Tschechien bekommt erstmals Staatschef ohne Bezug zur Wende
PRAG. Erstmals seit dem Fall des Kommunismus bekommt Tschechien einen Staatspräsidenten, der nicht direkt mit der Wende 1989 verbunden ist. Václav Havel, Václav Klaus sowie Miloš Zeman zählten - im Unterschied zu Petr Pavel - zu den großen Persönlichkeiten der bewegenden Zeit der "Samtenen Revolution".
Verschwiegen blieb das Thema des Umbruchs von November 1989 aber bei weitem nicht. Die kommunistische Vergangenheit spielte im Wahlkampf eine viel größere Rolle als jemals zuvor. Zwei von drei ursprünglichen Favoriten der jetzigen Wahl mussten sich gegen Attacken wehren, mit dem totalitären Regime verwickelt zu sein - außer Pavel auch sein Hauptrivale und frühere Regierungschef Andrej Babiš. Pavel entschuldigte sich mehrmals für seine einstige KP-Mitgliedschaft und argumentierte, er denke, diese Vergangenheit mit seiner Arbeit nach 1989, unter anderem als Generalstabschef und Chef des militärischen NATO-Ausschusses, "wieder gut gemacht zu haben".
ORF-Korrespondent Ernst Gelegs berichtet aus Tschechien:
Mehrere Kritiker können es trotzdem nicht ertragen. Beispielsweise sprach der Musiker und frühere Mitarbeiter von Václav Havel, Michael Kocáb, noch vor der Wahl im Zusammenhang mit Pavel und Babiš über "Spucke ins Gesicht aller Opfer des kommunistischen Regimes". Und für den früheren Finanzminister und ehemaligen Chef der Partei TOP 09, Miroslav Kalousek, sind Pavel und Babiš "prominente Gören aus dieser oder jener bolschewistischen Familie".
Pavel: Starkes Mandat mit mehr als 58 Prozent
Auf jeden Fall ist das Mandat von Pavel stark - mehr als 58 Prozent der Wähler votierten für ihn. Die liberal-konservative Regierung von Premier Petr Fiala kann nun aufatmen, weil mit Pavel ein Mann in der Prager Burg sitzen wird, der ähnliche Ansichten vertritt und höchstwahrscheinlich keine Vetos gegen Gesetze einlegen und die Ernennung der Minister nicht verzögern wird, wie es der amtierende Staatschef Zeman mit Vorliebe gemacht hatte. Schließlich war Pavel einer von drei Präsidentschaftskandidaten von Fialas Parteienbündnis "Spolu" ("Gemeinsam").
Auch in der Frage des Ukraine-Konflikts hat Pavel eine klare Position wie Fialas Regierung und nicht jene von Babiš und Zeman, die von Kritikern als mehr oder weniger "pro-russisch" bezeichnet werden. Pavel setzt auf eine starke und unbestreitbare Unterstützung der Ukraine seitens des Westens. Sowohl von Babiš als auch von Zeman distanzierte sich Pavel demonstrativ, indem er über die "Wahrheit", "Kampf gegen Lügen" und über die "Rückkehr der Würde ins Präsidentenamt" sprach.
Kontraste zu impulsivem Babiš
Pavel ging mit mehreren Vorteilen in den Kampf um das höchste tschechische Staatsamt. Bauen konnte er auf seine militärische Karriere, und außerdem wirkten sein sportliches Aussehen, die gebügelte Uniform des Vier-Sterne-Generals und sein sicheres, ruhiges und emotionsloses Auftreten als Kontrast zum impulsiven Babiš, dem die Stasi-Zusammenarbeit vor 1989 vorgeworfen wird.
Auf der anderen Seite kann Pavel nicht verleugnen, dass er für viele eher das "kleinere Übel" war. Babiš selbst sprach sogar über ein "Anti-Babiš-Referendum". Höchstwahrscheinlich wird Pavel auch künftig überzeugen müssen, dass er seine Haltung aufrichtig meint. Vor allem in den sozialen Netzwerken beschimpfen ihn die Kritiker mit Worten wie "Wendehals" und "Der Herr Anpassungsfähig". Andere werfen ihm vor, dass er in einer Zeit der militärischen Spionage angehörte, in der Zeman noch in Ungnade gewesen sei.
Babiš musste sich außerdem damit auseinandersetzen, dass er gebürtiger Slowake ist, was man an seinem Tschechisch hört. Zwar war dies in der offiziellen Politik sowie im Wahlkampf niemals ein Thema, allerdings konnte man aus Diskussionen in sozialen Netzwerken herauslesen, dass es manche im Falle des symbolträchtigen Präsidentenamtes - im Unterschied zum Premier-Amt - stört. Bissige Parallelen zum letzten kommunistischen Staatspräsidenten der Tschechoslowakei, dem Slowaken Gustáv Husák, wurden gezogen.
Kehrt bei unserem Nachbarn etwa die politische Vernunft zurück?
Die Experimente mit den Populisten-Kasperln Zeman und Babis haben scheinbar gereicht.
Pavel ist ein Wendehals erster Güte - und was für einer! Diese Leute kennt man, hatten in jedem Regime das richtige Parteibuch. Dem glaube ich kein Wort, außer "ich".
Das mag sein; ich kann es nicht beurteilen. Wenn ich den Artikel richtig gelesen habe, hat auch sein Gegenspieler Babis eine kommunistische Vergangenheit. Es lag also an den tschechischen Wähler*innen einen von der kommunistischen Vergangenheit unbelasteten Kandidaten / eine Kandidatin zu wählen; sie haben es nicht gemacht. Wenn jemandem ein Vorwurf gemacht werden musss, dann den Wähler*innen.
Im übrigen ist eine kommunistische Unbelastetheit noch keine Garantie für eine anständige Politik; das hat Herr Zeman ausreichend bewiesen, als er im Wahlkampf für seine erste Amtszeit seinen Gegenkandidaten mit bösesten rassistischen Tiraden und Verleumdungen überzog.