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Warum Fasten glücklich macht

Von Alfons Krieglsteiner, 03. Februar 2018, 00:04 Uhr
Bild: Reuters

Die Fastenzeit tut Körper und Seele gut. Sie ist die Zeit zum Nachdenken: Wo übertreibe ich es mit manchen Dingen? Wo bin ich nicht mehr Herr über mein eigenes Verhalten?

Februar leitet sich von lateinisch „februare“ ab, das bedeutet „reinigen“. Schon die Kelten feierten in diesem Monat ein rituelles Reinigungsfest zu Ehren der Göttin Brigid, und im antiken Rom wurden zu diesem Zweck Fackelumzüge abgehalten.

Fasten ist „Selbstreinigung“. Am 14. Februar (Ascherwittwoch) beginnt heuer die 40-tägige Fastenzeit, die zu Ostern endet. Jesus hat 40 Tage in der Wüste gefastet. Nicht, weil es nach medizinischen Erkenntnissen die Körperzellen verjüngt, sondern, um sich innerlich gegen die Verführungskünste „Satans“ zu rüsten. „In irgendeine Wüste gehen, das bedeutet: Nein sagen zur Unfreiheit“, schreibt Friedrich Nietzsche in seiner Abhandlung „Zur Genealogie der Moral“. Wer – wie Jesus – in die Wüste geht, der folge einem asketischen Ideal, „das so viele Brücken zur Unabhängigkeit anzeigt“.

Das Gegenteil der Askese ist die Sucht. „Sie macht unfrei“, sagt Primar Kurosch Yazdi, Psychiater und Suchtmediziner am Linzer Kepler-Uniklinikum. Unfrei durch ihr Übermaß, das die Gesundheit gefährdet und zu einem zwanghaften Verhalten nötigt. Täglich hat Yazdi mit Patienten zu tun, die daran leiden.

1,5 Millionen Österreicher können nicht von der Zigarette loskommen: Die Nikotinsucht ist nach wie vor die Nummer eins unter den Süchten, noch vor dem Alkohol. „Doch der Nikotin-Missbrauch ist rückläufig“, sagt Yazdi. Die Droge unserer Zeit heißt Cannabis: An den US-Colleges wird heute schon mehr gekifft als geraucht. „Ein echter Cannabis-Rausch kann psychedelisch wirken, die Grenzen zwischen Selbst und Außenwelt aufheben“, so der Suchtexperte. Im schlimmsten Fall führt die Cannabis-Sucht zu einer chronischen Psychose. Hilfe bietet den Betroffenen eine ambulante „Cannabisgruppe“ im Kepler-Klinikum.

Ausklinken aus der Realität

Neben solchen „substanzgebundenen“ Süchten gibt es noch die „Verhaltenssüchte“. Die Internet-Sucht zum Beispiel, die vor allem unter der Jugend immer mehr um sich greift. „Die Zahl der jungen Leute, die über Online-Rollenspiele in eine virtuelle Welt eintauchen, geht in die Tausende“, sagt Yazdi. Und wenn man sich dann noch drei Dingen gleichzeitig widmet – spielen am PC, daneben WhatsApp und ein Tablet mit Youtube-Videos – ist alles „angerichtet“ fürs speedig-komfortable Ausklinken aus der Realität.

Eine althergebrachte „Verhaltenssucht“ ist das Glücksspiel. „Mozart war ihm verfallen und hat dabei sein ganzes Geld verspielt“, sagt Yazdi. Heute gehe die größte Gefahr von Online-Glücksspielen aus.

Jede Sucht entstehe durch übermäßigen Konsum, sagt der Experte: „Man investiert immer mehr Zeit in seine Sucht, die dann für anderes fehlt, vor allem für Sozialkontakte.“ „Schuld“ ist ein Verlust an Selbstkontrolle. Wie man sie wiedererlangt? „Da ist Fasten eine gute Möglichkeit“, sagt Yazdi. Deshalb solle man die Fastenzeit als Probezeit nutzen, um herauszufinden: Schaffe ich es wenigstens eine Zeitlang, auf mein Suchtverhalten zu verzichten, oder „muss“ ich gleich wieder damit anfangen? Wenn ja, „kann professionelle Beratung helfen.“

Die beste Definition des Begriffs „Sucht“ stammt wohl von Friedrich Nietzsche. Der Süchtige „liebt zuletzt seine Begierde und nicht mehr das Begehrte“, schreibt er in „Jenseits von Gut und Böse“. Das Heilmittel sieht er in Selbstbeschränkung und Selbstdisziplin. Was kann uns in der säkularisierten Gesellschaft dazu motivieren? Religiöse Sanktionen für die „Todsünden“ Unmäßigkeit, Trägheit, Unkeuschheit? Dafür schmoren im Fegefeuer? Das lässt heute die meisten kalt.

