Dunkle Wolken über der VAI: Zentrale wandert ab, Arbeitsplätze in Gefahr

LINZ/BERLIN. Japaner kaufen 51 Prozent, Siemens-Österreich-Chef heute beim Landeshauptmann.
"Es ist die Art und Weise, wie Siemens diesen Verkauf durchgezogen hat, was uns so verärgert", sagt Gerhard Bayer, Vorsitzender des VAI-Angestellten-Betriebsrats. Seit Jänner habe er die Siemens-Konzernleitung in München wiederholt kontaktiert. Weder die Belegschaftsvertretung noch die Linzer Führungskräfte hätten Informationen erhalten.
Für die Belegschaft in Linz waren die vergangenen Wochen gekennzeichnet von bangem Warten auf die Siemens-Halbjahrespressekonferenz, die gestern in Berlin stattgefunden hat (siehe untenstehender Bericht). Dabei bestätigte Siemens-Chef Joe Kaeser, die Metallurgie-Sparte abzugeben. Sie geht in einem Gemeinschaftsunternehmen mit Mitsubishi-Hitachi Metals Machinery auf. Das bedeutet, dass Siemens VAI künftig zu 51 Prozent dem japanischen Konzern gehört.
Für viele werden damit die schlimmsten Befürchtungen wahr, vor allem der Verlust der Firmenzentrale in Linz. Die Verlagerung der Zentrale nach Großbritannien wurde gestern bestätigt. Das ist aber auch schon ziemlich alles, was Siemens an Details bekannt gegeben hat.
Mitarbeiter-Info heute in Linz
Mehr wollen die Mitarbeiter heute erfahren. Von zehn bis 11.30 Uhr ist eine Informationsveranstaltung anberaumt. Wegen Umbauarbeiten findet die Versammlung nicht am Werksgelände, sondern im Design Center statt. Den Weg dorthin wird ein Teil der Belegschaft zu Fuß zurücklegen. Als Protestmarsch will Bayer diese Aktion nicht bezeichnen. Vor dem Design Center werde die Unzufriedenheit aber zum Ausdruck gebracht.
Auch die Landespolitik ist alarmiert: Heute um 9 Uhr wird Siemens-Österreich-Chef Wolfgang Hesoun im Linzer Landhaus erwartet. Obwohl die Österreich-Filiale in den Verkauf nicht eingebunden war, wird Hesoun die Vorgangsweise erklären müssen.
Was die Übernahme für den Standort bedeutet, darüber scheiden sich die Einschätzungen. Einige Experten sehen eine massive Gefahr für die Arbeitsplätze. Sie fürchten das Absaugen von Expertenwissen. Mitsubishi ist im Walzbereich selbst gut aufgestellt. In dem Bereich arbeiten in Linz rund 200 Experten.
Andere sagen, es komme jetzt stark auf die handelnden Personen und ihr Geschick an, Linz gut zu positionieren. "Das kann eine Chance für den Standort sein, wenn man es geschickt anlegt."
Siemens betont in seiner Aussendung die Stärkefelder Eisen- und Stahlerzeugung, Stranggießen, Automatisierungstechnik (die allerdings in Erlangen sitzt), Umwelttechnologien und Serviceleistungen. (sib/sd)
Wie geht es Weiter?
1600 Mitarbeiter zählt die Linzer Stammbelegschaft in der Siemens VAI. Dazu kommen etwa 150 Leasingkräfte und etwa noch einmal so viele selbstständige Ingenieure, die in Linz für den Anlagenbauer arbeiten.
9000 Beschäftigte soll das neue Gemeinschaftsunternehmen umfassen. Mehr als 7000 zählt die bisherige weltweite Mannschaft der Siemens VAI. Wie viele übernommen werden, ist offen.
Im Jänner 2015 sollen alle kartellrechtlichen Genehmigungen vorliegen, dann soll der neue Metallurgie-Konzern aus der Taufe gehoben werden. Der Chef steht noch nicht fest, er werde derzeit ausgesucht, teilt Mitsubishi mit.
Joe Kaeser baut Siemens-Konzern radikal um
Einen großen Umbau und Einsparungen von einer Milliarde Euro bis 2016 kündigte Siemens-Vorstandsvorsitzender Joe Kaeser am Mittwoch in Berlin bei der Halbjahrespressekonferenz an. Wie viele Mitarbeiter die „Straffung der Strukturen“ treffen wird, sagte Kaeser nicht.
Die Zahl komme jedenfalls nicht „aus dem Orbit“, man wisse um die Zusammensetzung der Summe „ganz genau“ und werde auch mit den Arbeitnehmern sprechen. Die IG Metall reagierte skeptisch. „Siemens hat sich den Teller – wieder einmal – ordentlich vollgeladen“, urteilte die Gewerkschaft.
Laut Kaeser soll es wieder eindeutig sein, wofür Siemens steht. Deshalb werden einzelne Bereiche in zentrale Positionen gestellt, von anderen verabschiedet man sich mehr oder weniger. Das Geschäft mit Hörgeräten geht gut und kommt an die Börse.
Die Medizintechnik wird im Konzern separat weitergeführt. Die Bereiche Energietechnik, Automatisierung und Digitalisierung sind die künftigen Kernfelder – dazu gehören Windkraft im Meer, Mautsysteme und molekulare Diagnostik. Dafür kauft Siemens – wie berichtet – um 950 Millionen Euro das Geschäft mit kleinen Gasturbinen von Rolls-Royce.
Das an der Londoner Börse notierte Unternehmen war bisher neben dem großen Siemens-Konkurrenten General Electric einer der Anbieter dieser Maschinen. Der Erwerb schließe eine „Lücke im Portfolio“, sagte Kaeser. Sogenannte aero-derivate Gasturbinen werden bei der Förderung von Schiefergas und Öl eingesetzt. Hier hat Siemens nach eigenen Angaben „bereits einige Möglichkeiten verpasst“, sieht aber noch „beste Einstiegschancen in diesen Markt“, vor allem in Nordamerika. (zeiner)
Reaktionen: Was bedeutet der Verkauf der Siemens VAI?
„Es gibt noch Fragen über Fragen. Die Informationspolitik von Siemens ist jedenfalls eine Sauerei.“
Gerhard Bayer, Betriebsratsvors.
„Das bringt Marktpotenziale. Insofern ergibt sich für Linz mit Sicherheit eine bessere Perspektive.“
St. Heimbach, Siemens-Sprecher
„Wir lassen die Belegschaft der Siemens VAI in Linz sicher nicht im Stich.“
Reinhold Entholzer, Landeshauptmannstellvertreter (SP)