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Offener Brief von Gottfried Helnwein: Cancel Culture meets Reichskulturkammer

08. Februar 2024, 17:27 Uhr

In der Diskussion um seine Kunst-Installationen in Gmunden hat sich Gottfried Helnwein zu Wort gemeldet – der offene Brief in voller Länge.

Meine Kunst hat oft emotionale Reaktionen bei den Menschen hervorgerufen, und immer wieder zu Diskussionen geführt. Und das ist gut so, denn ich denke, dass dies eine wichtige Funktion der Kunst ist.

Zu allen Zeiten gab es aber auch Angriffe und Kampagnen gegen Künstler, die bestimmte Kreise aus welchen Gründen auch immer, als zu unbequem, zu provokativ, zu rebellisch empfunden haben.

Erinnern wir uns an die Attacken gegen Peter Handke, Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek, gegen Hermann Nitsch, die Wiener Aktionisten, gegen Klimt und Egon Schiele. Die Liste der Denunzierten und Angegriffenen ist lang.

Die Geschichte der Kunst, war immer auch eine Geschichte von Verboten, Zensur,  Diskreditierung, Bilderstürmerei und Bücherverbrennung.

Den Tiefpunkt der Kreuzzüge gegen Künstler erreichten die Nazis mit ihrem Kampf-Begriff “Entartete Kunst”. Marc Chagall, Max Ernst, Gauguin, Kandinsky, Paul Klee, Käthe Kollwitz, Picasso - viele bedeutende Künstler*innen, die aus der Kunst- und Kulturgeschichte nicht mehr wegzudenken sind, wurden vom nationalsozialistischen Regime als „entartet“ verfemt und verfolgt. Sie erhielten künstlerische Arbeitsverbote, wurden geächtet, ihrer Ämter enthoben, aus Deutschland und Europa vertrieben. Ihre Kunstwerke wurden beschlagnahmt, verkauft, übermalt oder zerstört.

Auch meine Arbeiten waren schon sehr früh, bei meiner ersten Ausstellung im Künstlerhaus 1971, Ziel einer derartigen Attacke: Meine Bilder wurden mit Stickern mit der Aufschrift “Entartete Kunst” überklebt.  Und so ging es dann weiter - im gleichen Jahr liess der Bürgermeister von Mödling durch die Polizei meine Bilder in einer Ausstellung beschlagnahmen, weil er in einem von ihnen einen “Blutspeienden Penis” sah. Müssig zu erwähnen, dass sich diese seltsame Vision nur in seinem Kopf befand, und nichts, was auch nur im Entferntesten daran erinnern hätte können, auf meinem Bild. 

1988, zum 50ten Jahrestag der sogenannten ‘Reichskristallnacht’, errichtete ich, zwischen dem Museum Ludwig und dem Kölner Dom, eine monumentale, fast 100 Meter lange Bilderstrasse, um an dieses Ereignis zu erinnern. 

Die 4 Meter hohen Kinderfotos, die wie zur ’Selektion’ nebeneinander aufgereiht waren, wurden eines nachts durch Unbekannte in Höhe der Kehlen mit Messern aufgeschlitzt.

In den letzten 20 Jahren gab es keine erwähnenswerten Angriffe mehr gegen mich, und es scheint, dass die Menschen sehr gut mit meiner Kunst zurecht kommen, und dass ihnen meine Arbeiten etwas bedeuten. 

Meine Museumsausstellungen haben immer wieder Besucherrekorde aufgestellt, zuletzt in meiner Retrospektive in der Albertina, 2013. Nie hat ein lebender Künstler in diesem Haus mehr Besucher gehabt. 

Nun hat mich die Stadtgemeinde Gmunden um einen künstlerischen Beitrag zum Kulturhauptstadt-Jahr 2024 gebeten, ich habe zugesagt und 3 grossformatige Bilder  am Gmundner Rathaus und dem Stadttheater installiert.

