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Die mit der Sau tanzen

Von Philipp Braun, 18. Jänner 2020, 07:14 Uhr
Die mit der Sau tanzen
Bild: Volker Weihbold

Der Haubenkoch Max Stiegl lässt seit 13 Jahren den burgenländischen Brauch Sautanz wieder hochleben und plädiert für mehr Achtung und Respekt, wenn Fleisch gegessen wird.

Früher tickten die Uhren noch anders. Fleisch war etwas Wertvolles und Schweine galten als lebende Vorratskammer. Um den Winter zu überleben, mästeten die Menschen die Schweine den ganzen Sommer lang und feierten mit der Schlachtung die zweite Ernte.

Eine anonyme Schweineproduktion und Tiefkühltruhen lösen heute das wertgeschätzte Schwein von damals ab. Tiere werden verdinglicht und als Einheiten gesehen. Konsumenten betrachten sie belustigt als Zeichentrickfigur oder blenden beim Faschierten aus, dass es sich davor um ein Lebewesen gehandelt hat. „Einem Tier im Hof mit einem Messer den Hals durchzuschneiden klingt für moderne Ohren zunächst nicht so nett. Wer aber einmal dabei war, weiß: Eine gut gemachte Hausschlachtung ist zwar noch immer eine Tötung, aber sicher keine Tierquälerei“, schreiben Haubenkoch Max Stiegl und Tobias Müller im Buch „Sautanz. Rezepte aus einer Zeit, als Fleisch noch etwas Besonderes war“.

Schwein gehabt
Max Stiegl beim Zerlegen der Sau, ehe er danach alle Teile zu Gerichten veredelt. Bild: Volker Weihbold

Die beiden ziehen bewusst die Grenze zur Massentierhaltung – wohl eine der grausamsten Dinge, die in der Gegenwart passieren. Viele Konsumenten wissen um die ungustiösen Zustände, doch mit jedem Bissen löst sich das Wissen auf. Waren Ethik und Moral vor dem Genuss noch vorhanden, so sind sie mit der ersten Schnitzelsemmel bereits verdaut.

Max Stiegl predigt den Sautanz seit 13 Jahren. Er ist kein Pfarrer. Er ist Koch, achtet das Tier, will aber auch das Handwerk und die Kochkunst aufrecht erhalten, denn „zu diesem Kochverständnis gehört es auch, Tiere zu schlachten.“

In wenigen Tagen wird das Schwein von der Ratte abgelöst. Zumindest im chinesischen Sternzeichen ist die Zeit vom Borstenvieh abgelaufen. In Österreich scheint das Schwein auch dieses Jahr Saison zu haben. Sternzeichen hin oder her. Schwein steht bei uns stets unter einem guten Stern. Schweinsschnitzel in reichlich Butterschmalz souffliert, warme Leberkässemmeln und Schweinsbraten mit knuspriger Kruste sind begehrt und machen die lukullische Dreifaltigkeit aus.

An der kulinarischen Identität ändert sich wenig; auch wenn der heimische Schweinebestand etwas rückläufig ist und die Konsumenten, bewusst oder unbewusst, Fleisch aus dem Ausland essen. Der Pro-Kopf-Verbrauch liegt in Österreich bei zirka 40 Kilogramm pro Jahr. In Österreich gibt es knapp 31.000 schweinehaltende Betriebe mit insgesamt rund drei Millionen Schweinen. Der Großteil davon befindet sich in Niederösterreich, Oberösterreich und in der Steiermark.

Diese Zahlen dürfen nicht über Fehlentwicklungen hinwegtäuschen. Die Fokussierung auf eine zu schnelle Mastzeit, wenig Auslauf und systemisch verknüpfte Fütterungsfehler führen zu billigen und geschmacklich uninteressanten Produkten.

Schwein gehabt
In wenigen Stunden wird das ganze Schwein verarbeitet. Bild: Volker Weihbold

Die Alternative ist Qualität, bei der Fütterung, Haltungsbedingungen, Schlachtung und Rassenvielfalt Eckpfeiler des Genusses sind – allerdings mit einem dementsprechend höheren Preis.

Die Gastronomen als kulinarische Schaufenster stehen nun vor der Herausforderung, das "glückliche Schwein" wieder salonfähig zu machen und dabei auch alle Teile zu veredeln. So wie es früher üblich war.

