Ganz Oberösterreich im Bücherrausch
LINZ. Die PISA-Studie weckt Zweifel an der Lesefreudigkeit der Österreicher. In den Büchershops ist davon aber nichts zu merken. Im Gegenteil: Ein weihnachtlicher Lesedrang scheint die Massen zu mobilisieren.
Klappernde Schritte, raschelnde Buchseiten, gedämpfte Stimmen: Unaufgeregt bis hektisch läuft die Begegnung mit dem Konsumobjekt „Buch“ bei Thalia in der Linzer Landstraße ab. Die Vertrautheit mit der wichtigsten Kulturtechnik ist spürbar – bei den Probelesern, die in den Lesenischen mit untergeschlagenen Beinen auf dem Diwan sitzen, und bei den Flaneuren, die sich auch von Remplern nicht stören lassen und an Regalen oder „Thementischen“ in geschickt arrangierten Büchern schmökern.
Immer wieder staut sich die Menge im Parkett oder auf den Rolltreppen, die hinauf zur Galerie führen. Lange Warteschlangen bilden sich an den Kassen. Hier wird das Buch der Wahl noch einmal gemustert und betastet, als wolle man sich vergewissern, wie sein Wesen beschaffen sei.
Andreas Bauer (33) aus Linz blättert in einem Comic-Heft. „Nur so“, sagt er fast entschuldigend, denn eigentlich steht ihm der Sinn nach George Orwell und Matt Ruff. Als Mitglied der Linzer Stadtbibliothek liest der künftige Leiter des Ars Electronica Museums „jeden Monat zwei Bücher“. Zu Weihnachten sitzt auch bei ihm das Geldbörsel lockerer, drei Bücher hat er fix eingeplant.
Wie von selbst kommt er auf die PISA-Studie zu sprechen. Schockiert zeigt er sich vom schlechten Abschneiden unserer Schüler. „Man muss die Kinder schon in der Volksschule zum Lesen anregen“, sagt Bauer. Die Jüngsten sollten „nur von den besten Lehrern“ unterrichtet werden.
Weniger tragisch sieht’s Chemie-Studentin Christine Schlucker (20) aus Hargelsberg. Die Ergebnisse der PISA-Studie seien nicht aussagekräftig, der Test sei in Österreich von den Schülern auf die leichte Schulter genommen worden.
Sorgen macht die PISA-Studie hingegen Josef Deutschbauer (60) aus Urfahr. Er will seinen drei Enkerln ein Vorbild sein, liest ihnen täglich eine halbe Stunde vor. Denn das Interesse am Lesen müsse in der Familie geweckt werden, „das kann man nicht den Lehrern überlassen.“
Der Tisch mit den Reisewälzern gehört ihm derzeit allein. „Traumstraßen Amerikas“ hält er in der Hand, ausersehen für seine Gattin Hermine, deren Vorlesekünste die Enkel viel stärker in den Bann ziehen als seine eigenen, gibt er zu.
„Die PISA-Studie hat eine wünschenswerte Diskussion über unser Leseverhalten in Gang gesetzt“, sagt Walter Neugebauer von der Buchhandlung Neugebauer in Linz. Viele fragten sich jetzt, „ob sie nicht doch zu wenig mit ihren Kindern lesen“. Auch Neugebauer ist mit dem Bücherrausch der Konsumenten zufrieden. Das Buch sei das typische „Last-Minute-Geschenk“, gefragt seien heuer Sach- und Jugendbücher.
Keine Bücher als Geschenk, das wünscht sich Monika Dewagner (50) von der „Bücherinsel Gallneukirchen“. „Alle meine Bekannten wollen mir ein Buch schenken, dabei bin ich mit der Sichtung der Frühjahrsneuerscheinungen restlos ausgelastet.“ Die Bücherinsel tut seit Jahren etwas gegen die Leseträgheit, organisiert Buchausstellungen in den Schulen. „Gerade zu Weihnachten legen wir Wert auf ein optisch ansprechendes Angebot“, sagt Dewagner. Heimatliteratur komme besonders gut an.
Zurück zum Thalia, wo Doris Horner, die stellvertretende Filialleiterin, Bilanz der Saison zieht. 80.000 Kunden haben in der Vorweihnachtszeit schon Bücher gekauft. Besonders nachgefragt würden Regionalliteratur, Biografien, Sportbände, aber auch Kinderbücher und Deutschkurse – eine Reaktion auf die PISA-Studie.
80 Verkäufer kümmern sich im größten Büchershop von Linz um die Kunden. Viele haben nach der Matura die Berufsschule für Buch- und Musikalienhändler in Linz absolviert und den speziellen Lehrlingsunterricht in der Buchhandlung hinter sich. Den Besuch im Fitness-Studio können sie sich derzeit ersparen: Die schweren Bücherstapel in der Hand ersetzen jede 10-Kilo-Hantel.