Die Kunst ist fehlbar
Wie sich 2018 die Kultur an der Politik beteiligte – und umgekehrt. Ein Jahresrückblick von OÖN-Kultur-Ressortleiter Peter Grubmüller.
Wozu brauchen wir die Kunst, sofern sich diese nicht an der Politik reibt? Aus der ersten Reihe der österreichischen Schriftsteller haben 2018 unter anderem Daniel Kehlmann, Michael Köhlmeier, Maja Haderlap, Peter Turrini und Robert Menasse daran erinnert, dass nicht der ökonomische Mensch Angelpunkt einer Demokratie sei, sondern das ethisch handelnde Individuum.
Menasse mag beim Zitieren von Walter Hallstein die Worte des ehemaligen CDU-Politikers und ersten Kommissionsvorsitzenden des EU-Vorgängers Europäische Wirtschaftsgemeinschaft verkürzt und hingebogen haben – dafür wurde er medial auch abgewatscht –, aber diese O-Ton-Schlamperei trübt die Kultur einer wachsenden Beteiligung an politischen Debatten keineswegs. Aber obwohl von Thomas Drozda (SPÖ) nach dessen Abgang als Kulturminister ein kultureller Kahlschlag angekündigt worden war, hat ihm sein Nachfolger Gernot Blümel (ÖVP) diesen Gefallen noch nicht getan.
Die aktuelle Bundesregierung kümmert sich neben Salzburger und Bregenzer Festspielereien zwar ausschließlich um die Wiener Kunst-Landschaft (Bundestheater, Bundesmuseen), aber sie setzt (ohne Einsparungen) fort, was seit Jahrzehnten widerspruchslos als Kulturpolitik der Republik durchgewunken worden ist.
In Oberösterreich kam die kulturpolitische Debatte bei Künstlern so richtig in Fahrt, als sie zur parteipolitischen Streiterei taugte. Das halbe Ensemble des Landestheaters fühlte sich veranlasst, dem Linzer Bürgermeister Klaus Luger (SPÖ) von der Bühne herunter auszurichten, welch kulturelle Verwahrlosung es sei, den Theatervertrag mit dem Land Oberösterreich aufzukündigen. Wer mochte, der konnte sich am Engagement der Künstler begeistern, aber dass sich die Landestheater-Belegschaft nicht schon 2017 mit den zehnprozentigen Kultur-Einsparungen von Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) auseinandergesetzt hatte, hinterließ den Beigeschmack einer orchestrierten Erregung. Immerhin gehen Stadt und Land seit 2018 in der Museumslandschaft (Marketing, inhaltliche Planung, Ticketing) gemeinsame Wege. 2019 muss eine neue Durchlässigkeit der Grenzen von Stadt und Land im Theater- und Konzertbereich wichtigstes kulturpolitisches Ziel sein.
Wo blieb überdies der einstimmige Widerspruch gegen diesen Tiroler Festspiel-Intendanten, der sein Ensemble jahrelang danach auswählte, ob sich Künstlerinnen unter die Bluse greifen lassen? Die relevanteren Kollegen James Levine (Metropolitan Opera, New York), Daniele Gatti (Concertgebouw Orchester, Amsterdam) und Charles Dutoit (Royal Philharmonic Orchestra, London) hatten ihre Jobs nach harmloseren Vorwürfen längst verloren, während in Österreich darüber debattiert wurde, ob die Frauen nicht doch zu einladende Ausschnitte getragen hatten.
So ist die Kunst. Sie ist fehlbar. Trotzdem muss ihre Freiheit außer Streit gestellt sein. Genauso wie alle anderen Säulen der Demokratie.
Sehr feiner Artikel - danke Peter Grubmüller!
Auf Teile davon trifft das sicherlich zu.
Andere Passagen sind politisch viel zu tendenziös. Tatsächlich begannen die Kürzungen und Streichungen sofort unter schwarzblau noch unter Pühringer. Nicht erst 2017.
Wie frei ist die Kunst, wenn ein Künstler hungern muss, wenn es Brot nur für zensierte Leistungen gibt und die Kunst gerade nicht zwischen den politischen Fronten zerfetzt wird?
Es können sich nur Große leisten, sich an der Politik zu reiben, dass sie es auch tun, sei ihnen herzlich gedankt.