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Alois Brandstetter: "Mehr als Preise haben mir immer Leser bedeutet"

Von Peter Grubmüller, 10. November 2018, 00:05 Uhr
"Mehr als Preise haben mir immer Leser bedeutet"
Alois Brandstetter Bild: Volker Weihbold

Wie behutsam und präzise Alois Brandstetter seine Sätze wiegt, beschert dem Schöpfer von mehr als 25 Romanen (darunter "Zu Lasten der Briefträger", "Hier kocht der Wirt", "Die Abtei") eine Ausnahmestellung.

Der 1938 in Pichl bei Wels geborene Schriftsteller ist einer der aufmerksamsten und ironischsten Analytiker von Gesellschaft und Sprache. Im OÖN-Interview spricht Brandstetter über Werte, Glaube, Verwurzelung und literarische Antriebe.

 

Wie war das damals als Sohn eines Müllers, als der Sie in Pichl bei Wels aufgewachsen sind? Wie kam Literatur in Ihr Leben?

In meinem Elternhaus gab es keine Bücher, außer einige "Trotzkopf"-Bände, die einmal ein "Hamsterer" nach dem Krieg in der Mühle gegen Mehl "eingetauscht" hat, wahrscheinlich, um sich zu erleichtern. Die haben wohl meine drei älteren Schwestern gelesen. Ich begann als 13-Jähriger mit Karl May, die ersten sechs Bände und dann Winnetou. Schließlich Karl Heinrich Waggerl und alsbald Ludwig Thoma, bei dem ich lernte, was Ironie vermag (Jozef Filsers Briefwexel, Anm.).

Warum wurde das Linzer Kollegium Petrinum als Ihre Schule ausgesucht – und warum wurden Sie dort rausgeworfen?

Ich wollte Priester werden. Meine Relegation und das sogenannte "Consilium abeundi" ergaben sich aus pubertären Verstößen gegen die Hausordnung im Kollegium Petrinum. Ich bin aber kirchlich geblieben, war Lektor in den damaligen Betsingmessen, weil ich auch einen gewissen sprachlichen Ehrgeiz hatte. Neben der Belletristik hat mir die Bibel immer viel bedeutet und gegeben. An den wunderbaren Briefen des Apostels Paulus konnte ich mich mein Leben lang nicht satthören. Ich lese sie auch gern in Latein.

Als Sie 70 geworden sind, haben Sie mir erzählt, Sie hätten mit 60 eine Krise mit Verdacht auf Angina pectoris gehabt, die sich als Helicobacter herausgestellt hat. Wie geht’s Ihnen kurz vor 80?

Angina pectoris war Gott sei Dank eine Fehldiagnose, und der Helicobacter pylori war nach einer einwöchigen Antibiotika-Kur schnell beseitigt. Ich will es nicht verschreien, aber es geht mir sehr gut, auch wenn ich mich mit Gleichaltrigen vergleiche, von den vielen ganz abgesehen, die uns schon verlassen haben. Einmal saß ich im Stifterhaus mit Gertrud Fussenegger und Franz Rieger auf einem Podium und fühlte mich wie Benjamin, jetzt bin ich der Methusalem.

Sind Sie heute gelassener als damals?

Eigentlich ja, ich will mich aber nicht als weise anpreisen. Meine Erfolge waren ja auch nie so überwältigend, dass sie mir zu Kopf gestiegen wären. Ich halte es mit dem Pastor Mörike: "Herr schicke was du willst… Wollest mit Freuden/ Und wollest mit Leiden/ Mich nicht überschütten/ Doch in der Mitten / Liegt holdes Bescheiden".

Viele Menschen sehnen sich im fortgeschrittenen Alter nach ihren Wurzeln. Sie leben seit vielen Jahren in Kärnten, welche Bedeutung hat nun Pichl in Ihrem Leben?

Ich war wohl immer mit meinen Roots beschäftigt und befasst. Mindestens drei meiner Bücher sind autobiografisch, "Vom Schnee der vergangenen Jahre", das gerade auf Tschechisch erschienen ist, "Über den grünen Klee der Kindheit" und "Almträume". Ich hatte neben meinem Hauptwohnsitz in Kärnten über drei Jahrzehnte ein kleines Bauernhaus in Pichl, das ich schweren Herzens aufgegeben habe. Einmal gab es die Idee, die Gemeinde könnte das Haus, in dem ich auch ein kleines Agrarmuseum angesammelt habe, als literarisches Heimathaus weiterführen. Daraus ist nichts geworden, schließlich bin ich nicht Bernhard. Auf sein Haus in Ottnang, das vulgo Hanspäuln, sieht man von meinem Weinberg recht gut hinüber. Ich habe oft durch den Feldstecher hinübergeblickt.