Lasst uns sautanzen

Früher war es anders. Nicht immer besser, aber eben anders. Damals, in der kalten Jahreszeit, zeitig in der Früh, noch bevor die ersten Sonnenstrahlen die Felder in ein warmes Licht tauchten, trommelten die Bauern die Nachbarn zusammen, um ein Schwein zu schlachten. Ein Festtag. Das Schwein war eine Art lebende Vorratskammer. Die Schwarten wurden abgezogen, das Tier zerteilt und die ersten Spezialitäten zubereitet. Frisch gerührtes Blut wurde mit Gewürzen, Schwarten und Kopffleisch zu "Blunzen" verfeinert, Speck ließ man aus, und die knusprigen Grammeln schmausten die Arbeiter gemeinsam aus der Rein. Aus Haxen, Schwarten und Saurüssel machte man Sulz, Würste wurden gefüllt, die Innereien sofort verkocht und Fleisch für die weiteren Monate haltbar gemacht und konserviert. Nach der Arbeit gab es ein Festmahl, bei dem musiziert und getanzt wurde: Die Zeit des "Sautanzes".

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Sauschädelessen und Silvester. Auch ein Brauch, der langsam verschwindet. Bild: Volker Weihbold

Doch die Zeiten änderten sich. Schwein wird heute hauptsächlich mit Schnitzel gleichgesetzt. In der Vorstellung unkritischer Konsumenten besteht ein Schwein nur aus Edelteilen. Alles andere ist für die Katz oder für sonstige lieb gewonnenen Haustiere. Der Preis bestimmt das Tierwohl. Ein Kilo Schweinefleisch kostet Dank effizienter Massentierhaltung oftmals weniger als ein Kilo Gemüse.

Vor 13 Jahren entschloss sich Spitzenkoch Max Stiegl, den Sautanz wieder aufleben zu lassen. Stiegl kocht Speisen mit unglaublicher Präzision und von inspirierender Aktualität. Sein Restaurant Gut Purbach gilt als einer der Leitbetriebe des Burgenlandes und wurden eben mit drei Hauben ausgezeichnet. Der Koch tanzt zwar nicht, aber er gibt zumindest den Ton vor, was unter Handwerk zu verstehen ist. "Jeder dressierte Schimpanse kann ein Steak braten, aber aus Herz, Ohren und Magen Köstlichkeiten zu kochen, das ist wahre Kochkunst. Das muss erlernt werden. Mir bricht es das Herz, wenn Köche mit drei, vier Pinzetten anrücken, Schäumchen schlagen oder mit Chemie experimentieren, aber kein Gulasch machen können", sagt Stiegl.

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Der Rüssel wird bei Stiegl nicht zu Sulz verarbeitet, sondern separat serviert. Bild: Volker Weihbold

Der Koch zeigt anhand von oftmals verschmähten Teilen, welche herrlichen Gerichte sich zaubern lassen: Herz wird roh mit Kren als Sashimi zubereitet, Hoden gebacken, Magen zuerst gekocht, dann fein geschnitten und mit Zwiebeln, Paprikapulver, Tomatenmark, etwas Essig und Gemüse zu einer raffinierten Suppe veredelt.

Die Aufklärungsarbeit war zu Beginn der Sautanzreihe mühsam. "Wir hatten am Anfang gerade einmal vier Gäste und wurden belächelt. Aber wie in der Kirche musst du immer wieder predigen und irgendwann glaubt es dann ein jeder", sagt Stiegl mit einem Lächeln.

Der Zulauf zum Sautanz ist enorm. Wenn die Veranstaltung ausgeschrieben wird, arbeiten zwei Personen auf Hochtouren, um die Anmeldungen zu koordinieren. Nach kurzer Zeit ist die Grenze erreicht, und der Sautanz mit knapp 200 Personen ausgebucht. Mittlerweile geht Stiegl auf Tournee und macht bewussten Genießern den Sautanz schmackhaft.

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Leber, puristisch mit etwas Wurzelgemüse zubereitet, fasziniert den Gaumen. Bild: Volker Weihbold

So auch Anfang November im Grafengut am Attersee. Etwas makaber anmutend, hängte man eine Sau an den Hinterbeinen auf eine "Saurehm". Das Schwein baumelte so lange an dem hölzernen Gestell, bis es zur Gänze im Kessel, auf dem Grill und zu unzähligen Gerichten verarbeitet wurde und in den Mägen der Hedonisten verschwand.

