"Staatsfeind Nummer eins ist er ganz sicher nicht"

WIEN. Wolfgang Blaschitz, der Verteidiger des am vergangenen Freitag unter Terror-Verdacht festgenommenen 17-Jährigen, ist überzeugt, dass dieser kein Attentat vorbereitet hat.
"Er hatte keine Anschlagpläne. Der Staatsfeind Nummer eins ist er ganz sicher nicht", sagte Blaschitz am Montagnachmittag, nachdem er die Rechtsvertretung des Jugendlichen übernommen hatte.
Der Anwalt konnte zwei Stunden mit dem derzeit in der Justizanstalt Wien-Josefstadt einsitzenden Verdächtigen sprechen. Im Anschluss bezeichnete Blaschitz den 17-Jährigen, der zum Islam konvertiert war und sich zusehends radikalisiert haben dürfte, als "einen Fehlgeleiteten". Unter dem Eindruck von Kriegs-Bildern aus Syrien und unzähliger ziviler Opfer sei in dem Burschen "die Idee entstanden, dass es in europäischen Gefilden Gegenmaßnahmen bedarf, sei es durch Anschläge oder sonstiges".
Von dieser Ideologie habe sich der 17-Jährige "aber schon vor geraumer Zeit abgewandt", sagte Blaschitz. Der Bursch habe sich unter dem Einfluss seiner Familie deradikalisiert, mit der Terror-Miliz Islamischer Staat (IS) habe der Jugendliche nichts am Hut. "Von ihm geht kein Gefährdungspotenzial für Österreich aus", versicherte Blaschitz.
Der 17-Jährige soll sich dem Anwalt zufolge auch nicht der Verfolgung terroristischer Ziele wegen immer wieder in Deutschland aufgehalten haben: "Er hat eine Freundin in Bremen." Primär habe er diese getroffen. Dass der Jugendliche in Deutschland auch Kontakt zu möglicherweise radikalislamistischen Kreisen hatte, "leugnet er nicht. Aber ein Bekenntnis zum IS gibt es nicht", so Blaschitz.
Die Frage, ob der Verdächtige in U-Haft genommen wird, wird die zuständige Haftrichterin am Dienstag treffen, gab unterdessen Gerichtssprecherin Christina Salzborn bekannt. Gegen den 17-Jährigen wird wegen terroristischer Vereinigung im Sinne des Paragrafen 278b Strafgesetzbuch ermittelt.
Komplize verhaftet
Nach der Festnahme des Terrorverdächtigen am Freitag in Wien ist in Deutschland ein möglicher Komplize des 17-Jährigen festgenommen worden.
Laut einem Bericht des Magazins "Focus" stürmte ein Spezialeinsatzkommando (SEK) der deutschen Polizei am Samstag in Neuss die Wohnung des Verdächtigen. Der Verdächtige soll einen Bombenanschlag auf Polizisten und Bundeswehrsoldaten geplant haben. Den Ermittlungen zufolge stand der Mann in engem Kontakt zu dem 17-jährigen aus Wien, Kampfname Abu Chaker.
17-Jähriger war zwei Wochen in Neuss
Der am Freitag festgenommene 17-Jährige war nach bisherigen Erkenntnissen der Ermittler im Dezember zwei Wochen zu Besuch bei seinem mutmaßlichen Komplizen in Neuss (Nordrhein-Westfalen). Das sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Düsseldorf, Ralf Herrenbrück, am Montag.
In dieser Zeit seien wohl Dinge "in Richtung Sprengstoff vorbereitet worden", sagte der Oberstaatsanwalt, ohne Details zu nennen. Bei der Durchsuchung der Wohnung des 21-jährigen Deutschen wurden nach Angaben der Behörde keine Sprengmittel beschlagnahmt, dafür Handys und ein Laptop. Die Kontaktdaten würden nun ausgelesen, inwieweit es Verbindungen mit Szene-Bezug gebe, könne man vorläufig noch nicht sagen.
