Neues Lady-Gaga-Album: Pop-Meilenstein oder genialer Marketing-Gag?
Am Montag veröffentlicht Lady Gaga, der derzeit wohl größte Popstar des Planeten, ihr neues Album. Wie gut ist „Born This Way“ aber wirklich? Eine Song-für-Song-Besprechung in 14 Kapiteln.
„Marry The Night“
Überaus eingängige Hymne an die Nacht, die Selbstbestimmung und die Hoffnung. Ein schöner Auftakt, der rockige Vocals mit treibenden Beats vereint.
„Born This Way“
Obwohl diese Hymne an alle Außenseiter der Gesellschaft gefühlte 500-mal pro Tag im Radio läuft, nervt der 80er-Jahre-Dancepop des Titelsongs immer noch nicht. Das sagt alles über die Ohrwurm-Qualität des Stückes aus.
„Government Hooker“
„Put Your Hands On Me/John F. Kennedy“, singt die Lady. Das reimt sich, und was sich reimt, ist ja bekanntlich gut. Das Lied ist es allerdings nicht. Wirr und ohne echten Refrain.
„Judas“
Das blasphemische Spiel mit religiösen Symbolen ist spätestens seit Madonnas „Like A Prayer“ leider ausgelutscht. Pseudo-provokante Zeilen wie „Judas, ich liebe dich“ bringen höchstens noch das Blut von stiernackigen wiedergeborenen Christen im tiefsten Hinterland von Texas in Wallung. Der Beat, der stark an „Bad Romance“ erinnert, ist aber sehr ordentlich.
„Americano“
Eine vertonte (lesbische) Urlaubsromanze mit Latinopop-Flair, die klingt, als hätten die „Gypsy Kings“ eine Großpackung Extasy geschluckt. Eine wunder-bare, herrlich theatralische Popsinnlosigkeit!
„Hair“
Das Kopfhaar als Symbol der Freiheit ist seit dem Hippie-Musical „Hair“ ein beliebtes Thema in der Popmusik. Gagas Lobgesang auf ihre Haarpracht und die Individualität ist perfekter, schwungvoller Pop.
„Scheiße“
Gaga singt auf Deutsch (!) zu einem Großraumdisco-Beat, der bestens geeignet ist, den Ballermann zu beschallen. Selten klang die deutsche Sprache so stark nach einer Mischung aus Holländisch und einem obskuren skandinavischen Dialekt. Egal, tanzen kann man trotzdem prächtig zu dieser Rave-Monstrosität.
„Bloody Mary“
Frau Gaga inszeniert sich als Maria Magdalena, die tanzend die Hände zum Himmel reckt, um Jesus zu huldigen. Quasi Sonntagspredigt mit Dancebeats. Beim nächsten Weltjugendtag der katholischen Kirche sicher ein Kracher.
„Bad Kids“
08/15-Discopop über die positive Wirkung schlechten Benehmens. Der Song geht so schnell ins Ohr, wie er wieder vergessen ist. Guter Durchschnitt.
„Highway Unicorn“
Madonna wird sich auf ewig in den Allerwertesten beißen, dass ihr dieser schräge Pop-Kracher über Einhörner, Autobahnen und die Liebe nicht selbst eingefallen ist. Feine Sache!
„Heavy Metal Lover“
Sehr elektronisch. Sehr stampfend. Sehr vorhersehbar. Sehr langweilig.
„Electric Chapel“
Das fetzige Gitarren-Intro zu Beginn ist das Beste an diesem Song, der nur haarscharf am Madonna-Plagiat vorbeischrammt.
„You And I“
Die beste und pathetischste Bon-Jovi-Powerballade, die Frau Gaga je geschrieben hat. Inklusive Gitarrensolo von „Queen“-Gitarrist Brian May! Ein 100%iger Nummer-eins-Hit.
„The Edge Of Glory“
So muss Hitparadenmusik im 21. Jahrhundert klingen: stampfende Beats, großer Refrain plus fantastisches Saxophon-Solo.
Perfekt, und doch fehlt etwas
„It’s the singer, not the songs“ lautet ein beliebter Spruch in der Musikindustrie. Lady Gaga ist das perfekte Beispiel für den Wahrheitsgehalt dieses Sagers. Denn die Lady ist ein Gesamtkunstwerk. Nur im Zusammenspiel aus Styling, Attitüde und Musik kann die schillernde Kunstfigur ihre Wirkung entfalten.
Das soll nicht heißen, dass „Born This Way“ schlecht wäre. Nein, das Album bietet perfekt produzierte Popmusik mit großen Melodien, tollen Beats und einigen herausragenden Songs. Und doch: Ohne die extravaganten Kostüme, die überkandidelte Inszenierung und die visuell betörenden Video-Clips fehlt einfach der schrille Wahnsinn, der Lady Gaga so faszinierend macht.
Na ja, gut gemachter Mainstream. Reißt mich nicht vom Hocker. Madonna (die frühe bis mittlere) war besser und hatte deutlich mehr musikalische Überraschungen parat. Bei Lady Gaga klingt es zu vorhersehbar und zu oft nach Reißbrett.
Bei Edge of Glory ist übrigens nicht nur die Gitarre von Queen, sondern auch das bumm-bumm-tschakk von "We Will Rock You". Und ich hatte gehofft, das nie wieder hören zu müssen..