OÖN-Test: Rockgitarre aus dem Laptop
Jeder kennt sie von Rockkonzerten: Die hohen Türme voller Gitarren-Effektgeräte, dazu die riesigen Verstärker-Wände. Diesen Sound kann auch der Computer erzeugen.
Klingen wie der U2-Gitarrist!
Jeder kann wie ein Rockstar klingen, solange er nur halbwegs die Gitarre beherrscht. Die Zeiten, in denen eine ordentliche Ausrüstung viel Geld kostete, sind vorbei. Zumindest, wenn es nach Native Instruments und Line 6 geht. Diese Hersteller bieten Produkte an, mit denen zahlreiche Gitarren-Effekte und unzählige Verstärkertypen im Computer berechnet werden. Alles, was zusätzlich benötigt wird, ist eine E-Gitarre, ein Gitarren-Kabel, und ein Kopfhörer oder eine Stereoanlage. Schon kann gerockt werden als wäre man The Edge von U2.
Neu am Markt: Guitar Rig Session
Gerade erst erschienen ist das erste unserer Testgeräte: Guitar Rig 3 Session von Native Instruments (NI) ist ein Paket, das aus einer abgespeckten Version der in Fachkreisen hoch gelobten Guitar Rig-Software und einer Hardware-Box besteht. Kostenpunkt des Pakets: etwa 200 Euro. Die Hardware ist im Wesentlichen ein einfaches, aber gut ausgestattetes Audiointerface: Damit gelangt das Gitarrensignal mittels USB-Verbindung in den Computer. Zusätzlich zur Gitarren-Software hat NI mit Cubase LE ein so genanntes „Sequencer-Programm“ sowie zwei Pop-Schlagzeug-Sets beigelegt. Einer Produktion ordentlicher Popsongs mit Gitarren, Bass, Schlagzeug und Gesang sollte also nichts im Weg stehen. (Für den Gesang ist allerdings zusätzlich ein Mikrofon erforderlich).
Stabile, hochwertige, einfache Hardware
NIs Hardware macht einen wirklich sehr stabilen Eindruck. Hoch ist bei der Session-Hardware nicht nur das Gewicht, sondern auch die maximale Audio-Auflösung: 192 kHz bei 24 Bit - das ist derzeit das Ende der Fahnenstange. Sinnvoller Weise nutzt aber auch ein anspruchsvoller Gitarrero nicht unbedingt immer die höchste Auflösungsstufe. Die Anforderungen an den Gastrechner steigen bei so hohen Samplingraten nämlich stark an. Wir finden es ausreichend, zu 48 kHz zu greifen. Die Auflösung lässt sich in den Voreinstellungen festsetzen. Gitarristen mit High-End-Rechner können getrost 96 kHz verwenden und zusätzlich den „HQ“-Schalter rechts oben im Bedienfenster ankreuzen. Letzteres wirkt sich auf den Sound wesentlich stärker aus als erstere Maßnahme.
Anschlüsse für Gitarre, Line und Mikro
Die Session-Box hält nicht nur einen Anschluss für die E-Gitarre und einen für ein Mikrophon bereit, sondern auch zwei Line-Eingänge (für Keyboards oder Ähnliches). Diese sind jedoch nur wahlweise nutzbar. Alle Ein- und die zwei Ausgänge sind symmetrisch aufgeführt, was eine besonders gute Signalübertragung gewährleistet. Obwohl die Box keine separate Stromversorgung braucht (Strom über USB), stellt sie 48V-Phantomspeisung für Kondensatormikrophone zur Verfügung. Das ist ein toller Bonus: Auch der Betrieb echter Studiomikros ist so kein Problem.
Schwierige Installation: Kopierschutz
Die Installation der Software könnte einfacher sein. NI erwartet von seinen Anwendern, dass sie die Software online registrieren. Ansonsten läuft sie nur im Demo-Modus. Ein Programm namens „Service Center“ erledigt die Autorisierung. Hat der Gastrechner aber keinen schnellen Internetanschluss, wird die Prozedur entweder zur Geduldsprobe (aufgrund der Auto-Update Funktion) oder kompliziert: Ein zweiter Rechner mit Internet kann ebenfalls zur Autorisierung herangezogen werden. Dabei gilt aber Finger weg von dem Internetbrowser Firefox 3: Dieser macht im Test Schwierigkeiten. Apples Safari läuft hingegen problemlos. Bei der Zusatzsoftware Cubase zeigt sich ein ähnliches Bild. Auch hier ist aufwendige Internet-Autorisierung notwendig. Die beiliegende Programmversion ist unnötig stark veraltert (Fassung vom April 2007).
