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PISA-Ergebnisse – eine unendliche Geschichte

22. Dezember 2010, 00:04 Uhr

Ich habe einmal geglaubt, Rechtschreibung sei das wesentlichste Bildungshindernis unserer Gesellschaft. Deshalb habe ich eine Dissertation über Rechtschreibung gemacht, um meinen Schülern besser helfen zu können, dieses Bildungshindernis zu überwinden (mein Studium ...

Ich habe einmal geglaubt, Rechtschreibung sei das wesentlichste Bildungshindernis unserer Gesellschaft. Deshalb habe ich eine Dissertation über Rechtschreibung gemacht, um meinen Schülern besser helfen zu können, dieses Bildungshindernis zu überwinden (mein Studium habe ich neben meiner Lehrtätigkeit an einer Hauptschule in Linz an der Universität Salzburg absolviert).

Bei den Arbeiten an der Dissertation, bei der ich standardisierte Rechtschreib- und interessehalber auch die Lesetests bei allen Schülern „meiner“ und einer weiteren Linzer Hauptschule durchgeführt habe, musste ich erkennen, dass ich das falsche Dissertationsthema gewählt hatte. Das Hauptbildungshindernis von Pflichtschulabsolventen ist das nicht ausreichend entwickelte Lesekönnen.

Bei den Lesetests stellte ich fest, dass rund 12,5 Prozent der Hauptschulanfänger den von ihnen gelesenen Texten keinen Sinn entnehmen konnten, etwa 25 Prozent nur teilweise. Noch erstaunter war ich über das Faktum, dass sich daran im Laufe der vier Hauptschuljahre nichts zum Positiven ändert, schon eher das Gegenteil.

Bald erkannte ich: Lesen lernt man in der Volksschule oder eben nicht. Doch es kam noch schlimmer. Ich war so genannter „wissenschaftlicher Betreuer der Schulversuche“ an Volksschulen (deren angebliche Wissenschaftlichkeit meiner Überzeugung nach jeder echten Hohn spricht). Erfahrene Elementarlehrerinnen ließen mich in Gesprächen wissen, dass sie bereits zu Weihnachten (in ersten VS-Klassen) wüssten, welche von ihren Kindern Leser würden und welche nicht. So kam ich zum Schluss: Lesen lernt man in der ersten Klasse oder fast nicht mehr! Eine Ansicht, die viele Elementarlehrerinnen teilen, aber wer fragt denn die? Die „oben“ entscheiden und wissen deshalb alles „besser“. Welch fataler Irrtum.

Ich habe 1983 in einer Pflichtschullehrer-Zeitung meine „nebenproduktlichen“, selbstverständlich nicht repräsentativen Ergebnisse veröffentlicht und dafür Schelte als „Nestbeschmutzer“ einstecken müssen. Das ist nicht ganz neu: Man (er)schlägt den Unglücksboten, das ist jahrhundertealter Usus. Die Lesetests an einer repräsentativen Stichprobe durchzuführen, hat man mir (sicherheitshalber?) nicht erlaubt. Mich hat das Thema weiter beschäftigt, und ich fand, dass Erich Hankiewitz Ähnliches schon 1972 gefunden hatte.

Als Lehrer an der Berufspädagogischen Akademie des Bundes in Linz hatte ich dann 1990 die Möglichkeit, neben anderen Eingangskenntnissen von Berufsschulanfängern auch das Leseverständnis zu erheben, dieses Mal an einer repräsentativen Stichprobe von 1009 Berufsschulanfängern.

10 Prozent konnten über das Lesen keine Informationen aufnehmen (= können nicht sinnerfassend lesen). 34 Prozent der getesteten Berufsschulanfänger erfassten beim Lesen von Texten den Inhalt nur sehr mangelhaft (= erfassen den Sinn eines Textes nur teilweise). Sie lesen nie freiwillig, denn Lesen ist ihnen zu mühsam.

Ist sinnerfassendes Lesen Voraussetzung zur Lösung von mathematischen (oder anderen) Problemen, so versagt etwa ein Drittel der Schüler, allerdings nicht, weil sie nicht (rechnen) können, sondern weil sie nicht lesen können.

Die Studienergebnisse waren unbequem, hatten wir doch ein Jahrzehnt von so „gelungenen Schulversuchen“ eben hinter uns – so wurden sie nicht veröffentlicht. Ich habe einige Ergebnisse publiziert, hätte mir beinahe ein Disziplinarverfahren eingefangen und – siehe oben – wurde angefeindet.

Aber dann kam PISA und bestätigte, was helle VS-, HS- und BS-Lehrer seit Jahren erleben und was die „Nestbeschmutzer“ Hankiewitz und Rieder längst nachgewiesen hatten. Und so muss man – und das ist ganz aktuell – die PISA-Ergebnisse kleinreden, denn die Realität ist offenbar unerträglich.

Vernünftiger wäre es, man akzeptiert endlich, was ist, fragt nach den Ursachen (nicht nur ich kenne sie) und schafft Abhilfe. Fast 40 Jahre alter und mehrmals wiederholter wissenschaftlicher Nachweis partiellen Analphabetismus bei Pflichtschulabsolventen sollten doch genügen.

 

Gastkommentar von Walter Rieder
Lehrer i. R, Ebensee

 

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4  Kommentare
4  Kommentare
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( Kommentare)
am 27.12.2010 13:48

PISSA-Ergebnisse – eine unendliche Geschichte

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( Kommentare)
am 22.12.2010 22:39

Danke für diesen Kommentar.
Doch die Wahrheit scheint oft zu einfach zu sein....

Ein Hinweis:
http://schreibfreiheit.eu/2010/12/12/geht-doch-lesefahigkeit-und-pisa/

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stoeffoe (10.776 Kommentare)
am 22.12.2010 21:20

... auf dem Schoß.

Mehr ist dazu nicht zu sagen.
Und mehr ist auch nicht nötig, um den Teufelskreis zu durchbrechen...

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stangl (98 Kommentare)
am 22.12.2010 10:07

Der Satz "Erfahrene Elementarlehrerinnen ließen mich in Gesprächen wissen, dass sie bereits zu Weihnachten (in ersten VS-Klassen) wüssten, welche von ihren Kindern Leser würden und welche nicht" bestätigt etwas, was Psychologen schon lange wissen: Kompetenzen werden in hohem Ausmaß durch die Intelligenz bestimmt, die nur durch besondere Fördermaßnahmen in geringem Ausmaß korrigiert werden können. Auch das soziale Umfeld, aus dem Kinder kommen (Reproduktion der Schichten) fließt in diese Intelligenz ein bzw. stellt eine soziale Fördermaßnahme in diesem Sinne dar, die auch unintelligente Kinder dennoch ein höheres Leistungsniveau erreichen können. Übrigens ist der PISA-Test auf Grund der Aufgabenselektion einem Intelligenztest sehr ähnlich, sodass die Ergebnisse die Intelligenzleistungen widerspiegeln bzw. die Erfahrungen im Umgang mit solchen Tests. Lasst unsere Kinder pausenlos solche Tests üben, und wir werden im Ranking bald Spitze sein.

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