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17 Sorten Bier und lediglich 50 Euro Rente

Von Stefan Scholl aus Odessa, 20. Februar 2019, 00:04 Uhr
17 Sorten Bier und lediglich 50 Euro Rente
Pro-europäische Demonstration auf dem Maidan (Unabhängigkeitsplatz) in Kiew im Jahr 2014 Bild: APA

Ukraine: Fünf Jahre nach der Maidan-Revolte wartet Odessa weiter auf den Aufschwung.

Das Holz fühlt sich glatt an, obwohl es keine Akazie ist wie in Berlin, sondern Kiefer. "Kiefer ist billiger", sagt Jeremiza. "Und wir schweißen keine sechs, sondern acht Millimeter dicke Eisenbeschläge. Weil ein Spielplatz in Odessa mehr Rabauken aushalten muss als in Deutschland." Jeremizas Kinder gingen 2,5 Jahre in Berlin-Wilmersdorf zur Schule. "Da hab ich die ersten hölzernen Kinderspielplätze gesehen." Jeremiza plaudert und lächelt, offenbar eine Frohnatur, wie viele Odessiten. Obwohl ihre Stadt in den vergangenen fünf Jahren wenig Grund zur Freude hatte.

Vor fünf Jahren war Alexei Jeremiza (39) noch Vizegouverneur der ukrainischen Schwarzmeerregion Odessa. Aber die Maidan-Revolte brodelte schon, am 22. Februar 2014 stürzten prowestliche Aufständische in der Hauptstadt Kiew den Präsidenten Viktor Janukowitsch, auch der Vizegouverneur von Odessa wurde abgesetzt.

Jeremiza sitzt jetzt als Abgeordneter des russlandfreundlichen "Oppositionsblocks" im Stadtrat. Er sagt, er habe damals angesichts Janukowitschs korruptem Regime mit dem Maidan sympathisiert. "Aber das Ergebnis, der Assoziierungsvertrag mit der EU, hat unsere Industrie ruiniert." Die Ukraine könne nur als Korridor zwischen Europa und Russland überleben.

Moskau konterte den prowestlichen Maidan mit der Annexion der Krim, zettelte in der Ostukraine Aufstände an. Auch in Odessa brachen am 2. Mai 2014 Straßenkämpfe aus, 48 Menschen kamen um.

Der blutige Trennstrich von 2014 hängt noch immer über der Stadt. Dabei haben es Anhänger wie Gegner des Maidans weiter mit altbekannten Widersachern zu tun: Korruption und Kriminalität.

Odessa ist sehr alt und sehr jung. Ein Großteil der Architektur stammt aus dem 19. Jahrhundert, die Jugendstilfassaden der Obergeschoße bröckeln, unten aber drängen sich hippe Coffeeshops und Frühstückscafés. Donbas-Kämpfer und Politologen verabreden sich zum Interview in Gaststätten mit 17 Sorten Craft-Bier. Jeremizas Eltern aber erhalten zusammen umgerechnet 104 Euro Monatsrente. Allein Gas, Strom und Wasser kosten sie mehr als 110 Euro.

Der Politologe Witali Ustimenko (25) aber setzt wie viele junge Odessiten auf den Westen. "Das wichtigste Ergebnis des Maidans ist die ukrainische Zivilgesellschaft, die es nie zulassen wird, dass unser europäischer Vektor wieder russisch oder sowjetisch wird." Ustimenko ist Antikorruptionsaktivist. Zurzeit schlägt er sich mit einem Ex-Staatsanwalt herum, dessen Familie ein Hotel am Sandstrand gebaut hat, keine 50 Meter von der Wasserlinie. Der Staatsanwalt wurde entlassen, aber Dutzende solcher Erholungsimmobilien kriechen widerrechtlich in die Hundert-Meter-Schutzzone am Meeresufer. "Die Steilküste ist lehmig", erklärt Jeremiza, "und die Gefahr groß, dass die Gebäude zusammen mit ihr ins Meer rutschen."

Geht es um Korruption, erzählen Ustimenko und Jeremiza die gleichen Geschichten. Von Strandprojekten, die als Bootsstation genehmigt und als Delfinarium gebaut wurden. Oder von Haushaltsmitteln für die Renovierung von Baudenkmälern, die nur in Immobilien gesteckt werden, welche Beamten oder ihren Spezis gehören.