Tolle Sounds, viele Komponenten
Einmal installiert, läuft Guitar Rig ausgezeichnet. Die „XE“-Version des Pakets ist eine relativ stark abgespeckte Fassung. Einzeln kostet sie knapp 100 Euro, während sich die Vollversion von Guitar Rig auf etwa 280 Euro beläuft. Einschränkungen im Vergleich zur Vollversion liegen im Bereich der anwählbaren Komponenten und der Presets: So hat die mitgelieferte Fassung etwas weniger Effekt-Boxen (21) und Verstärkertypen (nur 5). Dennoch macht sie viel Spaß und hält sehr unterschiedliche Sounds bereit. Von Chorus-Effekten über Compressoren für lang anhaltenden Klang bis hin zu Verstärkern und deren Mikrofonierung ist das gesamte „Studio-Setup“ einer amtlichen Studioproduktion im Rechner nachgebildet. Die Effekte lassen sich ebenso einfach austauschen wie die Verstärker oder die Verzerrer. Der Sound hat zwar stets einen sehr plastischen, luftigen Grundklang, macht aber zugleich einen sehr authentischen Eindruck. Nicht ohne Grund machen Gitarristen wie Kirk Hammet von Metallica für Guitar Rig Werbung. Die Verwendung des AC30-Verstärkers regt dazu an, an den U2-Sound denken. Der „Gratifier“ hingegen ruft musikalische Assoziationen härterer Gangart hervor. Generell lässt der Klang kaum etwas zu wünschen übrig. Die NI-Programmierer müssen an den Details bis zum Umfallen gefeilt haben.
Hohe Leistungsanforderungen
Line 6: Für Musiker, nicht Techniker
Line 6 geht in vielerlei Hinsicht andere Wege als Native Instruments. Wer das Rad der Zeit zurück dreht, wird feststellen, dass die Amerikaner von Line 6 lange vor dem deutschen Konkurrenten Gitarrenlösungen im Angebot hatten. Allerdings sind die Firmenphilosophien sehr verschieden: Während Line 6 anfangs ein Hersteller von Musik-Equipment war, der zum Computer gekommen ist, war Native Instruments lange Zeit eine reine Softwarefirma, die erst vor wenigen Jahren auch Hardware ins Programm genommen hat. Trotz dieser Unterschiede sind die beiden Firmen heute gleichwertige Kontrahenten um den besten Rocksound.
Viele Anschlüsse, wenige gleichzeitig
Die Hardware von Line 6 fällt gänzlich anders aus als die von NI. Unser Testmodell TonePort UX2 (ca. 170 €) ist physisch um vieles größer als das Alu-Kästchen des deutschen Konkurrenten. Wer nun erwarten würde, dass es dementsprechend viel Gewicht auf die Waage bringt, sieht sich eines Besseren belehrt: In Relation zur Größe ist der TonePort UX2 leicht wie eine Feder. Anschlüsse hat das pompöse rot-schwarze Gerät dafür viele: Zwei Mikrofoneingänge, die auch Phantomspeisung bereitstellen können, sowie ein Gitarren- und zwei Linepegel-Eingänge stehen zur Nutzung bereit. Einen Monitor-In Eingang gibt es zusätzlich: Das ist dann hilfreich, wenn man einen CD-Player oder ähnliches anschließen will. Ausgangsseitig hat der TonePort getrennte Anschlüsse und Regler für Kopfhörer und Line-Outs. Ein digitaler Ausgang komplettiert das Setup. Schade ist nur, dass all die Anschlüsse nicht gleichzeitig verwendet werden können. Zwei Ein- und zwei Ausgänge simultan sind das höchste der Gefühle. Dass bei der Samplerate nach 48 kHz Schluss ist, könnte manche Anwender stören.
Sehr „amerikanische“ Hardware
Schön anzusehen und ein echter Bonus sind die großen Lautstärkeanzeigen auf der Vorderseite der Hardware. Bei digitaler Musik-Aufnahme ist es sehr wichtig, nicht zu laut, aber auch nicht zu leise aufzunehmen: Bei zu hoher Lautstärke können sehr übel klingende Verzerrungen entstehen, bei zu niedriger Lautstärke geht Klangqualität verloren. Die Anzeigen helfen dabei, richtig auszupegeln. Neben der Hardware haftet auch der Software etwas sehr „Amerikanisches“ an: Sie ist so ansprechend wie funktional, nur sehr seriöse Menschen werden sie zu verspielt finden. Die einzelnen Klangbausteine (Effektboxen, Verstärker, Boxen, Mikrofonierung) sind schön übersichtlich aufgereiht. Im Editierbereich befindet sich immer nur der eine ausgewählte Baustein. Ein wirklich toller Bonus ist das eingebaute Stimmgerät. Er ist besser als das NI-Pendant, weil er nicht nur sehr gut anspricht, sondern auch ohne jeden optischen Schnickschnack auskommt. So macht Gitarre Stimmen fast schon Spaß.
