Ermittlungsverfahren wegen Nazi-Liederbuch

WIEN / STRASSBURG. Wegen des Liederbuchs mit Nazi-Inhalten der Burschenschaft Germania zu Wiener Neustadt ist ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Ermittelt würde gegen vier Tatverdächtige, hieß es dazu heute.
Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt hat am Freitag nach einem Zwischenbericht des Landesamtes Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung Niederösterreich gegen vier bekannte Personen, die für die Zusammenstellung und Illustration der sichergestellten Liederbücher der "Pennalen Burschenschaft Germania Wiener Neustadt" verantwortlich zeichneten, Ermittlungen eingeleitet.
Das teilte die Behörde der APA mit. Ermittelt wird wegen des Verdachts nach § 3g Verbotsgesetz. Schon heute am späten Nachmittag sollen die ersten Einvernahmen stattfinden. Über die Ergebnisse dieser wird die Staatsanwaltschaft freilich keine Angaben machen. Es wurde auch nicht mitgeteilt, wer die vier Personen sind.
Der Inhalt des im Zuge der Hausdurchsuchung gewonnenen Beweismaterials müsse im Detail noch ausgewertet werden. Eine erste Sichtung der sichergestellten Bücher zeige, dass Passagen der Liedtexte teilweise geschwärzt worden waren. Die näheren Umstände der Schwärzung der Textzeilen seien derzeit Gegenstand der Ermittlungen, so die Staatsanwaltschaft.
Moser: "Absolut widerwärtig, was da stattgefunden hat"
Justizminister Josef Moser (ÖVP) hat in der Causa Landbauer um NS-verherrlichende Lieder zuvor versichert, dass die Justiz frei von politischer Einflussnahme vorgeht. Auf die Frage, ob die Justiz in dem Fall unabhängig agiere, sagte Moser am Freitag vor einem Treffen mit seinen EU-Kollegen in Sofia: "Das garantiere ich Ihnen zu tausend Prozent, weil da geht es um Vertrauen, da geht es um Rechtstaatlichkeit."
Moser konzedierte, "dass das absolut widerwärtig ist, was da stattgefunden hat, dass das rassistisch ist, dass das etwas ist, was untragbar ist". Aus diesem Grund habe auch die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen. "Es sind Hausdurchsuchungen durchgeführt worden, heute finden bereits die ersten Einvernahmen statt. Da ist mit aller Akribie vorzugehen, um solche Vorfälle in Zukunft nicht mehr stattfinden lassen." Entscheidend sei, dass die Verantwortlichen ausgeforscht werden und die nötigen Maßnahmen gesetzt würden.
Bundespräsident zweifelt an Landbauers Erklärung

Der Zeitpunkt für eine Rede vor dem Europarat in Strassburg und die anschließende Teilnahme an einer Gedenkfeier zur Befreiung des KZ Auschwitz war gestern für den Bundespräsidenten heikel. "Natürlich" habe er Österreich verteidigen müssen, erklärte Alexander Van der Bellen angesichts des Skandals um NS-verherrlichende Lieder bei der Burschenschaft "Germania".
Mit der Beteuerung des niederösterreichischen FP-Spitzenkandidaten Udo Landbauer, er hätte in 17 Jahren bei der Verbindung nichts von dem Unwesen mitbekommen, gab sich das Staatsoberhaupt nicht zufrieden: "Das müssen ja alle Mitglieder dieser Burschenschaft gewusst haben, was in diesem Liederbuch gestanden ist, auch der Vize-Obmann". Es sei "absolut inakzeptabel, dass so ein Buch herumliegt, selbst wenn es nicht gesungen wird".
Ob Landbauer nun, wie von vielen Seiten gefordert, zurücktreten soll, bezeichnte Van der Bellen als "wichtige Frage", genauso wie diese: "Was ist das überhaupt für ein Verein, wie viel Wiederbetätigung liegt hier vor?"
Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt hat Ermittlungen wegen des Verdachts der NS-Wiederbetätigung eingeleitet. 19 "Liederbücher" sowie mehrere Ordner wurden sichergestellt, am Freitag soll ein von der Burschenschaft als Hauptverantwortlicher für die Neuauflage des Buches im Jahr 1997 identifizierter Mann befragt werden.
Landbauer selbst räumte im ORF-Interview ein, das Liedbuch zu kennen, allerdings nie die Altversionen mit dem Skandaltext ("Da trat in ihre Mitte der Jude Ben Gorion: Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million"). Mit dem Leitspruch der Olympia ("Deutsch und treu in Not und Tod") habe er als österreichischer Politiker kein Problem gehabt, denn dieser sei "im historischen Zusammenhang" zu verstehen, betonte Landbauer, der seine Mitgliedschaft zuletzt zurückgelegt hat.
In der FPÖ hielten zunächst von Vizekanzler Heinz-Christian Strache abwärts die Verteidigungsreihen für den NÖ-Spitzenkandidaten. Dass Herbert Kickl Ermittlungen gegen Landbauer vorab für "ziemlich ausgeschlossen" erklärte, kritisierte die Opposition als Einmischung des Innenministers in Justizangelegenheiten. In der ÖVP ging man gestern weiter auf Distanz zu Landbauer.
Video: Im Liederbuch der Burschenschaft Germania wurden nationalsozialistische Inhalte verbreitet. Die Empörung ist national und international groß. Bundespräsident Van der Bellen und Bundeskanzler Kurz fordern eine genaue Untersuchung
Appell der Professoren
"Wer für so etwas verantwortlich ist, solche Lieder singt oder diese Inhalte verbreitet, agiert nicht nur abscheulich antisemitisch und verhetzerisch", sondern mache sich auch strafbar, forderte Bundeskanzler Sebastian Kurz rasche Aufklärung und die "volle Härte des Gesetzes" für die Verantwortlichen. Angeführt von der Präsidentin der Universitätenkonferenz, Eva Blimlinger, wandten sich 160 Uni-Rektoren und Professoren mit dem Appell an Kurz: "Beenden Sie die Zusammenarbeit mit allen, die Mitglieder rechtsextremer Burschenschaften in ihren Büros beschäftigen."
Auch in Oberösterreichs schwarz-blauer Landeskoalition wird der Fall aufmerksam verfolgt. FP-Landeshauptmann-Stellvertreter Manfred Haimbuchner wollte allerdings vor dem Wahltag in Niederösterreich am kommenden Sonntag keinen Kommentar abgeben. Deutlich war hingegen ÖVP-Landeshauptmann Thomas Stelzer: "Die Texte sind unglaublich und abscheulich. Ich glaube, dass unser Koalitionspartner in Oberösterreich hier sofort Konsequenzen gezogen hätte."
Video: Ariel Muzicant, Vizepräsident des Jewish Congress, zeigt sich empört über die Liedtexte der "Germania" und dass in der FPÖ immer wieder mit dem Nationalsozialismus kokettierende Burschenschafter in politische Positionen gehievt werden.
Burschenschaften
Die Pennäler-Burschenschaft Germania zu Wiener Neustadt zählt mit 70 Mitgliedern zu den kleineren Schülerverbindungen in Österreich. Auf akademischer Ebene teilt sich in Österreich die Szene in katholische und deutsch-nationale Burschenschaften. Letztere sind „schlagend“, also mit ritualisierten Fechtduellen. Von 34.000 Korporierten in Österreich gehören nur 4000 einer dieser rund 30 aktiven Burschenschaften an, darunter 20 der 51 FP-Abgeordneten.
Video: Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des östereichischen Widerstandes war "schockiert zu sehen, dass sich die Realität offenbar manchmal näher am Klischee bewegt, als man das annehmen möchte."