Sägebänke aus Österreich

Jeremiza wurde 2016 in seinem Auto vor einer Ampel von Unbekannten mit Pfefferspray und Fußtritten angegriffen, ein Einschüchterungsversuch, sagt er. Von den Tätern fehlt jede Spur. 2018 attackierten zwei Totschläger mit angespitzten Schraubenziehern Ustimenko und verletzten ihn schwer. Die Täter wurden gefasst, aber die Hintermänner bleiben im Dunkeln. Wie Jeremiza glaubt Ustimenko an korrupte Amtsträger.

Jeremiza steht in seiner neuen Schreinerei an der Welika Arnautska, mit Sägebänken aus Österreich und sechs Mitarbeitern. Fünf Holzspielplätze nach Berliner Vorbild haben sie schon aufgebaut. Jeremiza erzählt, inzwischen gebe es 40 Aufträge für weitere Spielplätze, von Kommunalfirmen, Genossenschaften, aber auch anderen Abgeordneten. In Odessa verfüge jeder Stadtparlamentarier über einen Sozialetat von umgerechnet 49.000 Euro. Und er schlage den Kollegen vor, seine deutschen Kinderspielplätze zu kaufen – in der postsowjetischen Politik gelten gut sichtbare soziale Investitionen als die besten Argumente für die Wiederwahl.

Jeremiza sagt, er zahle keinem Kollegen Schmiergeld für einen überteuerten Auftrag. "Inklusive Montage kosten meine Holzgeräte nicht mehr als chinesische Plastikspielplätze." Er lächelt wieder. "Ich bin ehrlich und fühle mich wohl dabei." Auch Odessa macht kleine Schritte Richtung Europa, zumindest Richtung Berlin-Wilmersdorf.

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7  Kommentare
7  Kommentare
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Neueste zuerst Älteste zuerst Beste Bewertung
jago (57.723 Kommentare)
am 20.02.2019 13:38

> Jeremiza sagt, er zahle keinem Kollegen Schmiergeld für einen
> überteuerten Auftrag


Immer die Zahlerseite - wo doch die Handaufhalter der Ursprung des Übels sind.

Aber das decken die Redakteure, aus Respekt.

Immer dieser verfluchte Respekt vor den Handaufhaltern.

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pepone (60.622 Kommentare)
am 20.02.2019 12:25

Der Sozialismus ist am ENDE ...siehe Kuba und Venezuela .

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jamei (25.500 Kommentare)
am 20.02.2019 10:12

..."verabreden sich zum Interview in Gaststätten mit 17 Sorten Craft-Bier. Jeremizas Eltern aber erhalten zusammen umgerechnet 104 Euro Monatsrente. Allein Gas, Strom und Wasser kosten sie mehr als 110 Euro."....

Das ist der EINZIGE BEZUG zur Schlagzeile der überwiegende Teil des Artikel dreht sich um ANDERE Sachen....

Herr Stefan Scholl, wenn Sie nach Zeilen bezahlt werden - dann Schreibens doch den Wetterbericht noch dazu und die Anzahl der Hundetrümmerl samt farblicher Schattierung.

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liberal0r (5 Kommentare)
am 20.02.2019 10:01

Wie der Artikel ganz gut verdeutlicht, ist die Bilanz nach fünf Jahren Maidan durchwachsen. Das Wichtigste jedoch scheint mir zu sein, dass es die Menschen geschafft haben das Abgleiten ihres Landes in die Diktatur zu verhindern. Das allein ist eine große Leistung.
Dazu muss man festhalten, dass es in vielen Bereichen signifikante Reformerfolge gegeben hat, von denen leider im Westen nur wenig bekannt ist, etwa bei Dezentralisierung und Transparenz. Kann dazu nur dieses Buch empfehlen: https://www.ibidem.eu/en/der-reformprozess-in-der-ukraine-2014-2017.html

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SchuldirektorChristophLudwig (1.599 Kommentare)
am 20.02.2019 08:54

Schaue ich mir meine Bilanz an dann schaut es eher danach aus, dass sich Österreich Richtung Ukraine entwickelt! Hätte ich 50 Euro und 17 Sorten Bier wäre mir auch wohler!

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neptun (4.141 Kommentare)
am 20.02.2019 09:09

Das haben Sie aber ganz alleine selbst zu verantworten.

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betterthantherest (34.026 Kommentare)
am 20.02.2019 08:36

Warum sollte sich nach Maidan für die Menschen in der Ukraine etwas verbessern?

Um die Menschen ist es zu keinem Zeitpunkt gegangen.

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