Eine Frage der Würde

Doch es gibt noch eine andere Sanktion, und die verhängt man über sich selbt: das Gefühl der Scham angesichts der Willenlosigkeit, die mit jeder Sucht einhergeht. „Allen seinen Wünschen nachgeben zeigt eine niedrige Gesinnung“, sagt der griechische Philosoph Aristoteles (384 - 322 v. Chr.). Diese Willenlosigkeit widerstrebe dem, „was den Menschen eigentlich zum Menschen macht – seiner Würde.“ Gegen seine Süchte ankämpfen, das ist also die Voraussetzung, um sich seiner Würde wieder zu versichern und das „Bewusstsein der Freiheit“ wiederzuerlangen.

Das „Würdelose“ ist das Animalische, das im Märchen in der Figur des Wolfes zum Ausdruck kommt – am bekanntesten im „Wolf und den sieben Geißlein“, wo es heißt: „Aber der Wolf fand sie alle und machte nicht länger Federlesen: Eins nach dem andern schluckte er in seinen Rachen, nur das Jüngste fand er nicht.“ Doch seine „Sucht“ nach den Geißlein wird be-
straft: Ihre Mutter füllt den Wanst des Schlafenden mit Wackersteinen, und als er zum Brunnen geht, um zu trinken, „musste er jämmerlich ersaufen“.

 

 

Der bewusste Verzicht als Gruppenerfahrung

Johannes Hessler begleitet seit 25 Jahren Gruppen beim Fasten.

Die einen verzichten auf Alkohol, die anderen auf Süßes, das Auto wird ebenso gemieden wie Shoppingtouren. Für Johannes Hessler sind all diese Arten des Fastens "total begrüßenswert", wie er sagt, und ein Ausdruck dafür, dass das Fasten im Weltlichen angekommen ist. "Die Fastenzeit beschränkt sich ja auch im Religiösen nie nur auf das Essen, sondern soll stets auch das Bewusstsein stärken, was dem eigenen Leben gut tut und was es schwächt."

Gibt es beim Fasten ein Richtig und ein Falsch? Jeder müsse zunächst seine Form des Fastens finden und sollte keine Scheu haben, mehrere Arten auszuprobieren, rät der 51-Jährige. Fasten, um abzunehmen, sei jedoch "keine gute Methode", tauge höchstens für einen Impuls. "Abnehmen ist eine langfristige Angelegenheit. Um Gewicht zu verlieren, ist eine Umstellung der Ernährung und des Lebensstils notwendig. Das Fasten dagegen ist eher kurzfristig angelegt." Damit ein Fasteneffekt in Gang kommt, empfiehlt Hessler eine Dauer von sieben Tagen.

Seit 25 Jahren praktiziert der Leondinger jedes Jahr eine Fastenwoche. Nach 19 Jahren als Benediktinermönch wollte er auch außerhalb der Klostermauern nicht darauf verzichten. Er suchte nach einer Fastenmethode, die sich in den Alltag integrieren lässt, und wurde fündig Hessler hat das Basenfasten für sich entdeckt, verzichtet auf sogenannte saure Lebensmittel, ernährt sich sechs Tage lang von Gemüse, trinkt keinen Alkohol und keinen Kaffee, isst keinen Fisch und kein Fleisch, nichts Süßes, kein Getreide. Nur das morgendliche Dinkelweckerl aus der klösterlichen Fastenzeit ist geblieben.

Hessler begleitet auch Gruppen beim Basenfasten. Immer abends trifft man sich, um sich auszutauschen. Der Verzicht liefert jede Menge Gesprächsbedarf, und obwohl jede Gruppe anders ist, komme immer ein ähnlicher Prozess in Gang, so Hessler. "Fastendynamik" nennt er den Vorgang, wenn der Verzicht zunächst kleine Krisen wie innere Unruhe, Kopfweh, Gereiztheit oder Essensphantasien auslöst, um sich schließlich in Euphorie umzukehren. "Dann ist man im Fasten angekommen." Den Satz "Jetzt könnte ich noch zwei, drei Tage so weitermachen" hört der Fastenberater dann häufig. Die besonders euphorischen Teilnehmer gelte es dann sogar zu bremsen.

Zur Fastenwoche von Johannes Hessler gehört nicht nur der gegenseitige Austausch, sondern immer auch ein Thema, mitgegeben als Impuls für den nächsten Tag. Die Teilnehmer werden angeregt, hinzuschauen und hinzuhören, was sie wirklich brauchen, wie die Beziehung zu sich selbst und zu anderen gestaltet ist. Das Thema kann auch "Beweg dich", "Sei dankbar" oder "Lebe bewusst" lauten. Das Alltagsfasten endet immer am Sonntag und immer mit einem reichhaltigen Frühstück. "Das ist dann der Moment, das Leben zu genießen und zu feiern."

