Drohende Deflation bringt Europa massiv unter Druck

BRÜSSEL / FRANKFURT. Ratlosigkeit macht sich bei Politikern und Notenbankern breit Die Probleme Frankreichs und Italiens verschärfen die Lage.
Führende Ökonomen sind zunehmend pessimistisch für die wirtschaftliche Entwicklung. "Ich befürchte, vor Europa liegt eine längere Phase aus Stagnation, Deflation und hoher Arbeitslosigkeit", sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, am Wochenende.
Der Chef der Brüsseler Denkfabrik Bruegel, Guntram Wolff, sagt: "Die europäische Konjunktur ist unglaublich schwach." Große Sorgen bereiten die Schwergewichte Frankreich und Italien. Letzteres ist wieder in die Rezession gerutscht. Als eine der größten Gefahren gilt eine drohende Deflation. Dieser Preisverfall auf breiter Front würde die Wirtschaft endgültig zum Stillstand bringen.
Im August ist die Teuerung in der Euro-Zone weiter gefallen – um 0,1 Punkte auf 0,3 Prozent. In Spanien und Italien gibt es schon Deflation. Ins Blickfeld rückt nun die Europäische Zentralbank (EZB). Deren Chef Mario Draghi hatte zuletzt betont, "mit allen verfügbaren Mitteln" eine Deflationsspirale verhindern zu wollen.
Am Donnerstag tagt der EZB-Rat. Eine Zinssenkung würde kaum helfen, weil der Leitzins schon historisch niedrige 0,15 Prozent beträgt. Viele rechnen damit, dass die EZB in den nächsten Monaten die Notenpresse weiter ankurbelt. "Das zerbröselnde Konjunkturbild wird die EZB weichkochen", sagt der Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer. Das letzte Ass im Ärmel ist der umstrittene Kauf von Staatsanleihen. Die EZB dürfte aber zuerst die Wirkung ihrer jüngst beschlossenen und Mitte September startenden Geldspritzen für Europas Banken abwarten, heißt es.
Die Ratlosigkeit ist jedenfalls groß. So sagte der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble: "Um ehrlich zu sein, glaube ich nicht, dass die EZB mit ihrer Geldpolitik die Instrumente hat, um eine Deflation zu bekämpfen."
Kaum Spielraum für Impulse
Der Linzer Ökonom Friedrich Schneider sieht zwar noch keine Anzeichen einer Deflation in Europa, angesichts der Konjunkturprognosen sagt er aber: "Wir gehen schwierigen Zeiten entgegen." Staatliche Konjunkturimpulse könnten nötig werden, sie seien wegen der schlechten Budgetlage aber kaum möglich.
"Einzig Deutschland könnte es sich leisten, dann darf Österreich wieder auf Trittbrettfahrer-Effekte hoffen", sagt Schneider.
Euro gibt weiter nach
Der Kurs des Euro hat am Montag an die Verluste der vergangenen Woche angeknüpft. In der Früh stand die Gemeinschaftswährung bei 1,3120 Dollar und damit etwas tiefer als am Freitagabend. Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte den Referenzkurs am Freitagmittag auf 1,3188 (Donnerstag: 1,3178) Dollar festgesetzt.
Der Konflikt in der Ukraine spielt nach Einschätzung von Devisenexperten weiter eine Rolle. Außerdem spekuliert der Markt laut Lutz Karpowitz von der Commerzbank auf eine weitere Lockerung der Geldpolitik der EZB.