Der 21-Jährige sei im einschlägigen Sinn nicht polizeibekannt gewesen, wohl aber im allgemeinen Sinn, sagte Herrenbrück. Er wird nach seiner Festnahme von Ermittlern des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen einvernommen. Diese gehen davon aus, dass er den Wiener Terrorverdächtigen über Foren in den sozialen Medien kennengelernt hat .Nun ist über den 21-Jährigen die Untersuchungshaft verhängt worden. Das sagte Frank Scheulen, Sprecher des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen, am Montag. Der 21-Jährige wurde unterdessen auch bereits einvernommen. Zur Verantwortung des Beschuldigten äußerte sich Scheulen unter Hinweis auf laufende Ermittlungen nicht.
Albanische Kultusgemeinde verurteilt Anschlagspläne
Die albanisch-islamische Kultusgemeinde (ALKIG) verurteilt den angeblich geplanten Terroranschlag des 17-jährigen Tatverdächtigen. "Eine solche abscheuliche und unmenschliche Tat findet weder Rechtfertigung im Islam noch in anderen Religionen", hieß es am Montag in einer Stellungnahme.
Der 17-Jährige soll sich laut Behördenangaben in einem radikalen albanisch-islamistischen Milieu bewegt haben. Basierend auf den Medienberichten über den Terrorverdächtigen ist man sich in der albanischen Kultusgemeinde aber sicher, "dass er nicht Teil unserer Moscheegemeinden war, was die Angelegenheit selbst nicht weniger schlimm macht". Man müsse sich aber eingestehen, "dass wir nicht alle albanisch-stämmigen Muslime Österreichs erreichen können". Man könne daher auch nicht für alle auftreten, hieß es weiter.
Zugleich dankte man den Sicherheitsbehörden für die Vereitelung eines möglichen Anschlags und bot die Zusammenarbeit an. "Wir sind bereit, kooperativ mit den Behörden zusammenzuarbeiten, falls Bedarf besteht und wir damit für ein friedliches Zusammenleben in Zukunft beitragen können."
Der Islam fordere von seinen Anhängern "Liebe, Weisheit, Menschlichkeit und gegenseitige Hilfe zu verbreiten und nicht Menschen zu töten, zu gefährden oder in Unsicherheit und Angst zu versetzen", betonte die albanische Kultusgemeinde. Zugleich stellte man klar, dass in albanischen Moscheen keine Radikalisierung stattfinde: "Die albanischen Moscheen haben eine unbefleckte Vergangenheit dank unserer Imame, die immer einen gemäßigten und in der hiesigen Gesellschaft eingebetteten Islam predigen."
Im Vordergrund stehe dabei Zusammenleben in Vielfalt. Dazu wolle man auch in Zukunft beitragen und die Gesetze sowie die Verfassung der Republik Österreich achten und für einen gemäßigten Islam eintreten. "Daher fordern wir als albanisch-islamische Institution in Österreich alle Mitbürger der österreichischen Gesellschaft, zu der ebenso ethnische Albaner und Mitbürger anderer ethnischer Zugehörigkeit sowie Muslime wie Nichtmuslime gehören, zum gemeinsamen Auftreten gegen Terror auf."
Dschihadismus in Österreich
Der 17-jährige festgenommene Terrorverdächtige ist nicht der erste derartige Fall in Österreich. Bereits vor rund zehn Jahren hat der Radikalislamist Mohamed M. die Schlagzeilen dominiert. Ebenfalls ein gewichtiger Player in der Szene dürfte der im vergangenen Jahr verurteilte Mirsad O. gewesen sein. Aufsehen erregten u.a. auch die Fälle zweier IS-Heimkehrer.
Mohamed M.
Der in Wien geborene Sohn ägyptischer Einwanderer Mohamed M. gilt als Radikalislamist, der auch Einfluss auf Salafisten in Österreich und Deutschland ausübt. Er sorgte mit Hasspredigten, Drohvideos und seiner offenen Propaganda für den Heiligen Krieg für Aufsehen. Wegen Bildung und Förderung einer terroristischen Vereinigung wurde M. im März 2008 - und nach Aufhebung des Urteils wegen eines Formfehlers erneut im Februar 2009 - im Zuge des "Wiener Terror-Prozesses" zu vier Jahren Haft verurteilt.