Wie bewerten Sie Ihre eigene Karriere als Schriftsteller? Und wie diszipliniert schreiben Sie heute noch?

Ich bin zufrieden. Mehr als Preise, von denen ich auch einige bekommen habe (Raabe-Preis, Stifter-Preis, Anm.), haben mir aber immer Leser bedeutet. Und über einen Mangel an entsprechenden "Rückmeldungen" kann ich mich nicht beschweren. Genaue Leser haben mir auch oft Korrekturen mitgeteilt, die ich bei Neuauflagen berücksichtigt habe. Ein besonders treuer Leser, Herr Bernhard Michal aus Wien, schickt mir seit über zwanzig Jahren am 5. Dezember, zu meinem Geburtstag, ein Paket mit so vielen Walnüssen, wie ich Jahre zähle. Ich habe ihm einmal zum Abrunden geraten, aber er lässt es sich nicht nehmen.

Als Lehrender an der Universität waren Sie einer der wichtigsten Förderer von Büchner-Preisträger Josef Winkler. Oberflächlich betrachtet, stellt man zwischen Ihnen und ihm wenig Parallelen fest. Entdecken Sie welche – als Mensch oder als Dichter?

Trotz weltanschaulicher Unterschiede schaue ich mit Sympathie und Respekt und auch ein wenig Stolz auf Josefs Karriere. Oder auch ein wenig Neid? Schließlich ist er Büchner-Preisträger. Auf einer langen Bahnfahrt von Klagenfurt nach Salzburg hat er mir einmal ausdauernd und selbstbewusst von seiner Präsidentschaft im Kunstsenat, der die Staatspreisträger bestimmt, erzählt, und wie er dort unter den vielen Kandidaten seinen Favoriten durchgesetzt hat. Dass ich bei den vielen "Anwärtern" gar nicht vorgekommen bin, die er erwähnt hat, hat mich doch ein wenig gewundert. Aber wie hat Bruno Kreisky einmal gesagt: Die Jugend ist biologisch im Recht.

In Ihrem jüngsten Buch "Lebenszeichen" beweisen Sie Ihre Ironie in blendender Form. Sie bezeichnen darin den Rückbau eines Swimmingpools als "kostspieliges Ende einer 20-jährigen Fehlinvestition" – warum konnten Sie diese Vorzüge nie genießen?

Man wird den Stallgeruch nie los. Herkunft und Erziehung ergeben eine Prägung. Mich hätten manchmal Wohlmeinende zur Mitgliedschaft in diversen Clubs bis hinauf in die Loge eingeladen. Ich wollte aber nirgends dabei sein, wo mein Vater nicht dabei sein hätte können oder wollen. Schuster, bleib bei deinem Leisten. Dass ich mich aber als Universitätslehrer, "Ordinarius", wie es zu meiner Zeit noch hieß, so weit von der Lebenswelt meines Vaters, der Müllermeister, aber Absolvent der einklassigen Volksschule in Tumeltsham bei Ried im Innkreis war, entfernt hatte, war evident. Wie fremd wir uns geworden waren, hat mich einmal erschreckt, als mich mein Vater plötzlich gesiezt oder eigentlich geihrzt hat. "Seids iwa München einagfohrn?", fragte er mich, als ich von Saarbrücken nach Pichl fuhr.

Wie haben sich Ihr schreiberisches Handwerk und Ihre Herangehensweise an Texte in den vergangenen Jahren verändert?

Ich bin wohl zunehmend freier oder kühner geworden. Vielleicht auch sprunghafter, ich diszipliniere mich aber immer wieder beim Schreiben und rufe mich selbst zum Thema zurück. Ich wehre mich gegen die pathologische Gedankenflucht. Die Geschichten, Feuilletons, Essays und Erzählungen in "Lebenszeichen" sind darum oder trotzdem abwechslungsreich, bieten Erlebtes beim Recherchieren, Erfahrenes, Erforschtes – und auch Erlittenes. Ursprünglich war geplant, einen Sammelband mit auch in Zeitungen Publiziertem zu meinem runden Geburtstag herauszugeben. Doch dann hat mich der Ehrgeiz gepackt, und ich habe mich hingesetzt und neue "Lebenszeichen" von mir gegeben. Das andere kann ja postum geschehen. Obwohl die Nachwelt vermutlich andere Probleme haben wird.

