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Musiktheater Linz: "Der Freischütz" als packender Gruselschocker 

Von Michael Wruss, 24. September 2023, 14:37 Uhr
Ein unheimliches Szenario ohne volkstümelnde Elemente in der Regie von Hermann Schneider Bild: Foto: Reinhard Winkler

Carl Maria von Webers Oper hatte am Samstag in der Regie von Hausherr Hermann Schneider Premiere

Carl Maria von Webers Oper "Der Freischütz" hat es heute nicht leicht – als romantisches Schauermärchen missverstanden, als treudeutsches Hohelied auf die Jägerschaft missbraucht, als etwas schrulliges Rührstück angesehen, bei dem ein Deus ex machina (der Eremit) nötig ist, um den Karren aus dem Schlamm zu ziehen.

Was meist übersehen wird, ist, dass die Musik gerade in jenen Bereichen, wo das Libretto in den Abgrund menschlicher Gefühle blickt, in dem es das versteckte Böse in jedem hervortreten lässt, für ihre Zeit revolutionär neuartig war. Genau hier setzt Hausherr Hermann Schneider bei seiner Inszenierung an. Er umschifft somit all jene volkstümelnden Elemente und macht aus dem Freischütz jenen Psychothriller, der er – hätte es das Genre damals schon gegeben – tatsächlich ist. Das Böse in Gestalt des "schwarzen Jägers" Samiel ist stets präsent, er reißt alle Charaktere mit Ausnahme der unantastbar reinen Agathe ins Verderben. Selbst vor der Kirche macht dieser Teufel keinen Halt, denn auch der unvermeidbare Eremit ist kein Heiliger, sondern eine von den finsteren Mächten gesteuerte Gestalt.

Da wird auch klar, warum die von der Kirche geschürte Angst vor dem Bösen zum machtvollen Repressionsmittel wird und gleichzeitig das Böse jene Klerikale steuert, die diese Macht ausüben, um die Schäfchen zahm an der Hand zu haben. Samiel steckt nicht nur im Jägerburschen Caspar, sondern fährt auch in Agathes junge Verwandte Ännchen, die nach einer vermutlich teuflischen Nacht wie ein Zombie – der Exorzist lässt grüßen! – umherirrt. Da entstehen in der von Falko Herold entworfenen Ausstattung starke Bilder, schiebt sich in die düstere Halle eines verlassenen Hotels ein Kubus von reinstem Weiß. Jene Unschuldssphäre der Agathe, die selbst der Teufel bei der Schändung des Ännchens nicht mit Blut besudeln kann. Hermann Schneider gibt seinem Freischütz auch eine Rahmenhandlung, die mit dem Tod Caspars einsetzt und die Geschichte als Flashback seines bösartigen Lebens Revue passieren lässt. Fast wie Goethes Mephisto – einige Verse sind in die neue Dialogfassung hineingerutscht – ist das Böse höchst sympathisch omnipräsent und steuert die Zerstörung perfekt.

Frei von jeder Pseudoidylle

Aber auch musikalisch setzt Markus Poschner mit dem fabelhaft musizierenden Bruckner Orchester beim revolutionären Aufbau der Partitur an. Jene vom Komponisten erfundenen erdig schwarzen Klangkombinationen, jene verstörenden Akzente, die die scheinbar unbehelligt schönen Linien stören, zielen genau auf jenen Psychothriller ab, den von Weber möglicherweise vor Augen hatte. Vielleicht mit der Hoffnung auf Rettung durch einen Himmel, den ihm Schneider sehr plausibel verwehrt.

Faszinierend ist auch, wie Poschner analytisch die Partitur durchforstet und zum Beispiel für die erste Agathen-Arie eine packende Stimmung erzeugt und das Pseudoidyllische wunderbar eliminiert hat. Dazu kommt ein Sängerensemble, das großteils jene Abenteuerreise grandios mitvollzieht. An erster Stelle Erica Eloff als überragende Agathe, die ihre Arien um viele Facetten bereichert, ohne in die Sphäre der einfältigen Försterstochter abzurutschen. Ihr Glaube kommt aus reinster Seele.

Die hat auch Max, dem Timothy Richards gekonnt und stimmig seinen fein timbrierten Tenor leiht. Fenja Lukas ist ein grandioses Ännchen, das sich überzeugend vom überdrehten Mädchen zur nicht ungefährlich Besessenen wandelt und ihre Arien sich manisch kratzend beeindruckend gestaltet.

Stimmlich höchst intensiv, aber durch die stete Anwesenheit des Bösen etwas in seiner Wirkung beschnitten, ist der Caspar von Michael Wagner. Dämonisch in seiner ungöttlichen Sendung: Dominik Nekel als ebenso vom Bösen gesteuerter Eremit. Adam Kim (Ottokar) und Markus Raab (Cuno) führten das restliche Ensemble und den rhythmisch nicht immer ganz präzisen Chor und Extrachor an. Großartig ist Sven Mattke, der den vielen Gestalten des Bösen ungemeine Präsenz verleiht und den Abend zum Ereignis werden lässt.

Fazit: Ein vom Publikum nicht nur goutierter, radikal neuer, aber höchst intelligent und stringenter Blick auf von Webers Freischütz.

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Autor
Michael Wruss
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3  Kommentare
3  Kommentare
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Astroherwig (118 Kommentare)
am 25.09.2023 08:56

nicht alle haben es goutiert ist die untertreibung des jahres.
ich habe noch keine premiere im musiktheater erlebt, wo der regisseur so ausgebuht wurde.
die künstler waren toll, aber ein werk so umzubauen und passagen dazuerfinden/kopieren ist nicht mehr künstlerische freiheit, sondern anmaßung.
ein versuch zum freischütz wäre der passende titel, so ist es irreführend

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obertraun (305 Kommentare)
am 25.09.2023 16:39

Das war halt noch schön, letztes Jahr die tote Stadt, die noch werksgetreu inszeniert wurde

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obertraun (305 Kommentare)
am 23.10.2023 17:13

Stimmt genau!

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