Berechnung erfolgt am TonePort-Chip
Einen großer Unterschied zur Lösung von NI gibt es in technischer Hinsicht: Bei Guitar Rig findet die Berechnung des Gitarrensounds ausschließlich im Computer statt. Aufgenommen wird das trockene Signal. Dadurch lässt sich der Sound auch später beim Abmischen noch ändern. Bei Line 6 findet die Berechnung am Chip des TonePort selbst statt. Das hat Vor- und Nachteile, wie uns Gitarren-Experte Daniel Harratzmüller von Musik Gattermann auf unsere Anfrage hin erklärt: Line 6 schafft es so, die Latenz-Problematik zu umschiffen. Das entlastet nicht nur den Gastrechner, sondern sorgt für besonders griffige Ansprechzeiten bei der Sounderzeugung. Die Verzögerung zwischen dem Anschlag einer Gitarrenseite und dem Klang ist minimal. Der Nachteil: Nach der Aufnahme lässt sich nichts mehr ändern, außer man investiert zusätzlich knapp 100 Dollar in ein online erhältliches Plug-In.
Direkter, knalliger Line 6-Sound
Der TonePort UX2 umfasst mit 23 Verstärkermodellen um einige mehr als NIs Guitar Rig Session (5 Modelle). Vergleichbar sind diese Modelle aber nur in Grenzen. Bei Guitar Rig kann man wesentlich differenzierter ins Klanggeschehen eingreifen, auch der sehr transparente Sound prädestiniert Guitar Rig für den Studio-Einsatz. Line 6 wartet eher mit einem knalligen, direkten und druckvollen Sound auf. Technologisch eignet sich die Lösung viel eher für den Live-Einsatz als Guitar Rig, weil die Angewiesenheit auf den Gastrechner geringer ist. Tonaussetzer haben wir im Test beim TonePort UX2 auch mit unserem betagten iBook niemals. Zudem ist es bei der Line 6-Lösung praktisch unnötig, an den Programmeinstellungen herumzuspielen. Die Autorisierung (Kopierschutz) ist einfacher als bei NI, obwohl er ebenfalls eine Internet-Verbindung erfordert. Im Gegensatz zu Guitar Rig funktioniert die Software nur bei angeschlossener Hardware.
Schlechte pdf-Anleitung beim TonePort
Zu Bemängeln wäre beim TonePort hauptsächlich die konfuse deutsche Anleitung, die alle Line 6-Computergeräte gleichzeitig abdecken soll. Dabei stiftet sie beinahe mehr Verwirrung als sie Nutzen bringt. Zudem funktionieren die Links im pdf-Dokument nicht: Acrobat Reader springt stets an den Anfang des Dokuments zurück. Die Anleitung mag nur selten benötigt werden, dennoch könnte Line 6 hier noch Boden gut machen. Die beiliegende Sequencer-Software von Ableton heißt „Live Lite 5 – Line 6 Edition“ und kann in etwa mit der Konkurrenz mithalten. Vom Ansatz her ist Live Lite allerdings eher ein Programm für DJs und Loop-Künstler. Das Guitar Rig Session beiliegende Cubase LE ist für Gitarristen besser geeignet, weil es den klassischeren Ansatz verfolgt und eine Studioumgebung simuliert. (tw)
Fazit: Kein eindeutiger Sieger
Für jede der beiden Lösungen sprechen unterschiedliche Argumente. Wer einen problemlosen Betrieb auch beim Einsatz mit älteren Rechnern möchte, ist mit Line 6-Produkten besser beraten. Sehr toll sind die unkomplizierte Einrichtung des TonePort UX2 und das gute Latenz-Management. Den am „wertvollsten“ klingenden Sound gibt’s hingegen bei Native Instruments. Dieser kommt allerdings etwas teurer: Früher oder später werden sich Gitarristen mehr Möglichkeiten zur Klanggestaltung wünschen, als sie die abgespeckte Session-Software bereithält. Ein kostenpflichtiges Software-Upgrade ist freilich möglich (ca. 200 Euro). Die hoch auflösende NI-Hardware wird noch viele Jahre lang mit der gehobenen Klasse mithalten können.
Native Instruments - Guitar Rig Session (ca. 200 €)
+ transparenter, „wertvoller“ Studiosound
+ sehr aufwendige Simulation
+ hohe Hardware-Auflösung (192 kHz)
+ Aufnahmen bleiben editierbar (Sound)
+ solide verarbeitete Hardware
+ Gitarren-Turm-Look der Software
+ beiliegende Cubase LE-Software
- Session-Software stark abgespeckt
- hohe Anforderungen an den Gastrechner
- Ton-Aussetzer auf älteren Rechnern
- Cubase-Software veraltert
- aufwendiger Kopierschutz (Internet)
Line 6 - Toneport UX2 (ca. 170 €)
+ direkter, knalliger, kerniger Sound
+ geringere Leistungsanforderungen (Gastrechner)
+ problemloses Latenz-Management
+ günstiger Preis
+ geeignet für Live-Auftritte
- Aufnahmen nachträglich nicht editierbar
- mit 48 kHz eher niedrige Auflösung
- schlechte pdf-Anleitung
- beiliegende Live Lite 5-Software
- Kopierschutz erfordert Internet