Unwetter brachte Waldzells Wahrzeichen zu Fall
WALDZELL.Vor vierzig Jahren blies ein Orkan die tonnenschwere Zwiebel vom Waldzeller Kirchturm – Zeitzeugen berichten.
14. Juli 1974, 15 Uhr: Unangenehme Schwüle ließ die Bauern auf den Feldern und die Besucher im Freibad schwitzen. Und Schlimmes vermuten, als sich über Lohnsburgs Hochkuchl schwarze Wolken zusammenbrauten. Es dauerte dann nur noch Minuten, bis ein Unwetter das Ortsbild Waldzells nachhaltig veränderte. Sogar die mächtige barocke Zwiebel samt Kreuz stürzte vom Turm. Zeitzeugen erinnern sich.
Franziska Maringer (ihr Haus ist keine 30 Meter von der Kirche entfernt): "Wir machten gerade eine gemütliche Radtour, als wir die Wolken aufziehen sahen. Wir fuhren sofort heim, um offene Fenster zu schließen. Kaum im Haus, ging es auch schon los. Sturm und Wolkenbruch sorgten dafür, dass man keine zehn Meter weit sah. Plötzlich ein Tuscher. Wir vermuteten, dass ein Fenster in Brüche gegangen ist. Als das Gewitter nachließ, sahen wir, dass der Tuscher kein gebrochenes Fenster, sondern der in den Friedhof gestürzte Kirchturm war."
Pfarrer mit "Riecher"
Vom Weitblick des damaligen Pfarrers Josef Mayr-Zweimüller berichtet Maringer ebenfalls: "Keine zwei Monate vor dem schrecklichen Unwetter kam der Pfarrer in die Tischlerwerkstätte meines Mannes August, der damals Pfarrgemeinderatsobmann war. Mayr-Zweimüller schlug vor, den Kirchturm doch höher zu versichern." Gesagt, getan! Die Versicherungssumme der Kirche wurde von 200.000 auf eine Million Schilling erhöht.
Glück hatte vor allem das in Salzburg lebende Ehepaar Swozil, das am unheilvollen 14. Juli 1974 das Grab der Eltern besuchte: "Die beiden haben bei Beginn des Gewitters in der Mariengrotte an der Nordseite der Kirche Zuflucht gesucht und sind dann doch zum Gasthaus Schachinger gelaufen. Inzwischen ist der Turm heruntergestürzt. Genau dort, wo die beiden wenige Minuten zuvor noch gestanden sind", erzählt Maringer.
Weniger dramatische Erinnerungen hat Waldzells heutiger Bürgermeister Hans Jöchtl: "Ich war damals, kaum 18 Jahre alt, mit dem Veteranenverein im Raum Raab unterwegs. Auf der Heimfahrt haben wir beim Häuperlwirt unter einem Baum Zuflucht gesucht, weil wir Hagel befürchteten. Als wir dann Richtung Waldzell gefahren sind, sahen wir den Kirchturm ohne seine markante Zwiebel. Nachdem wir die Schäden besichtigt hatten, fuhren wir in unserer jugendlichen Unbekümmertheit weiter zum Wirt z’Ebersau. Dort gab es dann Gratisbier, weil uns niemand glaubte, dass in Waldzell der Kirchturm umgefallen ist, worauf wir gewettet hatten."
Alois Gschwendtner, damals Bademeister, und seine Gattin Mitzi erinnern sich ebenfalls noch genau: "Wir haben nur noch geschaut, dass die Badegäste in die Kabinen flüchteten, um so wenigstens keine Verletzten zu haben. Wenig später riss der Sturm Bäume um, die Stühle flogen durch das Gelände."
Nichts mitbekommen
Das Brandstätter-Haus ist keinen Steinwurf von der Waldzeller Pfarrkirche entfernt. Christl Froschauer, die "Tochter des Hauses", berichtet von der Gelassenheit ihrer Mutter Frieda Brandstätter, die das Dachfenster schließen gegangen ist, als keine zwanzig Meter entfernt der Turm in den Friedhof stürzte. "Sie hat den Tuscher nicht gehört, weil die schweren Regentropfen wie Hammerschläge auf das Blechdach prasselten." Froschauers Gatte Alois, der ehemalige Waldzeller Hauptschuldirektor, hat auch so seine Erinnerung: "Mein Schwiegervater Franz und ich haben Steckerlfische beim Aussichtsturm in der Stelzen geholt. Wir flüchteten bei Beginn des Unwetters ins Auto. Ich fühlte mich dort wie in einer Waschanlage. Der Wolkenbruch nahm uns jede Sicht, auch die wegen des Temperatursturzes angelaufenen Fenster sorgten für gespenstische Stimmung. Umgestürzte Bäume versperrten uns den Heimweg. Wir mussten einen Umweg über das Kohleck fahren. Bei der Ortseinfahrt trauten wir unseren Augen nicht – Waldzell ohne Kirchturm!"
