Hüter der Stille
Der Winter hat Einzug gehalten im Nationalpark Kalkalpen – und mit ihm eine unsagbare Ruhe. Diese Zeit hat für Nationalpark-Ranger Michael und seine Frau Erni Kirchweger einen ganz besonderen Zauber. Manfred Wolf hat sie besucht.
Weißer Rauch steigt auf aus dem Rauchfang des Forsthauses im Bodinggraben. Beinahe so, als würde er in die kalte Luft hauchen. Der Winter hat den Nationalpark mitsamt seinem ehrwürdigen Zentrum schon geküsst. Nur der Plöttenbach rauscht, den Minusgraden trotzend, vorbei. Er bricht die Stille, und doch schluckt er sämtlichen Lärm.
Vor dem Forsthaus haben es sich zwei Kätzchen gemütlich gemacht. Auch ihnen können die Temperaturen nichts anhaben. Doch als die Tür aufgeht, laufen sie am herausstürzenden Hund vorbei in die warme Küche, wo es im Holzofen knistert. Erni und Michael Kirchweger sitzen beim Frühstück. Butterbrot, Obstsalat und frischer Kaffee.
Wärme speichern und Kraft tanken heißt es für den Nationalpark-Ranger und seine Frau, die seit 36 Jahren verheiratet sind und seit neun Jahren im Forsthaus, im Herzen des Nationalparks, leben. Romantisch verklärt wirkt die Szenerie und doch hat sie, bei allen Unwägbarkeiten, die ein Leben in der Abgeschiedenheit mit sich bringen, einen wahrhaften Zauber.
Diesem sind "Müchi", wie seine Frau liebevoll sagt, und Erni erlegen. Speziell wenn es wieder früher "dumpa wird und der Wald sein ganz eigenes Winterblau bekommt", sagt Erni. Die Sonne spielt in dieser Zeit keine Rolle. Sie lugt nur knapp eine Stunde über Bergspitzen und Baumwipfel ganz flach herein. Kaum genug Kraft, um den Raureif zu schmelzen. "Sie fehlt uns auch nicht", sagt Michael, den es aber freut, wenn er sieht, wie ihre Strahlen in diesem engen Zeitfenster am Forsthaus reflektieren und sich am im Schatten liegenden Stadl spiegeln.
Wenn es Golddukaten regnet
Den beiden Hirschen, die am Hang weiter oben gemütlich äsen, ist das herzlich egal. Ebenso, dass ihnen der Wald nun keinen Sichtschutz mehr bietet. Sie haben die immergrünen Brombeerblätter entdeckt und lassen sie sich schmecken.
Im Spätherbst gibt der Wald einen tiefen Einblick in seine Anatomie frei. Alle Blätter sind bereits abgefallen. "Als würden Golddukaten vom Himmel fallen", beschreibt Erni das Schauspiel, wenn der Wind die bunten Blätter von den Bäumen abtransportiert und diese im Sonnenlicht zu Boden segeln. Dann ragen die nackten Bäume ihre von einer Eispatina überzogenen Äste wie ein auf den Kopf gestellter Kronleuchter in die Höhe.
Zusehends wird es im Herbst immer früher dunkler, und zusehends lichtet sich der Wald, und die Vergänglichkeit wird augenscheinlich. Überall liegt Totholz am gefrorenen Waldboden. Borkenkäfer und der Wind haben ihre Spuren hinterlassen. Doch im Nationalpark stößt sich niemand daran. Im Gegenteil. Denn zwischen den morschen Baumstämmen ragt schon das Jungholz in die Höhe. Es wartet nur darauf, dass auch die Bäume im Umkreis umfallen, um deren Platz einzunehmen. Ein Kreislauf der mancherorts auf Unverständnis trifft, geht hier ungestört vor sich. "Dort, wo Bäume nachwachsen, entsteht eine größere Vielfalt", sagt Michael. "Es wird ein total anderer Wald, auch, weil wir nicht mit den schweren Maschinen hereinfahren und der Boden nicht verwundet wird. Alleine in den vergangenen neun Jahren hat sich "g’scheit viel verändert". Aber dieser Kreislauf kennt nicht nur in der Fauna seine Gewinner, sondern auch in der Flora. Es gibt 40 Käferarten, die vom Totholz abhängig sind. Wie der Alpenbockkäfer, der im Totholz der Buchen seine Eier ablegt. Das weiß auch der Weißrückenspecht, und sucht sie eifrig.
Dennoch muss an den Grenzen zum Nationalpark abgeholzt werden, um einen Übergriff auf Wälder außerhalb des Nationalparks zu verhindern. "Ich sehe im Borkenkäfer kein Problem", sagt Michael. "Der Mensch hat den Wald umgewandelt und vermehrt Fichten gepflanzt, weil sie mehr Ertrag abwerfen. Eine größere Vielfalt, eine Mischkultur, ist für den Wald besser, weil der Wind nicht so leicht ankommt."
Der Sturm Kyrill hat vor zehn Jahren auch im Nationalpark zig Hektar Wald umgelegt. Das Holz wurde freilich liegengelassen. "Das war spannend", sagt Michael. "Im ersten Jahr hat der Borkenkäfer knapp zehn Prozent des Totholzes befallen, im nächsten dann den Rest. Danach ist er in das stehende Holz gegangen und hat sich vermehrt. Und dann ist die ganze Population zusammengebrochen. Das ist in der Natur immer ein Auf und Ab."