Der Anblick könnte verstören, doch die Gäste zeigten sich keineswegs brüskiert. Ekel, wenn sie von Innereien naschten? Fehlanzeige. Vielleicht auch deswegen, weil es bei den Großeltern normal war. Die Distanz zum Tier ist heute so groß wie noch nie. "Wir machen uns viel zu viel Gedanken, wenn wir Hirn essen. Aber wenn wir uns Kosmetik mit tierischen Produkten ins Gesicht schmieren, ist es egal", zeigt sich Stiegl über die Heuchlerei verwundert.

Sicherlich erscheint es heute auch hip, "from nose to tail", vom Rüssel bis zum Ringelschwanz, alles zu essen. Früher war das jedoch eine Frage des Überlebens. Heute ist es ein Stück Geschichte. Immer mehr Höfe sperren zu, Hygienevorschriften werden strenger, das Handwerk und viele Tierrassen verschwinden – es etabliert sich ein System, in dem Quantität der Vorzug gegeben wird. Qualität und Tierwohl scheinen obsolet zu sein. Wenn der Schweinepreis fällt, werden Bauern vor die Wahl gestellt: entweder zuzusperren, oder auf Kosten des Tierwohls und der Qualität die Ställe weiter zu industrialisieren.

Sind es die Bauern auf der einen Seite die jammern, so schnaufen die Fleischhauereien auf der anderen Seite und beugen sich oft dem Diktat der Industrie.

Die Schinken-Manufaktur

Familie Thum, eine Traditionsfleischerei aus Wien, kam Ende des vorigen Jahrhunderts ebenso unter Druck, auch bedingt durch die Übermacht der Supermärkte. Seit der Übernahme durch Roman Thum floriert der Betrieb und hat in der österreichischen Schinkenproduktion die Qualitätsführerschaft übernommen. "Ich kann es mir nicht leisten, etwas Billiges zu kaufen. Wir verwenden keine Konzentrate oder Auszüge, sondern nur frische Gewürze und Öle. Wenn man gerne kocht, leert man sich auch kein Knoblauchgranulat über die Speise, sondern verwendet frischen Knoblauch", erzählt Thum über Handwerkstugenden.

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Zuerst schneidet man das Fleisch mit einem scharfen Messer grob und vermengt es mit Gewürzen. Bild: Volker Weihbold

Der Beruf des Fleischhauers hat sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt. An die Stelle des Schlachtens ist heute die Veredelung von Fleisch getreten. Auch die Beratung wird immer wichtiger und stellt einen Vorteil gegenüber industriell geführten Betrieben dar. "Solange Kunden Qualität haben wollen, solange wird es uns geben", sagt Thum. Wenn manche Fehler vermieden werden, sieht er in der kriselnden Branche Licht am Horizont. "Ich lege nichts in meine Auslage, was der Kunde im Supermarkt bekommt. Sobald du vergleichbar bist, hast du verloren", sagt Thum. Der Wiener Edelfleischer kauft keine fertigen Gewürzmischungen, sondern stellt seine Mischungen selbst her.

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Unmittelbar danach wird es im Fleischwolf faschiert. Bild: Volker Weihbold

Gerade modernisierte er seine Fleischerei im 23. Bezirk. Thum setzt neben der Produktqualität auf Kundenorientierung. Im Obergeschoss mit Blick auf die pulsierende Triester Straße lernen Genießer das Einmaleins des Wurstens.

Würste gelten als eine der ursprünglichsten Formen, Frischfleisch zu konservieren. Im Kurs wird kein Brät verwendet, sondern Wurst genau so gefertigt, wie es seit Jahrhunderten Usus ist. Fleisch wird grob geschnitten, mit Gewürzen versetzt, faschiert, in einen Darm gefüllt und herausgebraten. Wunderbar.

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Dann nur noch behutsam mischen, eventuell nachwürzen. Bild: Volker Weihbold

Thum kommt ins Schwärmen und zählt Varianten auf: Andouillette, Merguez, Chorizo, Salsiccia oder die klassische Bratwurst. Alle Würste sind in der jeweiligen Kultur verankert. Einige stellen die Teilnehmer selbst her. Sie sind begeistert. Die Kombination von einzigartigem Geschmack und Handwerk lässt die Genießer strahlen. Es ist beinah wie beim Sautanz.