Ins Wirtshaus "geflüchtet"
Gerd Rabe, heute Hauptschullehrer in Pension, vor 40 Jahren noch Student der Pädagogischen Akademie, war als Betreuer mit rund einem Dutzend im Lohnsburger Fruhstorfer-Jugendheim untergebrachten Frankfurtern auf Wanderschaft durch Waldzell: "Gendarm Alois Ibinger und seine Gattin Martha haben uns vor dem aufziehenden Wetter gewarnt. Worauf wir kehrtmachten. Ich schlug die Kirche als Unterschlupf vor. So weit sind wir aber – im Nachhinein betrachtet Gott sei Dank – nicht mehr gekommen. Einige Burschen haben beim Eingang zum Bachmayer-Bäcker Schutz gesucht. Ich bin mit dem Rest weitergelaufen, statt in die Kirche sind wir zum Schachinger abgebogen. Die damalige Wirtin beobachtete mit uns das Unwetter. Als sie nach dem Unwetter zum Fenster hinausschaute, meinte sie nur: Um Gotteswillen, schaut’s euch das nur an. Unser Kirchturm ist weg! Niemand von uns hatte mitbekommen, dass keinen Steinwurf entfernt der obere Teil des Turmes in den Friedhof gestürzt war."
"Mit so was scherzt man nicht!"
Eine heitere Erinnerung hat Willi Litzlbauer an den Kirchturmsturz. Er war gerade mit anderen Burschen und Pfarrer Mayr-Zweimüller im Quartier auf der Planneralm eingelangt – der Ministrantenausflug hatte am 14. Juli 1974 dorthin geführt – als am Nachmittag jemand zum Telefon geholt wurde. Weil Pfarrer Mayr-Zweimüller gerade einen Stock tiefer war, griff Willi zum Telefon. Pfarrgemeinderatsobmann Maringer teilte dem verdutzten Buben mit, was in Waldzell passiert war. Litzlbauer suchte natürlich sofort den Herrn Pfarrer, um diesem zu berichten. Prompt gab der Geistliche Litzlbauer eine Ohrfeige, mit den Worten: "Bua, mit so was scherzt man nicht ..."
Ein Jahr später, am 3. September 1975, fand in Waldzell die Kreuzsteckung am neuen Kirchturm statt.
Bischof segnet neues Turmkreuz
40 Jahre nach dem „Kirchturmsturz“ erinnert man sich in Waldzell nicht nur dieses unheilvollen Tages, am Sonntag, 13. Juli, erfolgt eine neuerliche Turmkreuzsteckung. „Wir freuen uns, eine rundum erneuerte Kirche anbieten zu können“, sagt Pfarrgemeinderatsobfrau Monika Berger. Die Sanierung hätte sich verzögert, weil zuerst die Schäden am Pfarrhof, verursacht vom 2012er-Hochwasser, beseitigt worden wären. Wobei aufgefallen sei, „dass die Waldzeller helfen, wenn es darauf ankommt. Alleine bei der Pfarrhofsanierung haben Freiwillige tausend Stunden geleistet“, ist Berger auch deshalb dankbar, weil viele bereit waren, nach dem Pfarrhof auch bei der Kirche wieder freiwillig anzupacken, so dass die Gesamtkosten mit rund 170.000 Euro relativ günstig gehalten werden konnten. Um die Vergoldung des Turmkreuzes muss sich die Pfarre nicht kümmern, diese übernimmt der Krieger- und Veteranenverein unter Obmann Franz Hohensinn.
Festprogramm
Sonntag, 13. Juli:
9 Uhr: Festzug vom Hauptschulparkplatz zur Kirche
9.30 Uhr: Festgottesdienst mit Segnung des Turmkreuzes durch Diözesanbischof Ludwig Schwarz
Anschließend Frühschoppen im Pfarrgarten (bei Schlechtwetter in der Mehrzweckhalle) 14 Uhr Turmkreuzsteckung