Zurück aus der Zukunft: Die Nöte radikaler Rechter beim Regieren
Es ist angerichtet. Heute findet ab 10 Uhr am Schwarzlsee bei Graz das traditionelle FPÖ-Neujahrstreffen statt.
Nach der John-Otti-Band tritt Landesparteichef Mario Kunasek auf, bevor der Headliner übernimmt: Bundesparteiobmann Herbert Kickl.
Seine Themen sind klar: die Europawahl am 9. Juni mit Spitzenkandidat Harald Vilimsky und die Nationalratswahl im September mit ihm als Listenersten.
Kickl will "Volkskanzler" werden. Das ginge nur in einer Koalition mit einer anderen Partei. Sozialdemokraten, Grüne und Neos schließen ein Bündnis mit der FPÖ aus; die ÖVP schwört, sie werde Kickl nicht zum Kanzler machen.
Auch wenn die Volkspartei umfällt (es wäre nicht das erste Mal): Der FPÖ-Obmann müsste einen fast unmöglichen Spagat schaffen. Einerseits soll er seine Wähler zufriedenstellen, andererseits darf er seinen potenziellen Partner nicht abschrecken.
Die Grundlagen jeder Koalitionsregierung sind Kompromisse und Konsens, das gilt auch für den angeblich unbeugsamen Kickl.
Als Minister fern der Realität
Wie weit bei ihm Ankündigungen und Realität auseinanderklaffen, erwies sich während seiner Zeit als Innenminister von Türkis-Blau (18. Dezember 2017 bis 22. Mai 2019). Es gab viel Symbolpolitik, etwa die geplante Reiterstaffel für die Polizei oder ein neues Türschild in Traiskirchen: "Ausreisezentrum" statt Erstaufnahmezentrum für Asylwerber.
Unter Innenminister Kickl gab es mehr statt weniger Einbürgerungen, einfach weil viele Neubürger einen Rechtsanspruch hatten.
Es waren mehr Asylwerber in der Grundversorgung als heute, die Kosten waren deutlich höher.
Die Liste leerer Ankündigungen ließe sich fortsetzen.
Auch als Kanzler würde der Sprüchemacher den Unterschied zwischen Inszenierung und Umsetzung bemerken. Die Erfahrung machen derzeit Geistesverwandte von Kickl in Italien sowie in den Niederlanden.
Italiens aktuelle Regierung um die rechte Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hatte ihren Wählern versprochen, die illegale Einwanderung in Grenzen zu halten. Bisher gelingt das gar nicht.
2023 landeten 157.652 Migranten an den italienischen Küsten, 50 Prozent mehr als 2022.
"Ich weiß, dass man in dieser Hinsicht mehr erwartet hat, und bin bereit, Verantwortung dafür zu übernehmen", sagte die seit Oktober 2022 amtierenden Meloni Anfang Jänner ziemlich kleinlaut.
Sie hofft nun auf eine europäische Lösung für die "epochale Herausforderung".
Auch in der Wirtschafts- und Finanzpolitik erfüllt die Premierministerin die Erwartungen ihrer Wähler nicht.
Italien hat in der Eurozone nach Griechenland den höchsten Schuldenberg gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) angehäuft. Die EU-Kommission erwartet, dass die Schulden heuer die Marke von 140 Prozent des BIP übersteigen und 2025 weiterwachsen werden. Der Schuldendienst engt Melonis Handlungsmöglichkeiten ein.
In den Niederlanden gewann der Rechtspopulist Geert Wilders die Parlamentswahl am 22. November 2023. Seither ist er aus der erhofften Zukunft als Regierungschef zurück. Wilders steckt bei seinen Verhandlungen in mehreren Problemen fest.
Drei Gesetzespläne gescheitert
Am 8. Jänner zog er ohne nähere Begründung drei umstrittene Gesetzesvorschläge gegen den Islam und Muslime zurück. Dabei ging es etwa um ein Verbot von Moscheen und des Korans sowie eine drastische Einschränkung von Grundrechten von Muslimen.
Für keinen der Vorschläge gibt es eine Mehrheit im Parlament. Das höchste Gericht der Niederlande hat sie überdies als Verstöße gegen den Rechtsstaat eingestuft.
Wilders Rückzieher wird als Geste an eventuelle Koalitionspartner bewertet. Vorerst reicht das nicht aus. Wenn er mögliche Regierungspartner zufriedenstellen soll, müsste er laut niederländische Medien ungefähr die Hälfte seines Wahlprogramms einstampfen. Wegen seiner abgemilderten Forderungen hat er einen neuen Spitznamen: "Geert Milders".
Wenn der Wahlsieger weiter klein beigibt, ist ein Pakt seiner Partei für die Freiheit mit drei Parteien des bürgerlich-rechten Spektrums möglich. Vielleicht kommt nur eine Minderheitsregierung.
Der Weg vom Reden zum Tun ist manchmal weit. Das gilt für Meloni, für Wilders – und für den Möchtegern-"Volkskanzler" Kickl.
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