Ang Lee: Vom Hausmann zum zweifachen Oscar-Regisseur
Acht Monate ließ der Kult-Regisseur Ang Lee (69) die Geldgeber auf seine Antwort auf die Frage warten, ob er Yann Martels millionenfach verkaufte, philosophische Novelle „Schiffbruch mit Tiger“ verfilmen würde. „Irgendwas hat mich dann dazu gebracht, ja zusagen. Wahrscheinlich die unmögliche Herausforderung, Unmögliches zu versuchen.“ Der Dank für seinen Mut: ein zweiter Oscar.
Lee ist mit "Life of Pi" ein visuelles wie tiefgründiges 3D-Meisterwerk gelungen, dass das Überleben eines schiffbrüchigen Inders auf einem Boot mitten auf dem Meer mit einem Tiger namens Richard Parker erzählt. Sein Epos, das fundamentale Themen wie Angst, Glauben, Identität und Vertrauen auf gleiche Weise anspricht, ist für elf Oscars nominiert. Darunter die Königs-Disziplinen beste Regie und bester Film.
Lees Wesen zeichnet aber eine so große Liebe zum Kino aus, dass seine Skepsis vor der Aufgabe „Life of Pi“ gar nicht nötig gewesen wäre. Denn er vertraut den Illusionen des Films mehr als dem realen Leben, das, wie er sagt, „voll von Täuschung und Vertuschung ist“. Er fühlt sich in ihnen zu Hause. „Ich vertraue ihrer scheinbaren Welt mehr als allen anderen Orten. Ich lebe stärker auf der anderen Seite der Leinwand.“ – Eine Einstellung, die mit seinem zwischen Ländern und Kontinenten zerrissen Leben in Verbindung steht.
Geboren wurde er am 23. Oktober 1954 in Tawain. Dorthin waren seine Eltern aus China vor dem Bürgerkrieg 1949 geflohen. Sein Vater war der einzige Überlebende seiner Familie. Als junger Erwachsener legte Lee dort unfreiwillig den Grundstein für sein kreatives Schaffen: Nachdem er zwei Mal durch die Aufnahme-Tests für die Universität gefallen war, schrieb er sich bei einem Kunst-College ein. 1978 zog Lee, den US-Kritiker Roger Ebert als „freundlich und weise“ beschreibt, in die USA, um Regie und Filmproduktion zu studieren.
1983 war er zweiter Regisseur für seinen Studienkollegen Spike Lee („Malcom X“) bei dessen Abschlussfilm „Joe's Bed-Stuy Barbershop“. Im selben Jahr heiratete Ang Lee seine Frau Jane, mit der bis heute glücklich ist und die zwei Söhne Haan (26) und Mason (22) hat. 1984 gewann Lee mit seinem Abschluss-Film „Fine Line“ den Preis seiner Universität für überragende Regie. Doch Engagements und Einkommen blieben aus. Sechs Jahre war Lee arbeitslos und Hausmann, während Jane als Molekularbiologin die Familie über Wasser hielt. „Und irgendwann ging der Wahnsinn los“, wie Lee gerne sagt.
Es startete eine Karriere, die so vielseitig ist, wie sein Leben selbst. In „Xi Yan“ („Das Hochzeitsbankett“) diskutierte er die Konflikte eines homosexuellen Chinesen und gewann 1993 den Goldenen Bären in Berlin. Genauso wie für seinen ersten Hollywood-Film „Sinn und Sinnlichkeit“ (1995) nach Jane Austen, dem Emma Thompson ihren Drehbuch-Oscar verdankt. Sein Martial Arts-Film „Tiger and Dragon“ (2000) gewann vier Oscars. Nach einer mehr oder weniger geglückten Filmadaption des Mavel-Comics „Hulk“ (2003) kam die bisherige Krönung seiner Karriere: Für das Homosexuellen-Drama „Brokeback Mountain“ erhielt er 2005 als erster Mann mit asiatischen Wurzeln den Regie-Oscar.
Lees Erfolgsgeschichte hätte sich bestimmt aber auch ohne Oscar 2013 fortgesetzt. Denn er sagt über sich, dass er als Kind „friedlich, ruhig und nie ein Rebell war“ und er deshalb erst spät lernte, seine Gefühle und innere Kreativität auszudrücken. Und wie „Life of Pi“ zeigt, gibt es selbst mit knapp 70 noch eine Menge davon.
OÖN-Interview mit Ang Lee zu „Life of Pi“
Interview mit Ang Lee von US-Kritiker Roger Ebert
YouTube-Video: Trailer zu „Life of Pi“
YouTube-Video: Ang Lee stellt sich den Fragen des „Guardian”