Wie laufe ich bei einer WM zur Höchstform auf?
Bei den Nordischen Weltmeisterschaften in Lahti geht es heute erstmals um Medaillen. Der frühere Spitzenathlet Felix Gottwald über seine Thesen zum Erfolg bei einem Großereignis
Startschuss und Schanze frei für die Nordische Ski-WM 2017 in Lahti. Der Austragungsort ist Vokabel Nummer eins für unseren WM-Wortschatz, Lahti heißt auf Deutsch: Bucht. 24 Athletinnen und Athleten aus Österreich laufen für diese WM dort ein. Die spannende Frage vor jedem Großereignis: Wer von diesen 24 Auserwählten schafft es auch, die Anker richtig zu setzen und zu persönlicher Höchstform aufzulaufen? Mein Thema, aus eigener Großereignis-Erfahrung (neun WM-Teilnahmen, fünf Olympische Spiele) abseits aller Formbarometer und Medaillenrechnungen: Wie schafft man das?
Sei bereit! Weltmeisterschaften beziehen ihre Bedeutung aus der Verknappung: nur alle zwei Jahre, nur vier Plätze pro Nation (Anmerkung: im Einzelbewerb der Nordischen Kombination sind es dank Weltmeister Bernhard Gruber fünf), nur Medaillen zählen. Zusammen mit der erhöhten Medienaufmerksamkeit erzeugt das eine Art "Jetzt oder nie!"-Hysterie. Spannend für die Öffentlichkeit, herausfordernd für Athleten und Betreuer. Die Vor-Entscheidung für eine erfolgreiche WM-Teilnahme: Schaffe ich es, in der Vorfreude zu bleiben? Wir sind seinerzeit meist noch kurz ans Meer baden gefahren. Denn: Was du bis zur WM nicht trainiert hast, holst du unmittelbar davor nicht mehr auf. Gerade vor Wettbewerben in Finnland ist Sonne im Gepäck (und im Herzen) empfehlenswert.
Mach es dir leicht! Nur weil es um Medaillen geht, ändern sich nicht die Parameter der Sportart. Der berühmte Satz "Es müssen so viele Faktoren zusammenpassen" stimmt. Umso wichtiger, als Athlet den Fokus nur auf jene zu richten, die du selbst beeinflussen kannst. Wenn du als Athlet tagtäglich dein Bestes lebst, brauchst du bei der WM nicht auf ein Wunder hoffen. Sondern nur das passieren lassen, was du dir erarbeitet hast. Das ist die persönliche Höchstform.
Lebe deine Begeisterung! In vielen Athleten-Interviews hört man sie durch: Die Angst vor dem Scheitern! Leicht zu erkennen an Begriffen wie Stress, Druck, Erfolgszwang, Kampf, Krise, Schuld, Niederlage, Debakel, Versagen, odSchicksalsbewerb. Die Sprache im Sport strotzt davon. Athleten haben diese Idee, sich " Druck zu nehmen", wenn sie ihre Leistungsfähigkeit relativieren. Um nach Misserfolgen sagen zu können: "Ich habe ja schon davor gesagt, dass ..." Die Taktik funktioniert meistens nicht, weil Relativierung relativiert. Und schwächt. Tipp: Möglichst oft an die kindliche Begeisterung erinnern – "Wie war das, als ich angefangen habe?" Hat mir stets geholfen, um in entscheidenden Momenten im Kopf frei zu sein.
Es gibt Favoriten. Es gibt Routiniers. Es gibt Außenseiter. Es gibt Debütanten. Es gibt die, die ihr Ding durchziehen – und die anderen. Es gibt wenige, die viele Medaillen gewinnen und viele, die ohne abreisen. Wir, das Publikum, können von jedem etwas lernen! Weil zu jeder Karriere (und zu jedem Leben) Siege UND Niederlagen gehören. Gilt bei Weltmeistern und auch für unser Welt-meistern.
Felix Gottwald ist ehemaliger Nordischer Kombinierer. Er gewann 18 Medaillen bei Olympia und Weltmeisterschaften, so viele wie kein Zweiter seiner Sportart.