Seine Frau Mona S. erhielt eine 22-monatige Haftstrafe. Beide bekannten sich "nicht schuldig". Nach Verbüßung der vollständigen Strafe veröffentlichte Mohamed M. weitere Videos unter dem Pseudonym "Abu Usama al-Gharib", bevor er sich im Herbst 2011 nach Deutschland absetzte. Zu Österreich brach Mohamed M. die Brücken ab. In einem Video zeigte er, wie er seinen Reisepass verbrannte. Später soll Mohamed M. im syrischen Palmyra an der Ermordung von insgesamt neun Menschen beteiligt gewesen ein. Ein im August 2015 veröffentlichtes Video zeigt ihn, wie er einen vor ihm knienden Mann erschießt, gegen Mohamed M. wird in Österreich deswegen wegen Mordes ermittelt. Sein Verbleib ist unklar; immer wieder kamen danach Zweifel daran auf, ob der Extremist überhaupt noch am Leben ist.
Mirsad O.
Der mutmaßliche Dschihadist Mirsad O. wurde im Juli des vergangenen Jahres im Grazer Straflandesgericht zu 20 Jahren Haft verurteilt. Er soll als Prediger Männer zur Terrororganisation Islamischer Staat (IS) vermittelt haben. Mirsad O. alias Ebu Tejma soll dafür verantwortlich sein, dass immer wieder junge Männer von Österreich nach Syrien gingen, sich dem IS anschlossen und zum Teil starben. Ein weiterer Angeklagter, der Tschetschene Mucharbek T., soll selbst in Syrien an Massakern beteiligt gewesen sein.
Die Geschworenen befanden, dass Mirsad O. schuldig ist der Verbrechen der terroristischen Organisation und der kriminellen Vereinigung, außerdem Bestimmungstäter für die terroristischen Straftaten Mord und schwere Nötigung. Mucharbek T. wurde ebenfalls in den Punkten terroristische Organisation und kriminelle Vereinigung sowie schwere Nötigung für schuldig befunden. Vom Vorwurf des Mordes wurde er freigesprochen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Weitere Fälle
Ein weiterer Fall betrifft einen damals 16-jährigen IS-Heimkehrer, der im März 2015 bei seiner Einreise am Flughafen Wien-Schwechat festgenommen wurde. Er wurde im Juli zu zweieinhalb Jahren unbedingter Haft verurteilt. Der Wiener hatte sich im Spätsommer 2014 der Terror-Miliz "Islamischer Staat" (IS) angeschlossen. Der junge Mann, der keinen Migrationshintergrund aufweist, war 2014 zum Islam konvertiert und hatte sich radikalisiert. Er reiste schließlich nach Syrien und schloss sich dem IS an.
Zu 20 Monaten unbedingter Haft wurde ein 15-Jähriger im April 2016 in St. Pölten verurteilt. Er stand bereits zum zweiten Mal wegen Jihadismus vor Gericht, beim ersten Mal wurde er u.a. wegen Planungen, am Wiener Westbahnhof eine Bombe zu zünden, zu einer teilbedingten Haftstrafe verurteilt. Im April des Vorjahres wurde er wegen der Verbrechen der terroristischen Vereinigung und der kriminellen Organisation verurteilt, weil er Propagandamaterial für den "Islamischen Staat" (IS) per Handy versendet hatte. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Eine 17-jährige Schwedin, die sich nach Ansicht der Wiener Strafverfolgungsbehörden der Terror-Miliz "Islamischer Staat" (IS) anschließen wollte, ist im Februar des vergangenen Jahres im Straflandesgericht wegen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung zu einem Jahr Haft verurteilt worden. Ein Monat wurde unbedingt ausgesprochen, den Rest sah der Schöffensenat der Jugendlichen auf Bewährung nach.