Mit den Titeln ‘Memory’, ‘The Disasters of War’ und ‘The Smile’

Und siehe da, meine schlichte Installation führte dazu, dass aus allen Löchern selbsternannte Retter des Abendlandes krochen und einen erstklassigen Shitstorm fabrizierten. 

Dass die traditionell kunstfeindlichen FPÖ Politiker meine Arbeit attackieren und die  sofortige Entfernung der Bilder fordern würden, überrascht mich nicht, es hätte mich eher erstaunt, wenn sie es nicht getan hätten.

Dass sich aber auch die Journalistin eines Blattes, das sich als traditionell Links versteht,  dieser Kunstattacke anschloss, ist schon amüsant.

Cancel Culture meets Reichskulturkammer.

Beide unterstellten  mir in diesem konkreten Fall, dass meine Kunst gewaltverherrlichend sei, und das Bild küssender Kinder pädophile Sehnsüchte anspräche. Weiters wird die Darstellung eines Kindes in einer Phantasie-Uniform mit dem, Goya-zitierenden Titel “Die Schrecken des Krieges”, der Nazipropaganda verdächtigt. 

Die Journalistin weist wichtigtuerisch ausdrücklich darauf hin: 

“Das (öffentliche) Tragen einer solchen Uniform hätte bekanntlich eine Anzeige wegen Wiederbetätigung zur Folge. Aber auch die simple Zurschaustellung, Darstellung oder Verbreitung von Abzeichen, Uniformen oder Uniformteilen einer verbotenen Organisation ist gesetzlich untersagt. "Was will uns Helnwein mit der SS-Uniform sagen? Nimmt er in Kauf, die Symbolik eines Regimes von Massenmördern zu bagatellisieren?"

Na klar, was denn sonst! 

Nehmen Sie das bitte nicht persönlich, liebe Journalistin und liebe FPÖ, aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Euch beiden jemand ins Gehirn geschissen hat.

Liebe FPÖ: wenn Sie sich wirklich Sorgen machen um die sexuelle Gewalt gegen Kinder, dann empfehle ich einen Blick ins Internet, das mit kinderpornografischen Darstellungen überflutet ist, oder in die lange Geschichte der Gewalt und des Missbrauchs von Kindern in kirchlichen und staatlichen Heimen und Psychiatrischen Anstalten. Wenn es Ihnen wirklich um das Wohl der Kinder geht, hätten Sie hier ein reiches Betätigungsfeld, und Sie könnten zur Abwechslung mal etwas Vernünftiges tun.

Kunstwerke zu attackieren und versuchen, sie zu verbieten, mag zwar reizvoll sein, weil man sich dabei wichtig vorkommen kann, und vielleicht in die Medien kommt, aber helfen tut das wirklich niemandem.

Just, don’t shoot the messenger.

Und nun zu Ihnen, Frau Journalistin: dass Sie mich und meine Kunst hassen, sei Ihnen unbenommen, Sie sollten aber, in Ihrem eigenen Interesse, aufpassen, dass Ihre Hassgefühle, Ihre ohnehin überschaubaren journalistischen Qualitäten, nicht auf ein noch tieferes Niveau sinken lassen. Dieser Schulterschluss mit den rechten Bilderstürmern wird Ihnen jedenfalls keinen Staatspreis für Kunstkritik einbringen.

Wenn Sie nur ein bisschen  recherchiert hätten, wäre Ihnen aufgefallen, dass sich kein Künstler nach 1945 mit seiner Arbeit so kritisch, so radikal und unermüdlich mit dem Holocaust und dem unseligen Erbe des ‘Tausenjährigen Reiches’ auseinander gesetzt hat, wie ich. Seit 50 Jahren ist meine Arbeit ein einziger Appell gegen Gewalt, vor allem gegen die Gewalt gegen Kinder und gegen das Vergessen. 

Ihrer Kollegin Andrea Schurian vom Standard scheint das jedenfalls auch so gesehen zu haben, wenn sie schrieb: 

"Jedes Bild ist ein drastisches Manifest, ein empörter Wutschrei gegen Kindesmissbrauch und Gewalt.”