Den Winter mag der Borkenkäfer übrigens nicht. Im Gegensatz zu den Hirschen, die Michael jetzt wieder füttern muss. Etwa eine Viertelstunde Gehzeit vom Forsthaus entfernt ist eine Lichtung mit Futterkrippen. Auf dem Weg dorthin gibt der Wald einen Blick auf die Wagenscharte und den Hohen Nock frei, deren weiße Spitzen von der Sonne ins Rampenlicht genommen werden.
Der Boden bei der Lichtung ist schon gefroren. So ist die Fütterung keine Drecksarbeit. Heu aus dem bis zur Decke gefüllten Blockhaus und Zuckerrüben bekommen die Hirsche. "Die Rüben sind ein Zuckerl", sagt Erni und kommt ins Schwärmen, wenn sie davon erzählt, wie sie in den Jännernächten bei Vollmond die Tiere von der nahen Plattform aus beobachtet: "Sie liegen der Reihe nach da im Schnee wie riesige Brotstriezel, manche stehen auf und äsen, es dampft. Da herrscht so eine Ruhe. Wenn ich da so runterschaue, dann ist das beinahe so, als wenn ich vor der Krippe stehe. Aber du brauchst nicht meinen, dass sie dich nicht wahrnehmen."
Mit den Tieren per Du
Auch Michael gönnt sich hin und wieder diese besonderen Momente. Nach der Jagd am Vormittag und der Büroarbeit im Nationalparkzentrum in Molln, wenn die Tiere versorgt sind, steht er gerne oben auf der Plattform und genießt das Treiben. "Da hast du dann keine Hektik mehr, du vergisst den Stress. Man wird ruhig, das tut gut."
Erni und Michael sind mit "ihren" Tieren im Nationalpark vertraut. Mit einem, der nicht extra auf diese Essenseinladungen wartet, sind sie sogar – im wahrsten Sinne des Wortes – per Du. Der Hirsch "Sepperl" schaut gerne auch beim Forsthaus vorbei. Er kennt keinen "Schrock", wie Erni sagt. Ganz im Gegenteil, wie sie mit einem Lachen erzählt: "Da musst du aufpassen, dass er dich nicht schreckt, wenn er plötzlich hinter dir steht."
"Bevor wir hierher gezogen sind, war ich mit den Kindern oft alleine, weil Michael ja schon hier gearbeitet hat. Das war nicht immer leicht für mich. Erst als er mich dann einmal mitgenommen hat, konnte ich verstehen, warum er so gerne hier ist", erzählt Erni. "Wir sind damals kurz vor Weihnachten hier eingezogen. Die ersten Nächte waren schon enterisch, wenn man die Hirsche röhren hört. Aber es war unheimlich schön, die Zeit vergeht hier speziell im Winter viel langsamer."
Doch trotz aller Romantik, glorifizieren will sie das Leben im Forsthaus nicht: "Der Alltag ist nicht immer einfach. So weit weg vom Schuss und wenn die Kinder zur Schule müssen." Viele, die zum ersten Mal das Haus betreten, kommen unweigerlich ins Schwärmen und "meinen, da möchten sie auch leben. Es ist wunderbar, aber ein ganzes Jahr? Das ist nicht jedermanns Sache."
Ihre Sache ist es hingegen. Speziell im Winter, auch wenn jede Jahreszeit im Nationalpark etwas ganz Besonderes ist. "Doch wenn über allem eine Schneedecke liegt, du deine ersten Spuren neben jener der Hirsche und Eichkätzchen in den Schnee setzt, siehst, wie Farne vom Eis überzogen wurden und bizarre Eisformen entstehen, wo sonst das Wasser tropft, dann ist das etwas Feines", sagt die Rangerin.
Die Schneedecke hat die Bäume nun wieder umhüllt und das Totholz unter sich begraben. Sie ist es auch, die dem Wald seine Stille verleiht. "Der Bach ist viel ruhiger, der schluckt den Lärm und der Schnee auch", sagt Michael. "Selbst der Knall beim Schießen ist im Winter viel gedämpfter."
Nach einem langen Tag sind Erni, Michael und ihre jüngste Tochter wieder im Forsthaus. Im Ofen knistert es, und der Rauchfang bläst wieder in die kalte Winterluft. Draußen ist es still. Nur der Bach rauscht. Eine stille Macht breitet sich sanft über den Nationalpark aus.
Das Forsthaus
Die Dienstwohnung von Michael und Erni Kirchweger hat eine lange Geschichte: 1666 kaufte Reichsgraf Maximilian Lamberg den Graben und die umliegenden Besitzungen vom Kaiser. 1830 ließ Eugen Fürst von Lamberg als Dienstsitz für seine Jäger und als Unterkunft für seine Jagdgäste ein Steinhaus im Bodinggraben errichten. 1873 wurde es zu einem Blockhaus umgebaut, das bis 1936 von der gräflichen Familie und ihren Jagdgästen genutzt wurde.
Vor knapp zehn Jahren ließen die Österreichischen Bundesforste das Haus aufwendig um 1,1 Millionen Euro sanieren, seitdem wird das Haus auch als Museum geführt. Teile der historischen Einrichtung sind bis heute erhalten.
Angebote im Nationalpark während der Winterzeit:
Wildfütterung: Wer Lust hat, Michael Kirchweger bei der Rotwildfütterung zu begleiten, hat ab Anfang Jänner bis Ende Februar wieder die Gelegenheit.
Hausführung: Die historische Einrichtung des Forsthauses ist bis heute erhalten. Ab Jänner gibt es wieder die Möglichkeit, das Haus zu besichtigen.
Nähere Informationen unter: www.kalkalpen.at
Schaud jo mehra fad aus, und noch oabat. Is igendwie a artikl üba brauchtum und de frühare zeit. Muas i nimma hobn. Oba jedem so wia ea wü.