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Fingerfertigkeit ist beim Füllen in den Darm notwendig. Bild: Volker Weihbold

Was spricht dagegen, in Zukunft öfter Leber mit Zwiebeln herauszubrutzeln oder ein molliges Schweinehirn mit Lardo zu garnieren. Gibt es mehr kulinarisches Glück und ein Feuerwerk an Aromen? Für verantwortungsvolle Karnivoren wohl kaum? Möge das Jahr noch lange vom Schwein geprägt sein.

Rezepte von Roman Thum und Max Stiegl

Drei Rezepte für Würste

Die Wurstherstellung folgt immer nach dem gleichen Prinzip. Zuerst wird das Fleisch grob geschnitten und mit den Gewürzen vermengt. Danach dreht man die Masse durch den Wolf, mischt alles noch ein wenig durch und füllt den Inhalt mit Gefühl in Saitlinge (Naturdärme). Dann in der Pfanne braten.

Salsiccia: 10 kg Faschiertes, per kg 20 Gramm Kochsalz, 2 Gramm Pfeffer, 8 Gramm Fenchelsamen, 0,05 Liter Rotwein, 2 Gramm Chili, 1 Gramm Zimt, etwas Knoblauch

Hauswürstel: 10 kg Fleisch, per kg 20 Gramm Kochsalz, 4 Gramm Hausgewürz, frische Petersilie (2 Prozent), etwas Knoblauch

Chorizo: 80 dag Schweineschulter grob faschiert, 20 dag Speck grob faschiert, 1 dag geräuchertes Paprikapulver, 2 dag Salz, 0,5 dag schwarzer Pfeffer, 0,5 dag Chiliflocken, 1 Schuss trockener Weißwein, 0,5 dag Knoblauch

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Von links: geräucherte Hauswürstel, Salsiccia, Chorizo und Merguez Bild: Volker Weihbold

Hirn mit Ei

Zutaten: 1 Schalotte, 1 EL Schweineschmalz, 2 Bio-Eier, 1 EL Sauerrahm, 1 Schweinshirn, Zesten einer unbehandelten Limette, Salz, Pfeffer, Majoran, Liebstöckel, Brot getoastet

Zubereitung: Schalotte klein hacken und in Schweineschmalz anrösten.
Eier mit Sauerrahm verquirlen. Hirn in mundgerechte Stücke schneiden und in die Eier-Sauerrahm-Masse geben.
Zu den Schalotten in die Pfanne geben, salzen, pfeffern und langsam braten, bis das Ei fast gestockt ist. Nicht übergaren!
Mit den Gewürzkräutern anrichten und zu getoastetem Brot servieren.

Hirn mit Ei
Bild: Volker Weihbold

„Wenn Sie nicht wissen, dass Sie Hirn mit Ei essen, denken Sie sich wahrscheinlich einfach: Das ist die beste Eierspeise meines Lebens. Das Hirn macht die Eier üppiger, cremiger, besser.“ Max Stiegl im Buch: „Sautanz. Rezepte aus einer Zeit, als Fleisch noch etwas Besonderes war“.

Schweinebücher

Max Stiegl & Tobias Müller: „Sautanz“ (Rezepte aus einer Zeit, als Fleisch noch etwas Besonderes war), Servus-Verlag, 256 Seiten, 25 Euro

Fergus Henderson: „Nose to Tail“, Echtzeit Verlag, 432 Seiten, 49 Euro

Jürgen Schmücking: „A fette Sau“ (Mangalitza, Zucht und Geschichte. Fleisch und Gerichte), VGN Medienservice, 196 Seiten, 29,90 Euro

Stéphane Reynaud: „Das saugute Kochbuch“, Christian Verlag, 368 Seiten, 39,90 Euro

Stéphane Reynaud: „Innereien“, Christian Verlag, 192 Seiten, 12,99 Euro

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Autor
Philipp Braun
Kulinarik-Redakteur
Philipp Braun
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2  Kommentare
2  Kommentare
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( Kommentare)
am 27.01.2020 20:39

Wer im Laufe seines Lebens unzählige Schweindln frisst bekommt mittelfristig selbst einen Sauschädl und endet todsicher mit einer Herz-Kreislauf-Erkrankung !

Diese junge Amerikanerin hat auch großes Schwein :
http://dirtroadwifephotography.com/2019/09/11/shoshoni-senior-photography-session-kodi-c/

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loewenfan (5.471 Kommentare)
am 18.01.2020 07:44

man könnte vermuten das mittlerweile manche Teile von der Heidi K so ausschauen

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