Bis jetzt hat mich jedenfalls noch kein Journalist der Wiederbetätigung bezichtigt, oder den Verdacht geäußert, ich würde Massenmord bagatellisieren.

Mitchell Waxman vom Jewish Journal, in Los Angeles meinte:

"The most powerful images that deal with Nazism and Holocaust themes are by Anselm Kiefer and Gottfried Helnwein. Kiefer and Helnwein's work are both informed by the personal experience of growing up in post-war German speaking countries... And Helnwein's art might have the capacity to instigate change by piercing the veil of political correctness to recapture the primitive gesture inherent in art."

Simon Wiesenthal, schrieb anlässlich  meiner Installation zur Erinnerung an die Reichskristallnacht, in Köln 1988:

“Nicht einmal vor den Kindern wurde halt gemacht, auch sie fielen der Vernichtung zum Opfer. Es war die bestechende Idee von Gottfried Helnwein, die Konsequenzen dieser »Zeit ohne Gnade« so unkonventionell darzustellen. Er verwendete keine Fotos von Leichenbergen; Kinderbilder zwingen den Betrachter, stehen zu bleiben und sich diesem Gedanken zu stellen. Menschen, bitte bleibt alle stehen, schaut Euch diese Kindergesichter an und multipliziert ihre Zahl mit einigen Hunderttausend. Dann werdet ihr das Ausmaß des Holocaust, der größten Tragödie in der Geschichte der Menschheit, erkennen oder erahnen!"

Julia Weiner vom Jewish Chronicle, in London stellte fest:

"Austrian artist Gottfried Helnwein's powerful and haunting paintings provide a disturbing commentary on Nazism and the Holocaust, regularly provoking outraged reactions from right-wingers in his native land and in Germany”.

Meine Freundin, die, leider inzwischen verstorbene Israelische Schriftstellerin Nava Semel, schrieb: "Helnwein is a great believer in the ability of art to pass emotional memory on, as a reminder of the past or mainly as a warning of what the future might hold, for humanity, as far as he is concerned, has not learnt its lesson. The wounded girls close their eyes, but they are not blind. Behind their closed lids their gaze is clear and penetrating.”

Nicole Scheyerer vom Falter schrieb:

“Das Kind wird bei Helnwein zum Stellvertreter des ohnmächtigen Menschen. Der Künstler verstand es, die fatalen Autoritäts- und Verdrängungsmuster ins Bild zu setzen, als die Gesellschaft noch weitgehend blind dafür war”.

Almuth Spiegler, von der Presse:

"Kinderporträts, Schmerz, Missbrauch und Gewalt, empfunden von einer nachgeborenen Generation. Sein ganzes Lebenswerk aber hat Helnwein diesem Thema gewidmet, eine eigene Bildsprache dafür gefunden, Kämpfe dafür ausgestanden. Er hat das Kinderleid aus dem Persönlichen ins Universelle gehoben, es über die Zeit verfolgt, bis zu den Schulmördern, den Kinderkriegern.”

Stella Rollig, Direktorin des Belvedere Museums, meinte:

 "Wie viele andere halte ich Helnwein für einen Künstler mit hohem moralischen und ethischen Bewusstsein. Er möchte das Publikum mit unhaltbaren Zuständen konfrontieren und dazu anregen, das eigene Verhalten zu reflektieren, ja Widerstand zu leisten. 

Die oft schlafenden Kinder sind meist in sich gekehrt, ganz bei sich, in einem Zustand der Nicht-Kommunikation mit der Welt und ungeheuer verletzlich. Wenn ich diese sanften Gesichter betrachte, projeziere ich in sie all das, was Kindern passieren kann – und das ist sehr beunruhigend. Die Schönheit und Unversehrtheit der Abgebildeten ist kaum auszuhalten, weil wir alle wissen, dass jedem Kind auch Schlimmes zustossen kann und wird.”