Fasten im Alltag: im Pfarrzentrum Leonding (25. Februar bis 4. März), im Pfarrzentrum Scharnstein (11. bis 18. März) und Leonding (18. bis 25. März), Info und Anmeldung bei Johannes Hessler, 0699/11 00 3911

 

Dem Fest des Lebens entgegen

Die Fastenzeit löst in uns nicht unbedingt Begeisterung aus. Nach der Ausgelassenheit des Faschings sollen wir uns plötzlich einschränken und uns in Verzicht üben. „Christlicher Leistungsdruck“ zusätzlich zum Alltagsstress – ist das der Sinn dieser Zeit, in der wir uns vorbereiten auf das Osterfest, auf das Fest des Lebens?

Seit Jesu Auferstehung dürfen wir darauf vertrauen, dass unser Leben einmal in die volle Freude und Lebendigkeit bei Gott mündet. Jesus hat uns erlöst durch seine bedingungslose Liebe, mit der er auf Menschen zugegangen ist, die er auch in der Grausamkeit des Kreuzes nicht verloren hat und die der Vater mit der Auferweckung besiegelt hat. Ostern feiert also den Gott des Lebens! Sollte es da nicht auch in der Vorbereitung um die Hinwendung zum Leben gehen? Jede Festvorbereitung weckt Vorfreude, bedeutet aber auch Arbeit. In diesem Kontext hat Verzicht Sinn. Er ist nicht Selbstzweck und soll uns schon gar nicht die Lebensfreude nehmen. Im Gegenteil: Verzicht – so gelebt – macht frei für das Wesentliche, schafft Raum für Lebendigkeit. Deshalb hat die Fastenzeit auch nichts mit Trauer oder Bedrücktheit zu tun, sondern ist vielmehr eine Zeit der Freude, in der wir uns neu für das Leben öffnen können. Die Schlüsselfrage lautet: Was hilft uns, bewusst und sinnvoll zu leben? Liturgisch heißt die Fastenzeit „Österliche Bußzeit“. Und Buße bedeutet so viel wie „Umkehr“. Jesus beginnt seine erste Predigt mit den Worten: „Kehrt um und glaubt an das Evangelium, an die frohe Botschaft!“ (Markusevangelium 1,15b). Umkehr setzt die Einsicht voraus, in die verkehrte Richtung zu gehen.

Tiefe Sehnsüchte erkennen

Ob das der Fall ist, erkenne ich nur, wenn ich inne-halte, mich be-sinne. Still werden, nach innen horchen, mich fragen, ob ich so lebe, wie es meinem Herzen entspricht – das ist die Einladung. Diese Zeit will mich wieder in Berührung bringen mit meiner tiefsten Sehnsucht: der Sehnsucht nach Liebe und vollem Leben, die im Alltag oft zugedeckt wird von Ablenkungen und Hektik. Wichtig ist eine ehrliche Bestandsaufnahme: Tut mir so manche Gewohnheit wirklich gut oder ist sie eher Abhängigkeit? Wo ist weniger vielleicht mehr – und wo braucht es umgekehrt ein Mehr an Zeit und Aufmerksamkeit? Beim christlichen Fasten geht es nicht darum, ein paar überflüssige Kilos loszuwerden. Der Verzicht soll nicht nur mir zugutekommen, sondern auch den Mitmenschen und der Umwelt.

Sinnvolle Fasten-Ideen machen es möglich: Da geht es neben dem Verzicht auf Genussmittel auch um Autofasten, Handyfasten, Online-Fasten, um bewussteres Einkaufen, um Teilen statt noch mehr Konsum, um Zeit-Schenken und echte Begegnungen statt Berieselung. Ein solcher Verzicht ist eine Chance für die Pflege meiner Beziehungen – der Beziehung zu mir selbst, zu den Menschen um mich und zu Gott. Nicht gelebt werden, sondern leben, nicht um mich selber kreisen, sondern mich anderen zuwenden, lebens- und liebesfähiger werden – zu dieser Freiheit möchte Ostern, möchte Jesus Christus befreien. Und das ist wirklich ein Grund zur Freude!

Schwester M. Huberta Rohrmoser, Diplom-Pädagogin, Marienschwester vom Karmel. Angebote u. a. für spirituelles Fasten, Meditation, christliche Kontemplation, meditativen Tanz sowie geistliche Begleitung.

 

 

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