„The Bikeriders“: Tradierte Männlichkeit, die in den Ohren dröhnt
Der neue Kinofilm über eine US-Motorradgang in den 1960ern führt Geschlechterrollen gekonnt ad absurdum.
Austin Butler hat sich in seiner noch nicht mal zehn Jahre dauernden Kinokarriere einen exzellenten Ruf als überaus wandlungsfähiger Schauspieler erarbeitet. Mit „The Bikeriders“ – ab Donnerstag im Kino – festigt der 32-jährige Kalifornier seinen Ruhm nun scheinbar mühelos.
Der charismatische Schauspieler verkörpert den Motorradfan Benny. Im kleinstädtischen Bikerclub namens „Vandals“ ist er nicht allein der Liebling des Chefs (Tom Hardy). Alle respektieren ihn. Wenn die Motoren aufheulen, markige Sprüche geklopft und Unmengen Alkohol getrunken werden, geht’s Benny gut. Doch da ist auch die geliebte Kathy (Jody Comer). Sie entspricht gar nicht dem Klischee der braven Biker-Braut, lässt sich nicht auf die Rolle der Frau an seiner Seite ein. Konflikte sind daher unausweichlich.
Machos mit Motoröl
In einer Schlüsselszene des mit optischem Schick an klassische Hollywoodepen erinnernden Films läuft im Fernsehen das Drama „Der Wilde“. 1953 wurde Marlon Brando (1924–2004) damit als Boss einer Motorradgang zum Idol. Brandos zugleich von Sensibilität und Brutalität geprägter Stil wird für alle „Vandals“ zum Vorbild. Ebenso für das Spiel von Austin Butler. Butler kopiert das legendäre Vorbild aber nicht. Ihm gelingt eine eigenständige Charakterstudie.
Noch in kleinsten Rollen exzellent besetzt, beispielsweise mit Michael Shannon („Nocturnal Animals“), prägt sich die Engländerin Comer („Free Guy“) besonders ein. Denn die von ihr mit schier berstender Vitalität gespielte Kathy erzählt dem Publikum die Story vom erst glanzvollen Aufstieg zu Ruhm und Ehre und dann dreckigen Absturz der „Vandals“ in Gewalt und Kriminalität. Ohne vordergründige Szenen oder Dialogzeilen gelingt es ihr, die zur Zeit der Handlung gängigen, heute völlig antiquiert anmutenden Geschlechterrollen ad absurdum zu führen.
Im Film lässt Regisseur Jeff Nichols Kathy einem Reporter alles berichten. Er huldigt damit der Quelle, die ihn inspiriert hat, einem Bildband von Danny Lyon, der vor zehn Jahren in seinem Buch „The Bikeriders“ den Alltag von Motorradgangs in den USA dieser Zeit dokumentiert hat.
Die schönsten Momente der gelegentlich sehr gewaltgetränkten Filmerzählung sind jene, in denen ganz leise die Liebe gefeiert wird. Aber bei aller Lust am Beschwören großer Gefühle zeigt der Film: Die menschliche Dummheit verwandelt selbst den siebenten Himmel in eine Hölle. Und aus der gibt es auch auf den PS-stärksten Bikes kein Entrinnen.
„The Bikeriders“, USA 2023, 117 Min., ab Donnerstag im Kino,
Bewertung: Fünf von sechs Sternen