Albertina Direktor Klaus Schröder hatte wohl mehr als jeder andere, die Möglichkeit, die Wirkung meiner Arbeiten auf die Menschen, zu beobachten:

"Es ist kein Zufall, dass unter all den grossen Retrospektiven, die wir in der Albertina gezeigt haben, von Gerhard Richter bis Georg Baselitz, diese Ausstellung von Gottfried Helnwein mit Abstand die am meisten die Menschen bewegende Ausstellung war, die die Menschen zum Teil zu Tränen gerührt hat. Ich habe es fast nicht glauben können. Aber Gottfried Helnwein trifft die Menschen ins Mark, er bewegt die Herzen. Und es freut mich natürlich, wenn man zeigen kann, dass Kunst nicht L’art pour l’art sein muss, sondern eine Botschaft haben kann, die die Menschen betrifft und berührt. “ 

Und zu guter Letzt, will ich Ihnen auch die Stimme unseres Bundespräsidenten nicht vorenthalten, der mir vor kurzem schrieb:

“Lieber Herr Helnwein, Ihr künstlerisches Schaffen hat immer wieder zu intensiven Diskussionen geführt, weil es gesellschaftliche und politische Fragestellungen aufgreift und sich einmischt. Ihre Bilder verunsichern, rütteln auf und nötigen geradezu, über Missstände eingehend nachzudenken. Damit sind Sie ein Beleg für die Sprengkraft, die Kunst innezuwohnen vermag. Dies wird besonders im öffentlichen Raum deutlich, so wie gerade jetzt durch Ihre neuerliche Gestaltung des Wiener Ringturmes. Ich möchte Ihnen für dieses sicherlich nicht immer komfortable Engagement danken und Ihnen - gleichsam von Donaldist zu Donaldist - Gesundheit und Schaffenskraft wünschen. Mit meinen besten Grüssen, Ihr Alexander Van der Bellen"

Meine Arbeiten sind seit einem halben Jahrhundert weltweit ausgestellt und publiziert worden, und unabhängig ob jemandem mein Stil gefällt oder nicht, das Anliegen meiner Kunst war den Menschen immer klar. Bisher hat mich jedenfalls noch nie jemand der Nazi-oder Pädo-Propaganda bezichtigt, dazu mussten erst die Oberösterreichische FPÖler und eine Spinnerin aus Wien kommen, um das aufzudecken.

Ich habe meine Kunst immer als Dialog verstanden, und die Reaktionen all der Menschen, die mir seit Jahrzehnten schreiben und mich immer wieder ansprechen, zeigt mir, wie sehr sie meine Arbeiten berühren, und wie viel sie ihnen bedeuten. 

Meine Bilder sprechen manchmal offensichtlich etwas im Unterbewusstsein des Betrachters an, von dem er bis dahin gar nicht wusste, dass es vorhanden ist, und wenn es mir manchmal gelingt, den Finger an die richtige Stelle zu legen, habe ich das Gefühl, meine Arbeit hat einen Sinn.

William Burroughs meinte:

“It is the function of the artist to evoke the experience of surprised recognition: to show the viewer what he knows but does not know that he knows. Helnwein is a master of surprised recognition."

Ich denke, dem muss ich nichts hinzufügen.

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2  Kommentare
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ChrisLeonding (240 Kommentare)
am 09.02.2024 07:51

Die Nazi-Keule, die hier gegen Helnwein geschwungen wurde, trifft wohl mehr den eigenen Kopf der Schwinger. Warum denunziert man ein berechtigtes Anliegen, ein Aufforderung zum Nachdenken über Kinder im Krieg, Gewalt, über "die Ästhetik von Bildbotschaften"? Weil es eine nicht vorhandene heile Welt stört und das Wegsehen behindert? Das wird zu keiner besseren Welt führen, fürchte ich. Schon gar nicht, weil Mehrheiten 2störende" Kunst im öffentlichen Raum "nicht sehen" wollen.

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bodapf (8 Kommentare)
am 09.02.2024 07:24

Gut gebrüllt Löwe!

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