"Ich Esel!" – wofür sich Anton Bruckner schämte
Brucknerfest: Das Konzerthausorchester Berlin unter Dirigent Eliahu Inbal ließ die Urfassung von Bruckners Achter aufleuchten.
Der israelische Dirigent Eliahu Inbal macht es sich nicht gerne leicht. Für seine Liebe zu Richard Wagner wurde er in seiner Heimat viele Jahre verachtet. Und vor rund 35 Jahren holte der diskrete Perfektionist mit dem Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt die Erstfassungen von Anton Bruckners Sinfonien Nr. 3, 4 und 8 aus der Schublade, die bis dahin so gut wie jedes Orchester ignoriert hatte. Mit dem Berliner Konzerthausorchester und Bruckners Ursprungs-Achter wertete er am Donnerstag das heuer beachtlich und verblüffend durchmischt besuchte Linzer Brucknerfest auf. Dem 83-jährigen Inbal flogen die Bravo-Rufe zu, und dass eine junge Besucherin beim Hinausgehen sagte, "das hat stellenweise wie die Filmmusik von ‚Game of Thrones‘ geklungen", kann in Zeiten wie diesen als Riesenerfolg vermerkt werden.
Tatsächlich erinnert ein Teil des Scherzos im zweiten Satz an den markanten Cello-Part der Fantasy-Schlachtfest-Vertonung. Und man überlegt bei sich, warum Bruckner über seinen ursprünglichen Entwurf so zerknirscht war. Im Oktober 1887 fühlte sich der Komponist vom riesigen Erfolg seiner Sinfonie Nr. 7 noch beschwipst. Die beißenden Selbstzweifel kehrten bei dem von Natur aus Verzagten zurück, als er die Antwort von dem verehrten Dirigenten Hermann Levi auf seine Sinfonie Nr. 8 c-moll erhalten hatte. Es sei Levi unmöglich, diese Sinfonie zur Aufführung zu bringen, er könne sie sich nicht zu eigen machen, die Instrumentierung halte der Dirigent für "unmöglich".
"Freilich habe ich Grund, mich zu schämen", antwortete Bruckner: "Ich Esel!!!"
Premiere erst 1973
Der Komponist verkroch sich wieder in Wiener Bierkellern, und wenn er nicht an den Verbesserungen der Sinfonie Nr. 3 werkte, gingen ihm seine Schüler Franz und Josef Schalk bei der Revision der Nr. 8 zur Hand. Diese zweite Fassung mit verändertem ersten Satz, neu aufgesetzter Instrumentierung und geschmeidigeren Übergängen wurde 1892 von den Wiener Philharmonikern zum Erfolg geführt. Die Erstfassung kam erst 1973 in London unter Hans-Hubert Schönzeler zur Weltpremiere.
Wo die erste Version mitunter bockt, kaschierte das Konzerthausorchester mit Grandezza und hervorragenden Blech- wie Holzbläsern. Dennoch verlor sich die Besucher-Konzentration in diesen raren Momenten ins Nebensächliche. Mit einem Mal fiel auf, dass ein Zuschauer in der zweiten Reihe immerfort nickte. Dahinter hustete eine Frau in jeden Einsatz der Hörner und in Reihe sieben dirigierte ein Ambitionierter in einem fort mit, bis er die Faust ballte, wenn er meinte, sich vertan zu haben. Dennoch aber wehte eine leichte Brise frischer Sinfonik durch den Saal. Ob erste oder zweite Fassung – diese Frage darf nach diesem Konzert eine Geschmacksangelegenheit auf höchstem Niveau bleiben.
Fazit: Das von Eliahu Inbal glänzend ausbalancierte Berliner Konzerthausorchester demonstrierte die Leichtigkeit von Bruckners Ur-Achter.
Anton Bruckner hatte zu wenig Selbstbewusstsein. Er fühlte sich nicht als ein eigener, fähiger Komponist, mit gewaltiger Musik. Er glaubte immer weit hinter Richard Wagner zu stehen. Man erwartete von Bruckner in seinen Werken Stellen, welche Wagnerianerisch klingen. Seine beiden Schüler Franz und Josef Schalk taten ihr Übriges dazu, um die Selbstzweifel Bruckners zu verstärken.
Richard Wagner ist der Star. Anton Bruckner durfte seine eigenen Kompositionen nicht eigenständig komponieren. Er wurde nicht als Bruckner beurteilt, Anton Bruckner wurde zu seiner Zeit beurteilt, wie nahe er an Wagner herankommt.
Es ist gut, dass man jetzt endlich beginnt, Bruckner in den Aufführungen, die gebührende Wertschätzung seiner Werke finden zu können. Bruckners Werke haben das verdient!