Warum die türkischen Wähler sich plötzlich von Erdogan abwenden
ANKARA. Mit dem historischen Sieg der Opposition wird ein Machtwechsel realistischer
Ein knappes Jahr nach seinem Sieg bei der Präsidentschaftswahl wollte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan Istanbul, Ankara und andere Städte für die AKP zurückerobern. Doch seine Kandidaten fielen bei der Kommunalwahl am Sonntag krachend durch. Die Opposition hofft bereits auf einen bevorstehenden Machtwechsel.
Warum wird das Ergebnis der Kommunalwahl als historisch bezeichnet?
Die islamisch-konservative AKP erlitt ihr schlimmstes Wahldebakel seit zwei Jahrzehnten. Die oppositionelle Mitte-links-Partei CHP wurde mit 37,6 Prozent landesweit stärkste Kraft. Die AKP kam auf 35,7 Prozent. Damit ist die AKP erstmals seit ihrer Gründung 2002 in einer Kommunalwahl landesweit nur zweitstärkste Kraft. Staatspräsident Erdogan verfehlte auch sein ausgemachtes Ziel, die politisch wichtige Metropole Istanbul mit ihren 16 Millionen Einwohnern zurückzuholen. Damit zeigt sich, dass Erdogan nicht allmächtig ist, obwohl er alle Mittel des Staates für sich nutzte.
Was waren die Motive der Wähler, warum sie jetzt mehrheitlich für die Opposition stimmten?
Politische Beobachter machen vor allem die hohe Inflation von zuletzt mehr als 67 Prozent und die Wirtschaftspolitik für die Niederlage Erdogans verantwortlich. Das ungeschriebene Abkommen zwischen Erdogan und der türkischen Bevölkerung – Gefolgschaft gegen Wohlstand – funktioniert nicht mehr. Vor allem Menschen der mittleren und unteren Schichten treibt die Wirtschaftslage in Existenzkrisen. In Straßenumfragen berichteten immer mehr Menschen davon, dass sie hungrig ins Bett gehen oder mit über 70 wieder zu arbeiten beginnen müssten, weil ihre Rente nicht zum Überleben reiche. Auch der versprochene Wiederaufbau in den Erdbebengebieten liegt noch immer hinter den Erwartungen. "Das türkische Volk hat der Regierung ‚Stopp‘ gesagt", analysiert Politologe Suat Özcelebi. Hinzu kommt die ausgesprochen niedrige Wahlbeteiligung. Viele zutiefst frustrierte AKP-Anhänger sind diesmal einfach zu Hause geblieben.
Wie reagierte Erdogan?
Noch in der Wahlnacht räumte er die Niederlage ein – eine ungewohnte Rolle für den erfolgsverwöhnten Politiker. "Dies ist nicht das Ende für uns, sondern ein Wendepunkt", versuchte er die historische Wahlniederlage einigermaßen zu erklären. Dennoch konnte er nicht darüber hinwegtäuschen: Sein Nimbus des Unbesiegbaren ist endgültig gebrochen.
Was bedeutet der Wahlsieg nun für die Opposition?
Der historische Erfolg der CHP bei den Kommunalwahlen könnte ein Vorbote für die kommenden Präsidentschaftswahlen sein. Bis dahin kann zwar noch einiges passieren – die türkische Bevölkerung wird erst 2028 erneut über den Präsidenten abstimmen –, dennoch hat die größte Oppositionspartei bereits jetzt gezeigt: Trotz der Übermacht der Regierungspartei kann sie Wahlen gewinnen. Erdogans AKP konnte zwar auf staatliche Ressourcen zurückgreifen und dominiert die Berichterstattung der Medien. Doch der Opposition gelang es, auf die Probleme der Menschen einzugehen – und zwar jenseits aller ethnischen und politischen Grenzen.
Wenn ich mich nicht irre, stand Erdogan schon einmal mit dem Rücken zur Wand. Daraufhin hat er ein paar Parteien verboten (kurdische) und den Konflikt mit den Kurden, der schon beinahe lösbar schien, wieder angeheizt. Der seltsame Putschversuch vor ein paar Jahren hat ihm auch nicht geschadet.
Er hat sich einfach zu sicher gefühlt....