Welche Literatur lesen Sie selbst?

Eben lese ich wieder begeistert Erika von Borries’ Biografie des Dichters Wilhelm Müller, des Schöpfers der von Franz Schubert vertonten "Schönen Müllerin" und der "Winterreise", und "Gabe der Gegenwart", Theologie und Dichtung der Eucharistie bei Thomas von Aquin des Wiener Theologen Jan-Heiner Tück. Im Buch des großen Theologen Tück ehrt mich eine Widmung: "Für A.B. mit einem Füllhorn an Segenswünschen zum 80. Geburtstag".

Hat es Ihnen je etwas ausgemacht, dass Ihr ironischer, sehr präziser, bedachter Stil oft als konservativ bezeichnet wurde – und sind Sie je der Versuchung erlegen, dem Zeitgeist in die Arme zu schreiben?

Ich habe "konservativ" nie als Schmähung empfunden. Es bedeutet ja "bewahrend". Und oft kommt ein solcher Vorwurf ja von Unbedarften, die selbst nicht viel kennen, das bewahrenswert, dauerhaft und nachhaltig wäre. Auch "Heimatdichter" lasse ich mir gerne gefallen, eingedenk Martin Walsers Diktum: "Heimat ist eine Rüstkammer für Realismus".

Haben Sie mitunter bereut, dass Ihr Schreiben durch Ihre Lehrtätigkeiten an Universitäten zu kurz kam?

Eigentlich nicht. Meine Interessen haben sich freilich stark vom Forschen weg hin zum Dichten entwickelt, wobei meine Wissenschaftsromane "Die Abtei", "Die Mühle", oder "Die Burg" auch Bildungsromane sind und viel "Lehrstoff" enthalten. Und die sinkende Bedeutung der sogenannten "Alten Abteilung" der Germanistik im Curriculum der deutschen Philologie hatte den guten Nebeneffekt, dass für mich Kapazitäten frei geworden sind. Ich war schon vorher kein überlaufener Doktorvater.

Sie wollten mit 70 schon nicht mehr gefeiert werden, dennoch geschah es. Was ist zu Ihrem 80er geplant?

Die Republik hat mich geehrt mit dem Silbernen Ehrenzeichen, die Stadt Klagenfurt mit ihrer höchsten Auszeichnung, der PEN Club mit dem Franz-Theodor-Czokor-Preis für ein Lebenswerk. Was will man mehr? Ja, es stimmt, ich wollte nach dem 70er nicht mehr gefeiert werden, bin mir aber, wie auch sonst oft, untreu geworden.

 

Alois Brandstetter: „Lebenszeichen“, Residenz Verlag, 224 Seiten, 24 Euro.

 

 

Alois Brandstetter: „Zu Lasten der Briefträger“, „Zur Entlastung der Briefträger“, „Kummer ade!“, „Aluigis Abbild“, vier Bände im Schuber, Residenz Verlag, 920 Seiten, 59 Euro.

 

 

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3  Kommentare
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jago (57.723 Kommentare)
am 10.11.2018 19:07

> "Ich wollte aber nirgends dabei sein, wo mein Vater nicht dabei
> sein hätte können oder wollen."

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scansafatiche (708 Kommentare)
am 10.11.2018 18:14

Auch ich schätze Alois Brandstetters Werke sehr, seine Bücher gehören für mich zu den wenigen, die ich immer wieder gerne lese, jetzt ist gerade "Die Abtei" dran. Seine Romane sind wirklich, wie er selbst sie bezeichnet, Bildungsromane, manchmal erinnern sie eher an Linguistik-Vorlesungen, aber so geschrieben, dass auch Laien davon profitieren.
Dieser Artikel hat mich auch auf die Idee gebracht, Jozef Filsers Briefwechsel von Ludwig Thoma wieder einmal zu lesen. Hinter diesem witzigen bayrischen Schwank verbirgt sich beissender Spott und scharfe Gesellschaftskritik.

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mitreden (28.669 Kommentare)
am 10.11.2018 09:01

Seine Lesungen und Bücher hatte ich immer gerne.

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