinem Leben vielleicht liegen gelassen hat, wie er sagt, habe er in seinem Leben gemacht, was er machen wollte. Daraus mag sich auch seine Zufriedenheit erklären.
Und so geht der Mann mit dem großen Willen jetzt, beeinträchtigt durch die Folgen seines Schlaganfalles, aber aufrecht durch Österreich, um anderen Hoffnung zu machen und zu helfen.
Zur Person
Ludwig „Wickerl“ Adam ist Musiker. Der Gründer und Frontmann der „Hallucination Company“, die namhafte Musiker wie Falco und Hansi Lang hervor gebracht hat, wurde gelegentlich auch als „Frank Zappa Österreichs“ bezeichnet. Neben der Musik war Adam auch als Drehbuchautor, Regisseur und Schauspieler aktiv. Vor sieben Jahren wurde der heute 64-Jährige mit dem österreichischen Musikpreis „Amadeus“ für sein Lebenswerk ausgezeichnet. 2011 erlitt Adam einen Schlaganfall und musste sich 16 Monate lang ins Leben zurückkämpfen. Seit 22. Mai ist er auf dem „Weg des Willens“ unterwegs, um Schlaganfall-Patienten zu helfen. Spendenkonto 4053195005 bei der Volksbank (BLZ 40850), Infos im Internet: wegdeswillens.wordpress.com.
freut mich, dass es wieder aufwärts geht mit ihm...