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Jahresrückblick: Das Gewicht der leichten Muse

Von Peter Grubmüller, 31. Dezember 2014, 17:00 Uhr
Udo Jürgens
Sieben Monate nach Conchita Wursts Sieg beim Eurovision Song Contest starb Österreichs bis dahin einziger ESC-Sieger Udo Jürgens. Bild: EPA

Conchita Wurst und Udo Jürgens eint die Gabe, Sperriges in leichtem Ton zu vermitteln.

Ja, sie „hat uns den Schas gewonnen“. Die Analyse von Moderator Andi Knoll live während des Song Contests in Kopenhagen war so ehrlich wie treffsicher. Bei diesem aufgeblasenen Tschingderassabum von meistens zu Recht übersehenen Künstlern setzte sich auch in diesem Jahr mit „Rise like a Phoenix“ vordergründig ein Lied durch, aber gemeint war eine Haltung, die durch Conchita Wurst Gestalt annahm. Über Nacht wurde die österreichische Dragqueen zur Fahnenträgerin für ein tolerantes und aufgeklärtes Europa.

Der gut dreiminütige Auftritt von Wurst hat mehr erreicht als jahrzehntelange Debatten schwuler, lesbischer und transsexueller Aktivisten. Conchita Wursts Sieg taugte sogar dazu, als bedeutende europäische Abstimmung gegen die homophobe Politik Wladimir Putins instrumentalisiert zu werden. Alles klang ein bisschen wie im Kalten Krieg. Die westliche Kritik an der Besetzung und Aneignung der ukrainischen Krim durch Russland entlud sich in der Sympathie für Conchita Wurst. Und Österreich war endlich wieder einmal geschlossen aus dem Häuschen – und zwar nicht für einen Wintersportler.

Erstmals war da wieder jemand von uns, dessen Bart zum Symbol wurde, aber für den man sich nicht Generationen später entschuldigen muss. Es sah so aus, als wären in Österreich schon immer alle für diese Wurst entflammt gewesen. Wer sich genau erinnert, der hat noch die rasierten Schmähungen von Heinz-Christian Strache und die Facebook-Gruppe „Nein zu Conchita Wurst beim Song Contest“ (mit Zehntausenden von Unterstützern) im Kopf. Am Ende herrschte bei der überwältigenden Mehrheit von Wählern zugewandte Einigkeit darüber, dass individuelle Identitätsfindung auf der Spielwiese grenzenloser Freiheit stattfinden dürfe – ja müsse. Da war keine Rede mehr von der schrecklichen Ausgeburt politischer Korrektheit, von missverstandener Toleranz. Kein Witz mehr über Perücke und Glitzerkleid, in das man sich gewöhnlich reinhungern muss, will man keinen Installateur zu Hilfe rufen.

Eine ähnliche Wandlung erlebte in diesen Tagen Udo Jürgens. Mit seinem Sieg 1966 war er bis 2014 der einzige österreichische Gewinner des Song Contests gewesen. Das Schicksal hatte dem drei Tage vor Weihnachten, 80-jährig gestorbenen Ausnahmekünstler noch die Zeit gelassen, seine Nachfolgerin schätzen zu lernen. „Als ich sie zum ersten Mal sah, die Frau mit Bart, war ich schockiert“, sagte Jürgens nach Wursts Sieg – „aber in ihrem Fall habe ich mich über ihren Sieg dann doch besonders gefreut, weil sich so viele über sie aufgeregt haben.“ Gerüchteweise wurde spekuliert, dass Udo Jürgens und Conchita Wurst beim 60. Song Contest am 23. Mai in Wien gemeinsam auftreten. In diesem Fall war das Schicksal schneller.

Die große Geste

Um Conchita Wurst und Udo Jürgens lässt sich mühelos eine Klammer spannen. Beide haben für ihren Erfolg und ihre Themen gefochten, jeweils mit dem Florett, aber unnachgiebig in ihren Werten. Wo Udo Jürgens auftauchte, verlor sich wie bei Wurst nichts in kleinen Zeichen, sondern die große Geste, die feierliche Gala waren Programm. Zudem vertonte Jürgens über all die Jahre ein Stück Zeitgeschichte, wofür Conchita ein einziges Lied und der Slogan „We are unstoppable“ reichte. Im „Ehrenwerten Haus“ spürte Jürgens die Spießbürgerlichkeit auf, mit „Griechischer Wein“, der „wie das Blut der Erde“ sei, schrieb er ein Lied über die einsame Wehmut der Gastarbeiter. Dass sich diese Nummer später im Bierdunst der Zeltfeste als Saufhymne einnistete, lag keineswegs an einer nicht klar formulierten Botschaft, sondern an seinem Talent, alles Sperrige in leichtem, mitsingbarem Ton über die Rampe zu bringen. Das „Ehrenwerte Haus“ wird ja auch bedenkenlos von Leuten gepfiffen, die zu dessen Bewohnern zählen könnten.

Die Glücksverheißung ist bei Conchita Wurst und Udo Jürgens gleichermaßen nicht zufällig aus der Luft gegriffen. In beiden Fällen wurde sie dem Leben abgerungen. Jürgens war, als er noch ein Bub war und Bockelmann hieß, von einem Nazi derart geohrfeigt worden, dass er 80 Prozent der Hörleistung seines linken Ohres verlor – und die Geschichte von Conchita Wurst, die sich als Tom Neuwirth ihren Weg zur persönlichen Freiheit erkämpft hat, ist spätestens seit Mai jedem bekannt.

Die beiden singen nicht davon, „einfach mal du selbst zu sein“, sie leiten nicht zu „lebe, wie du willst“ an. Die beiden haben wesentlich mehr zu erzählen. Udo Jürgens ist zeit seines Lebens an diesem gesellschaftspolitischen Anspruch drangeblieben. Von Conchita Wurst erwarten wir es.

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